Mit ihrem Sanierungspaket für das zypriotische Banken- und Finanzsystem haben EU, Europäische Zentralbank und IWF die Büchse der Pandora geöffnet: Die Sparkonten von Kleinanlegern sind nicht mehr vor dem staatlichen Zugriff sicher. Das zypriotische Parlament, das dem Deal den Segen geben muss, steht vor einer folgenschweren Entscheidung.
«Betrug am kleinen Mann», «staatlicher Bankraub», «Krieg gegen die Sparer» sind noch die harmloseren Reaktionen auf das von den EU-Finanzministern für Zypern verordnete Sanierungspaket. «Wir werden von Verbrechern regiert, von Marionetten der Konzerne – in der Schweiz auch Politiker genannt», ist dann schon eine deftigere Aussage.
Die heftigen Reaktionen sind verständlich; schliesslich soll von allen in Zypern geführten Bankkonten eine «Sonderabgabe» von 6,9 Prozent (Bankeinlagen bis 100’000 Euro) und 9,9 Prozent (für Einlagen über 100’000 Euro) erhoben werden. So jedenfalls wurde es mit der EU, der Europäischen Zentralbank und dem IWF in der Nacht auf letzten Samstag ausgehandelt.
Grosse Bedenken im Parlament
Zyprioten, die noch schnell ihre Konten auflösen wollten, hatten am Samstag keine Chance, und weil der heutige Montag in Zypern ein Feiertag ist, dürfte der Mist erst am Dienstag geführt werden. Wenn sich das zypriotische Parlament an seiner Sitzung nicht noch quer legt.
Im Laufe des Montags wurde immer deutlicher: Im zyprischen Parlament gibt es für die Zwangsabgabe grosse Bedenken. Die beiden Parteien, die die Regierung stützen, verfügen nur über 28 der 56 Mandate im Parlament. Die Oppositionsparteien werden gegen die Vorlage stimmen, und auch im Kreis der Regierungsparteien gibt es Widerstände.
Zypern steht vor der Wahl zwischen Pest und Cholera.
Ob das Parlament den Mut hat, die «Sonderabgabe» abzulehnen, steht in den Sternen, denn Zypern steht vor der Wahl zwischen Pest und Cholera. Lehnen die Politiker das Sanierungspaket rundweg ab, droht dem masslos aufgeblähten Bankensystem ein unkontrollierter Bankrott, der dann auch den Staat ergreifen würde; es droht der Rauswurf aus der Euro-Zone, die sofortige Abwertung der neuen Währung um bis zur Hälfte, Arbeitslosigkeit.
Es droht ein Run auf die Banken
Stimmt das Parlament zu, droht ein Run auf die Banken, die Abwanderung etlicher ausländischer Anleger – und beim nächsten Urnengang mit Sicherheit die Abwahl. Womöglich schrauben die Zyprioten noch ein wenig an der Höhe der Sonderabgabe und an den Belastungslimiten (eine Abgabe von 15 Prozent ab 500’000 Euro soll im Gespräch sein, und eine nur ganz kleine oder sogar keine Abgabe für Einlagen unter 100’000 Euro).
Je stärker freilich die höchsten Vermögen belastet werden, umso ungehaltener dürfte der grosse Bruder in Moskau reagieren – denn reiche Russen haben zwischen 20 und 30 Milliarden Euro auf zypriotischen Banken liegen. Aus diesem Grund hat Putin das Vorgehen der EU als «ungerecht, unprofessionell und gefährlich» bezeichnet. Wie auch immer: Zypern muss rund sechs Milliarden Euro bei seinen Banken eintreiben, sonst entfallen auch die Sanierungsmilliarden aus der EU.
Mit der «Sonderabgabe» auf allen Bankeinlagen haben EU, EZB und IWF ein Tabu gebrochen.
Mit der «Sonderabgabe» auf allen Bankeinlagen haben EU, EZB und IWF nicht nur eine harte Massnahme getroffen – sie haben auch ein Tabu gebrochen. Im ganzen Euro-Raum sind nämlich Bankeinlagen bis 100’000 Euro in ihrer Substanz garantiert – auch in der Schweiz gibt es eine solche Garantielimite von 100’000 Franken.
Ein massiver Vertrauensbruch
Wenn nun die Finanzminister der Eurozone Konten schröpfen, die unter diese Garantie fallen, tun sie etwas, das eigentlich illegal ist, und – schlimmer noch – geeignet, das Vertrauen in die Sicherheit von Spareinlagen zu zerstören.
Was den Zyprioten seit Samstagnacht widerfährt, ist ein starkes Signal an Bankkunden in anderen krisengeschüttelten Ländern wie Italien, Spanien, Portugal, Irland – von Griechenland ganz zu schweigen. Wenn sie zum Schluss kommen, ihre Bankeinlagen seien nicht mehr sicher, werden sie ihre Konten räumen – mit verheerenden Folgen für Banken in diesen Ländern, denn einen richtigen Run hält auch die stärkste Bank nicht aus.
Der Raubzug auf die Spargelder des Mittelstands ist hochgradig unethisch – und dumm.
Doch selbst wenn das nicht so dramatisch abläuft, werden alle europäischen Volkswirtschaften – auch jene der Schweiz – die Folgen des Massnahmenpakets spüren. Die Börsen von Tokio bis Wall Street haben wegen Zypern bereits einen Taucher gemacht; der Goldpreis ist deutlich gestiegen; der Euro-Kurs schmiert ab und gerät in gefährliche Nähe zur 1.20-Franken-Limite der Nationalbank.
Ein schwacher Euro und einbrechende Börsen würden einen Schaden anrichten, der weit über das bisschen Geld hinausgeht, das Zypern für seine Sanierung braucht. Der Raubzug auf die Spargelder des zypriotischen Mittelstands ist also nicht nur hochgradig unethisch – er ist auch dumm.