Mit dem Halbfinal-Einzug in Melbourne hat Stan Wawrinka den Druck, der auf ihm als amtierendem Champion lastete, ausgehalten. Er, der am Schweizer Davis-Cup-Triumph einen grossen Anteil hat, verkörpert nun auch einen Teil der neuen Tennis-Anordnung.
Es gibt immer noch genügend Fans und Experten, die etwas verwundert auf die Weltrangliste schauen. Dann nämlich, wenn sie den Namen Stanislas Wawrinka ganz vorn in der Hierarchie des Tennisbetriebs erblicken, inzwischen nicht mehr bloss in den Top Ten, sondern sogar in den Top Five. Doch wenn es eines neuen, massgeblichen Beweises für Wawrinkas inzwischen herausgehobene Position bedurfte, hat der Romand ihn nun beim Australian Open 2015 geliefert.
Wie der fast dreissigjährige Routinier unter die letzten vier dieses ersten Major-Wettbewerbs der Saison einzog, war in Form und Gestalt beispielhaft – der neben Roger Federer zweite Eidgenosse in der Führungsmannschaft dieses globalen Sports geriet soweit nie ernsthaft in Gefahr, steigerte sich bei seinen Auftritten von Spiel zu Spiel mehr und ist nun schon wieder in Schlagdistanz zum Titel. Zu jenem Titel, der ihm im Vorjahr den eigentlichen Karriere-Durchbruch verschaffte.
Was immer auch noch kommen mag in den letzten Turniertagen von Melbourne, so viel ist schon klar: Wawrinka hat den Druck, der auf ihm als amtierendem Champion lastete, ausgehalten. Nicht mehr als das gesunde Lampenfieber vor jeder seiner einzelnen Grand-Slam-Herausforderungen zeigte Wawrinka, nicht mehr als ein paar kleine Psychokämpfe trug er, der Perfektionist, mit sich selbst aus.
Auf seine späten Tage hat sich Wawrinka zu einem seriösen Bewerber um die grossen Siegerpokale entwickelt.
Doch einen strauchelnden, überforderten, zweifelnden Wawrinka gab es nicht zu sehen. Auch ehemalige Stars der Branche, wie etwa die Altmeister Jim Courier oder Mats Wilander, zeigten sich angetan vom Waadtländer, der sich auf seine späten Tage nun zum tatsächlich regelmässigen, seriösen Bewerber um die grossen Tennis-Pokale entwickelt hat.
Geholfen, zu dieser Statur zu finden, hat ihm offenbar noch einmal das gewonnene Davis-Cup-Finale im französischen Lille. Wawrinka war dabei der keineswegs klammheimliche Leader in der schweizerischen Nationalmannschaft, der Mann, der auch den angeschlagenen Federer zu einer letzten Energieanstrengung mitriss. Federer wusste, warum er später sagte, dass dieser Sieg allen anderen mehr als ihm gehöre, vor allem aber Wawrinka.
Zufall oder nicht, dass nun auch beim Australian Open eine Tennis-Anordnung zu besichtigen ist, die – zugegeben – noch weiter gewöhnungsbedürftig erscheint, aber vielleicht auch schon ein Stück Normalität ist: Federer, der 33-jährige Familienvater und 17-malige Grand-Slam-Champion, ist aus den Ausscheidungsspielen herauskatapultiert. Und Wawrinka kämpft in Absenz seines Freundes und Idols noch um die Siegertrophäe.
In drei Sätzen setzte sich Stan Wawrinka gegen Kei Nishikori (rechts) durch und trifft nun im Halbfinal auf Novak Djokovic, der gegen Milos Raonic ebenfalls souverän gewann. (Bild: Reuters/ATHIT PERAWONGMETHA)