Realitätsferne Wortklauberei

Der Entscheid des Bundesgerichts, dass Beschimpfungen wie «Drecksasylant» oder «Sauausländer» nicht rassistisch sind, ist bedenklich. Er zeigt, wie ausländerfeindlich unsere Gesellschaft geworden ist.

Umstrittener Entscheid des Bundesgerichts: Beleidungen wie «Sauausländer» und «Drecksasylant» gelten nicht als Rassendiskriminierung. (Bild: LAURENT GILLIERON)

Der Entscheid des Bundesgerichts, dass Beschimpfungen wie «Drecksasylant» oder «Sauausländer» nicht rassistisch sind, ist bedenklich. Er zeigt, wie ausländerfeindlich unsere Gesellschaft geworden ist.

Medien in ganz Europa ­berichteten darüber. Wieder einmal die ausländerfeindlichen Schweizer! Es passt perfekt in das Bild der Bergbauern und Einwanderungsfeinde. Was ist passiert?

Das Bundesgericht entschied vergangene Woche, dass Begriffe wie «Sauausländer» und «Drecksasylant» nicht als Rassendiskriminierung gelten. Ein Polizist hatte 2007 an der Baselworld einen verhafteten Taschendieb mit diesen Schimpfwörtern eingedeckt. Anschliessend sprach ihn das Appellationsgericht Basel schuldig wegen Rassen­diskriminierung. Jetzt widerrief das ­Bundesgericht in Lausanne diesen Entscheid.

Was bedeutet das für den Umgang mit Rassismus?

Aufgrund der Gesetzeslage hätten die Bundesrichter auch anders urteilen können.

Für Gülcan Akkaya von der ­Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR) ist der Fall klar: Das Urteil bedeutet «eine Verharmlosung von Rassismus». Sie denkt, dass dadurch «die Hemmschwelle für rassistische Äusserungen sinkt».

Die Bundesrichter argumentieren: Bei «Sauausländer» und «Drecksasylant» fehle «ein Bezug zu einer bestimmten Rasse, Ethnie oder Religion». Streng genommen stimmt das auch. «Asylant» ist eine abschätzige Bezeichnung für jemanden, der Asyl beantragt, also einen politischen Status innehat. Mit ­Rasse hat das nichts zutun. Aber Gesetze müssen nicht immer halsstarrig ausgelegt werden.

Aufgrund der Gesetzeslage hätten die Bundesrichter auch anders urteilen können. Das meint jedenfalls der Strafrechtsprofessor Hans Vest von der Universität Bern. Er sagt: «Kontextbezogen erfolgten die Äusserungen des Polizisten wegen der rassischen oder ethnischen Zugehörigkeit des algerischen Asyl­bewerbers.»

Das heisst: «Drecksasylant» kann durchaus als Ver­unglimpfung wegen «Rasse, Ethnie oder Religion» gesehen werden, wie es in Artikel 261 des Strafgesetzbuchs festgeschrieben steht. Deswegen hält Vest die bundesgerichtliche Entscheidung für falsch.

Bedenkliches gesellschaftliches Klima

Der Fall wird aber noch nicht ad acta gelegt. Dem Polizisten kann noch ein Verfahren wegen ­Beschimpfung drohen. Das Strafmass wäre in diesem Falle jedoch deutlich geringer als bei Rassen­diskriminierung.

Der Migrationsforscher Esteban Pineiro von der Fachhochschule Nordwestschweiz sieht ein grösseres Problem als nur den unlängst entschiedenen Gerichtsfall. In den letzten Jahrzehnten habe sich ein gesellschaftliches Klima gebildet, das Diskriminierung mehr und mehr zulässt. «Sei es die Ecopop- oder Masseneinwanderungsinitiative: Diskriminierende Äusserungen werden immer mehr salonfähig.»

Bedenklich sei auch, dass die ­Äusserungen von einem Staatsvertreter geduldet werden: «Wenn ein Polizist so etwas sagt, dann ist es viel gravierender, als wenn es ein Normalbürger sagt», ist Pineiro überzeugt. Denn gerade ein Polizist müsse «ohne Vorurteile handeln».

Es ist juristische Wortklauberei, die nichts mit der Realität zu tun hat.

Im Urteil werden auch allgemeine Grundsätze zur Verfolgung von Rassismus definiert. «Schwarze Sau» und «Drecksjugo» werden als Rassendiskriminierung geahndet. «Drecksnigerianer» dagegen nicht. Begründung: Einmal ist es die Rasse, das andere mal die Nationalität. Und ein Vergehen gegen eine bestimmte Nationalität soll keine Rassendiskriminierung sein.

Das ist juristische Wortklauberei, die nichts mit der Realität zu tun hat. Pineiro meint dazu: «Die begriffliche Nähe dieser Schimpfwörter verwischt den Fakt, dass beide diskriminieren – auch wenn nur eines der beiden als rassistisch gilt.»

Nach dem Gerichtsfall drängt sich eine weitere Frage auf: Was hat der Begriff «Rasse» eigentlich im ­Gesetz zu suchen? «Rasse», das ­erinnert an verstaubte Nazi-Ideologie. Soziologen verwenden den ­Begriff längst nicht mehr. Sie sprechen von sozialer Konstruktion und ima­ginierten Gemeinschaften. In den Rechtswissenschaften ist das anscheinend nicht angekommen. Der Rasse-Begriff hält sich hartnäckig im Vokabular. Selbst in der UNO-Charta ist von «race» die Rede.

Praxisferne Begriffe

Das stört Strafrechtsprofessor Vest nicht: «Natürlich existiert die Kategorie Rasse primär in den Köpfen, aber es gibt, anthropologisch gesehen, durchaus unterscheidbare physische Erkennungsmerkmale von Grossrassen.» Soziologiestudenten wären nach diesem Satz aus Vests Vorlesung gelaufen. Er lässt sich aber nicht beirren: «Für mich ist die Frage entscheidend, ob der Begriff im juristischen Sinne von Nutzen sein kann. Und das ist er allemal.»

Der Migrationsforscher Pineiro erklärt dazu in der Manier eines Sozialwissenschaftlers: «Indem wir die Kategorie ‹Rasse› benennen, produzieren wir sie gleichzeitig.»

Wozu ist der Begriff «Rasse» dann also gut? Es brauche in der Praxis griffige Anhaltspunkte, sagt Pineiro. «Es darf kein abgehobener akademischer Begriff sein, mit dem juristisch hantiert wird.» So weit, so gut. Aber muss es ein Begriff aus dem vorletzten Jahrhundert sein?

Eine Alternative schlägt der Rechtssoziologe Tarek Naguib vor: «Es wäre sinnvoll, darüber nachzudenken, anstatt von ‹Diskriminierung aufgrund der Rasse, Ethnie oder Religion› nur von ‹Diskriminierung› zu sprechen.» Die Gesetzeslage in der Schweiz könne man durchaus als «lasch» bezeichnen. Daher müsse man auch darüber nachdenken, die Diskriminierungsgesetze zu reformieren.

Bis zu einem neuen Gesetz ist es allerdings ein langer Weg. Und es sieht auch nicht danach aus, dass ein Ausbau der Anti-Rassismus-Strafnorm mehrheitsfähig wäre.

Artikelgeschichte

Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 28.02.14

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