Rückwärtsgewandt und unausgegoren

Die Familieninitiative zementiert ein überholtes Familienbild.

(Bild: akg-images / Rabatti - Domingie)

Die Familieninitiative zementiert ein überholtes Familienbild.

Hört man der SVP zu, wenn sie ihre Familieninitiative erklärt, und liest man das Argumentarium, so stellt man schnell fest, dass es für die Partei zwei Kategorien von Familien gibt: die Familie, die ihre Kinder selbst betreut, und die Familie, die ihre Kinder fremdbetreuen lässt. Fertig. Diese Kategorien aber werfen einige Fragen auf.

Das fängt für mich schon grundsätzlich an: Was ist überhaupt eine Familie? Wo positioniere ich mich als Alleinerziehende? Was ist mit Familien, die ihr Kind einen Tag in der Woche in die Tagesstätte schicken und den Rest der Woche selbst betreuen? Was, wenn das Kind über Mittag zu den Nachbarn geht? Ist das dann schon Fremdbetreuung? Oder erst, wenn ich dafür zahle?

Keine Wahl

Die Wahl jedenfalls, ob ich als Alleinerziehende mein Kind selbst betreue oder fremdbetreuen lasse, ist für mich beschränkt. Auch, ob ich arbeiten gehen will oder nicht.

Meine Situation kann jedenfalls im Kategorien-Denken der SVP nicht als Modellfall gelten. Ich bin alleinerziehend beziehungsweise obhutsberechtigt, teile das Sorgerecht mit dem Vater, mit dem ich nie verheiratet war. Ich arbeite 90 Prozent, um meiner Tochter und mir ein annehmbares Leben zu gestalten, der Vater 80 Prozent.

Meine achtjährige Tochter geht fünf Vor- und zwei Nachmittage zur Schule. ­Einen schulfreien Nachmittag betreue ich sie, einen zweiten der Vater. Zwei Tage pro Woche übernimmt meine Mutter die Betreuung. Und an einem Tag isst die Tochter über ­Mittag bei einer Schulkollegin, ­deren Mutter einen privaten Mittagstisch organisiert hat. Dafür bezahle ich zwar etwas, ich kann aber ­keinen Steuerabzug machen, weil der Mittagstisch kein offizieller ist.

Das Ganze wirkt ein wenig verlogen

Würde die Familieninitiative angenommen, gehe ich davon aus, dass ich künftig Eigenbetreuungs­kosten abziehen könnte. Stimme ich deshalb also Ja?

Nein. Denn das Ganze käme mir einerseits ziemlich verlogen vor, wenn ich bedenke, wie viel ­Eigenbetreuung unter der Woche tatsächlich auf mein Konto geht: Wenn ich keine Kosten zu verzeichnen habe, so denke ich, gibt es auch nichts ­abzuziehen. Die freien Stunden, die ich mit meinem Kind verbringe, rechne ich nicht in Münzen um – dazu sind sie zu wertvoll.

Die Abzüge für die Gratisarbeit der Grosseltern machen die Doppel­verdiener-Eltern.

Andererseits – und dies ist der viel wichtigere Punkt – stört mich zu sehr, was für ein Familienbild mit dieser Initiative transportiert und propagiert wird. Die Kritik, sie würde ein «rückwärtsgewandtes» Familienmodell fördern, lässt die SVP nicht ­gelten. Um ihr – nach eigener Aussage – «modernes Familienbild» zu stützen, zitiert die Partei dann in vollem Ernst Jeremias Gotthelf, einen Pfarrer und Dichter aus dem 19. Jahrhundert: «Zu Hause muss beginnen, was leuchten soll im Vaterland!»

Grosseltern arbeiten gratis

Es gehe um Geborgenheit, um Wertevermittlung. Die Forderung nach einem allgemeinen und um­fassenden Kinderbetreuungsabzug habe aber nichts mit einer «Frau an den Herd»-Ideologie zu tun. Schliesslich könnten auch Grosseltern den Kindern Geborgenheit und Werte vermitteln, wenn beide ­Elternteile arbeiten möchten. Tagesstätten und ­Tagesmütter können das in den Augen der SVP also nicht. Meine Erfahrung ist eine andere.

Noch bedenklicher hingegen ist, dass die SVP als Hauptargument der Initiative anführt, es sei notwendig, die Eltern steuerlich dafür zu entlasten, dass sie Betreuungsarbeit leisten. Und dann anführt, diese Aufgabe könnten ja auch die Grosseltern oder andere Verwandte übernehmen. Gratis natürlich. Die Abzüge für deren Arbeit machen dann in diesem erweiterten Familienmodell die Doppel­verdiener-Eltern.

Finanzielle Einbussen

«Unausgegoren» ist das Wort, das mir zur Fami­lieninitiative einfällt – selbst wenn ich so wichtige Fragen ausklammere wie jene, welche finanziellen Folgen die Annahme der Initiative für Bund und Kantone hätte. Oder was es bedeuten würde für Eltern, die tatsächlich Geld für Fremdbetreuung ausgeben ­müssen, wenn man die Initiative kostenneutral umzusetzen versuchte und sie deshalb in Basel statt wie bisher maximal 10’000 Franken nur noch 900 Franken im Jahr abziehen könnten, wie Finanzdirektorin Eva Herzog sagt. Schliesslich hat der Kanton Basel-Stadt diese Abzüge vor zwei Jahren nicht grundlos fast verdoppelt.

Die Initiative zielt an der Realität vorbei.

Nein, mit dem kurzen Initiativtext sind wichtige Fragen nicht geklärt, wie beispielsweise jene nach Mischlösungen – die in unserer Zeit laut Statistik zwei Drittel der Familien betreffen. Zum Beispiel ­diese: In meiner Situation, wo der Vater, der von mir getrennt lebt, ebenfalls einen Teil der Betreuung übernimmt – wer darf denn da den Abzug machen? Ich gehe davon aus, dass ich als Obhutsberechtigt das sein würde. Doch ist das dem Vater gegenüber fair? Oder dürfen dann beide die Eigenbetreuung von den Steuern abziehen? Wohl kaum.

Die Initiative zementiert ein überholtes Familien­bild – auch wenn die SVP dies bestreitet. Die for­mu­lierten Kategorien sind schlicht nicht zeitgemäss. Im Gegenteil: Sie zielen komplett an der Realität vorbei.

Artikelgeschichte

Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 01.11.13

In der Redaktion des Textes hat sich leider ein Fehler eingeschlichen. So kommt es, dass in der Printversion der Satz steht: «Noch bedenklicher hingegen ist, dass die SVP als Hauptargument der Initiative anführt, es sei notwendig, dass die Eltern Betreuungsarbeit leisten, wenn sie dafür steuerlich entlastet werden.» Das stimmt natürlich nicht, weshalb der Satz korrigiert wurde.

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