Die Regierung in Kiew sei für die Flugzeugkatastrophe verantwortlich, sagt Russlands Präsident Wladimir Putin. Das ist purer Zynismus. In Wirklichkeit ist es Russland, das den unerklärten Krieg auf dem Gebiet des Nachbarlandes seit Monaten ohne Unterlass anheizt.
Die Reaktion des Kremls auf die Flugzeugtragödie in der Ostukraine zeigt einmal mehr die Unverfrorenheit, mit der Wladimir Putin in dem blutigen Konflikt handelt. Die Regierung in Kiew sei für die Katastrophe verantwortlich, denn «natürlich trägt der Staat, über dessen Territorium sich das Unglück ereignet hat, die Verantwortung». So sprach der Präsident und wusch seine Hände demonstrativ in Unschuld.
Das ist unerträglich. Denn in Wirklichkeit ist es Russland, das den unerklärten Krieg auf dem Gebiet des Nachbarlandes seit Monaten ohne Unterlass anheizt. Moskau lässt es zumindest zu, dass immer mehr skrupellose Söldner auf Seiten der Separatisten kämpfen.
«Grüne Männchen» in der Ostukraine
In den vergangenen Tagen wurden zudem wieder die berühmten «grünen Männchen» in der Ostukraine gesichtet – russische Soldaten ohne Hoheitsabzeichen, wie sie vor der Annexion auf der Krim operierten. Es gibt auch keinen ernst zu nehmenden Zweifel daran, dass Russland die Aufständischen mit schweren und modernen Waffen ausrüstet, darunter mobile Flugabwehrraketen.
Vieles spricht dafür, dass solch ein Boden-Luft-Geschoss die Boeing 777 der Malaysia Airlines mit fast 300 Menschen an Bord in Stücke gerissen hat. Die weiträumige Verteilung der Trümmer am Boden beweist eine Explosion in der Luft. Ein US-Satellit hat zudem den Raketenflug beobachtet.
Fest steht ausserdem: Die ukrainischen Streitkräfte schiessen in der Region nicht mit Boden-Luft-Raketen, weil es schlicht keine gegnerischen Ziele am Himmel gibt.
Sollten die Separatisten die Täter sein, dann trägt der Kreml ein hohes Mass an Schuld für den Flugzeugabsturz.
Noch ist die Beweislage nicht vollständig gesichert. Es ist in dem Konfliktgebiet auch nicht zu garantieren, dass dies jemals geschieht. So war zunächst nicht klar, wer in Besitz der Flugschreiber ist. Die Aufständischen hatten zumindest eine Blackbox zunächst an sich genommen und wollten sie nach Moskau weiterleiten. Das immerhin wies Aussenminister Sergei Lawrow von sich aus zurück.
«Weckruf für die Welt»
Sollten die Separatisten die Täter sein, dann trägt der Kreml ein hohes Mass an Schuld für das Verbrechen, das einem Massenmord gleichkommt. Ein Grossteil der Opfer, darunter viele Kinder, stammt aus westlichen Staaten, die meisten aus den Niederlanden.
Es gibt keine Toten erster und zweiter Klasse. Jedes Menschenleben hat den gleichen Wert. Dennoch könnte die eigene Betroffenheit manchen Politiker im Westen aufrütteln. Das jedenfalls wäre dringend zu wünschen.
Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko hat recht, wenn er von einem «Weckruf für die Welt» spricht. Viel zu lange haben die Verantwortlichen in Berlin, Brüssel und Washington gezaudert und gezögert. Dabei ist längst offensichtlich, dass Putin nicht gewillt ist, zu einer Deeskalation der Lage in der Ukraine beizutragen.
Spätestens wenn die verkohlten Leichen von Flug MH 17 beigesetzt sind, sollte der Westen deshalb dringend eine neue Phase in der Ukraine-Krise einläuten. Es wird höchste Zeit für umfassende Wirtschaftssanktionen.
Skrupellosigkeit im Kreml
Wladimir Putin kann auf lange Zeit kein Partner des Westens mehr sein. Er selbst hat in den vergangenen Wochen wiederholt klargemacht, dass er dies auch gar nicht mehr sein will. Wo er nur kann, attackiert er die EU, den Westen als Ganzes und wirft insbesondere den USA eine aggressive Aussenpolitik vor.
An seiner Kritik ist nicht immer alles falsch. Eine Rechtfertigung für die zynische russische Ukraine-Politik kann das aber nicht sein.
Es gibt eine vage Hoffnung, dass die Tragödie von Flug MH 17 Putin und seine separatistischen Erfüllungsgehilfen zwischen Donezk und Lugansk zum Einlenken bringen könnte. Zu schwer könnte die Last der 300 Toten wiegen. Wahrscheinlich ist das angesichts der Skrupellosigkeit, die im Kreml herrscht, allerdings nicht.