Schweizer Fernsehen: Der Einzeltäter und das Establishment

Die manipulierte Tonspur im Spielbericht zum Zürcher Derby muss weiter zu reden geben. Die Unterdrückung von Informationen über politische Aktivitäten von unten signalisiert die Nähe von SRG und SRF zur Macht.

Lerre Raenge vor dem Fussballspiel der Super League Grasshopper Club Zuerich gegen den FC Zuerich am Sonntag, 12. Mai 2013. Am 9. Juni kommt die Kantonale Abstimmung des Gesetz ueber den Beitritt zum Konkordat ueber Massnahmen gegen Gewalt anlaesslich von (Bild: Walter Bieri / Keystone)

Die manipulierte Tonspur im Spielbericht zum Zürcher Derby muss weiter zu reden geben. Die Unterdrückung von Informationen über politische Aktivitäten von unten signalisiert die Nähe von SRG und SRF zur Macht.

Der Vorgang ist geklärt – «es war Manipulation» –, der Täter ist geständig – «ein einzelner Journalist» – das Unternehmen ist betroffen – «wir entschuldigen uns» –, der Experte hat gesprochen – «es wäre gegen das Gesetz» –, es war menschliches Versagen unter mildernden Umständen – «es geschah unter Zeitdruck» –, der Ombudsmann untersucht – «es sind zwei Beschwerden eingegangen» –, das Unternehmen ergreift Massnahmen – «um eine solche Fehlleistung in Zukunft zu verhindern» –, und die Chefs sind in Sitzungen, wie der «Tages-Anzeiger» berichtet. Wir könnten also zur Tagesordnung übergehen.

Können wir nicht.

Der bedauernswerte Einzeltäter

Der Einzeltäter ist zu bedauern. Ich möchte nicht in seiner Haut stecken, egal, warum er an dem Film im «sportpanorama» herumgefummelt hat. Wenn sein Kopf nicht rollt, so steckt er doch ordentlich Prügel ein. Und wird auch sein Name nicht genannt (wie lange noch?), so wird er doch öffentlich an den Pranger gestellt. Ob er nun aus lauter Unbedarftheit den Protest der Fans gegen das Hooligan-Konkordat mit Jubelgesängen ersetzt hat – «the show must go on!». Oder ob er das Schweigen der Fans übertönen wollte, weil der Protest in seiner ganzen politischen Garstigkeit nach seiner Auffassung (und dann wohl auch der Auffassung seiner Vorgesetzten) nicht an ein Fussballfest gehört.

Tatsache ist: Der Mann (es ist wohl ein Mann, wenn das Verlautbarungswort «einzelner Journalist» korrekt ist), – der Mann hat in einer Tradition gehandelt. Die Tradition heisst: Sportveranstaltungen sind ein Politik-freier Raum. Das wollen die Verbände so, und das will das Fernsehen so. Findet irgendwo auf den Tribünen oder auf dem Spielplatz eine politische Kundgebung statt, so schwenkt die Kamera zügig weg von den Tätern, und der Kommentator erwähnt verlegen und verklemmt, dass da etwas ungehörig Politisches geschieht. Und vielleicht schwankt er noch zwischen «eigentlich Meinungsfreiheit» und «hier fehl am Platz».

Öffentlichkeit für die Mehrheit

Es sei denn, der politische Protest wird zur Mehrheitsmeinung. Wie im Fall der Rassendiskriminierung, gegen die bei den Olympischen Spielen 1968 die beiden Amerikaner Tommie Smith und John Carlos auf dem Siegerpodest mit erhobener Faust protestierten (der Australier Peter Norman trug den Anstecker des «Olympic Project for Human Rights»). Die beiden Schwarzen, Smith und Carlos wurden damals noch von den Olympischen Spielen ausgeschlossen.

Heute ist der Anti-Rassismus offizieller Teil des internationalen Fussballs auch wenn es wieder Jahrzehnte braucht, bis von der FIFA bis in die nationalen Ligen durchgreifende Massnahmen erfolgen (letztes Wochenende wurde in Italien immerhin das Spiel AS Roma – AC Mailand wegen rassistischer Gesänge gegen Mario Balotelli unterbrochen, und Sepp Blatter findet die Geldstrafe von € 50’000 für die AS Roma zu milde).

Wenn ein politisches Thema auf öffentlichen Druck (der Medien) hin mehrheitsfähig wird und geeignet für die Imagepflege, findet es also auch bei Sportveranstaltungen seinen Platz. Aber nur dann.

Für den Protest gegen das Hooligan-Konkordat gilt das noch nicht. Im Gegenteil. Krawalle stören das heile Bild der Sport- und Unterhaltungs- und Medienmaschinerie, und unter diesem Druck will die Politik mit dem verschärften Hooligan-Konkordat Tatkraft zeigen. Obwohl die sogenannte «Spirale der Gewalt» ein Phantasiegebilde ist – Statistiken zeigen eher eine Abnahme der Hooligan-Gewalt -, und obwohl das Beispiel des immerhin führenden Schweizer Fussballvereins, des FC Basel, zeigt, dass die direkte Auseinandersetzung, der Dialog mit den Fans, die besten Früchte trägt (mehr dazu auch in unserem Dossier Fanverhalten).

Die Nähe zum Establishment

Aber die Konferenz der Kantonalen Justizdirektoren hat nun einmal die Erweiterung des Hooligan-Konkordats beschlossen, und so wird es auch Basels Kantonsregierung ins Parlament bringen – wo es dann nach Ansicht fachkundiger Beobachter wohl versenkt wird. Trotzdem: Fanproteste gegen dieses politische Schaulaufen passen nicht ins Bild.

So hat der Einzeltäter in der Sportredaktion des Schweizer Fernsehens doch nur im Interesse der versammelten Obrigkeit gehandelt. Im Interesse des Schweizerischen Fussballverbands und der Vereine, die ihre plakativen Anstrengungen gegen die Fan-Gewalt mit dem neuen Konkordat ungestört über die Bühne ziehen wollen. Im Interesse der Kantonalen Justizdirektoren, die damit politische Handlungsfähigkeit demonstrieren. Vielleicht auch im Interesse von Vermarktungs-Unternehmen, die ebenfalls eine heile, Politik-freie Sportwelt präsentieren wollen (alles andere wäre geschäftsschädigend). Und im Interesse des Schweizer Fernsehens, das einmal mehr «sauberen Sport» präsentieren konnte. Auch wenn dieses Wort vom «sauberen Sport» in diesem Fall unangenehm an das Wort vom «gesäuberten» Sport erinnert.

Das eng verflochtene Establishment von Medien, Unterhaltungsindustrie, Sport und Politik wäre eigentlich ganz gut bedient mit der kleinen Manipulation des «Einzeltäters» vom Leutschenbach. Wenn sie nicht aufgeflogen wäre.

Unterdrückte Information von unten

So bleibt die offenkundige Tatsache, dass im «sportpanorama» des Schweizer Fernsehens Information über eine politische Aktivität unterdrückt wurde. Das ist eine journalistische Todsünde (und diese Feststellung soll sich nicht gegen den unglücklichen «Einzeltäter» richten!). Und vor allem: Es wurde Information unterdrückt über eine politische Aktivität von unten.

Und das ist kennzeichnend: SRG und SRF sind beileibe keine Staatssender – das wäre die übliche Verunglimpfung. Aber SRG und SRF sind als Institutionen und im Programm nahe der «Politik», nahe der «Wirtschaft», nahe der «Kultur», nahe dem «Sport» – und mit Politik, Wirtschaft, Kultur, Sport ist immer die Führungsschicht, das Establishment in diesen Bereichen gemeint.

In dieser Kultur der Verfilzung und Verflechtung mit dem Establishment, in der «die da unten» durchgehend als Teil des Dekors behandelt werden, – in dieser Kultur hat der «Einzeltäter» gehandelt. An dieser Stelle müssten die Chefs in ihren Sitzungen über die Bücher gehen.

Dieser Artikel erschien erstmals auf Infosperber.

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