Die auf das Schüren xenophober Ängste bauende SVP-Propaganda hat verfangen: Die Schweiz sagt Ja zur Initiative «Gegen Masseneinwanderung». Alle Konsequenzen einmal mehr ignorierend entscheidet sich die (be-)stimmende Mehrheit für die Abschottung.
Zum Schluss wurde noch die Burkaträgerin von den Plakaten der erfolgreichen Anti-Minarett-Initiative hervorgekramt. Als ob die Islamisierungsbekämpfer noch von der Notwendigkeit der Einwanderungsbegrenzung hätten überzeugt werden müssen. Mit der verhüllten Muslima als Feindbild zeigten die Einwanderungsgegner ihr wahres Gesicht.
Ganz unerwartet kommt das Resultat nicht. Die Zustimmung zur SVP-Initiative «Gegen Einwanderung» war von Anfang des Jahres bis zur letzten Umfrage vor der Abstimmung von 36 auf 49 Prozent geklettert. Nach einem waschechten Auszählungskrimi lautete das Endresultat 50,34 zu 49,66 für die Abschottungsinitiative.
Der Graben wird tiefer
Das Resultat spaltet die Schweiz. Einmal mehr. Mit Ausnahme des Tessins wurde die Abstimmung dort gewonnen, wo die Folgen der Einwanderung am wenigsten spürbar sind. Der Graben teilt deutsch und welsch, progressiv und konservativ, urban und ländlich. Er teilt auch Basel in Stadt (61% Nein) und Land (50,6% Ja).
Die Misere haben sich der Bundesrat und die an der Personenfreizügigkeit am stärksten interessierten Kreise weitgehend selbst zuzuschreiben. Volkswirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann wähnt sich in einem Land, in dem Vollbeschäftigung herrscht, und machte während des Abstimmungskampfes den Eindruck, von jeder negativen Begleiterscheinung der Einwanderung zum ersten Mal zu hören. Und je eindringlicher die Wirtschaftsverbände vor den Folgen eines Ja warnten, desto grösser wurde die Zustimmung.
Die Wirtschaftsverbände haben ihr Vertrauen längst verspielt
Dass die Wirtschaft von der Zuwanderung profitiert, ist selbst jenen klar, die der Ansicht sind, dass «uns die Ausländer die Arbeitsplätze wegnehmen». Und mit regelmässigen Schlagzeilen über Lohndumping und illegal Beschäftigte aus Osteuropa hatten die Unternehmer ihre eigene Glaubwürdigkeit schon lange vor dem Abstimmungskampf unterwandert. Wären die flankierenden Massnahmen von Anfang an konsequent durchgesetzt worden und kämen gegen das Gesetz verstossende Unternehmer nicht bis heute weitgehend ungeschoren davon, wäre die Situation eine ganz andere gewesen.
Die Kampagne der Wirtschaftsverbände strich die Vorteile heraus, die wir von der Personenfreizügigkeit haben. Ganz nebenbei wurde damit als selbstverständlich und moralisch vollkommen in Ordnung taxiert, sein Handeln ausschliesslich von der eigenen Kosten/Nutzen-Rechnung abhängig zu machen. Im Kern zielte die Kampagne von Economiesuisse & Co. auf die Angst, diese Vorteile und damit Wohlstand zu verlieren. Diese Art der Propaganda beherrscht die Gegenseite besser.
Das Ende des bilateralen Weges?
Für die Schweizer Wirtschaftspolitik ist die Annahme der Initiative in jeder Hinsicht eine Katastrophe. Wie es weitergehen soll, ist vollkommen unklar. Den bilateralen Weg mit der EU sehen Leute wie FDP-Nationalrat Ruedi Noser «wohl am Ende».
Die Baselbieter CVP-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter hat auch keine bessere Idee, als «die SVP in die Verantwortung» zu nehmen. Mindestlöhne, allgemeingültige Gesamtarbeitsverträge und andere griffige Massnahmen zum Arbeitnehmerschutz werden dabei kaum herauskommen.
Im internationalen Wettbewerb fürchtet die Schweizer Wirtschaft nicht zuletzt den Verlust des erleichterten Zugangs zum EU-Binnenmarkt. Jeder dritte Arbeitsplatz in der Schweiz hänge davon ab, sagte Economiesuisse im Vorfeld der Abstimmung. Tatsächlich wird Brüssel eine einseitige Beschränkung der Personenfreizügigkeit nicht reaktionslos hinnehmen. Auf Seiten der EU kann man sich aber erst mal komfortabel zurücklehnen und abwarten, wie die Schweiz das fatale Volksverdikt umzusetzen gedenkt.
Mit dem Ja zur Einwanderungsbegrenzung zementiert die Schweiz das Klischee von der Rosinenpickerin, die genau so lange bei etwas mitmacht, wie sie selbst davon profitiert. Sobald das Umfeld schwieriger wird und nur schon Zweifel an der positiven Bilanz aufkommen, klinkt sie sich aus.
Keine besonders vorteilhafte Ausgangslage für Verhandlungen. Und auch sonst kein sonderlich attraktives Image.