Türken raus, aber subito!

Sollten Erdogan-Anhänger die Schweiz verlassen? Wer das fordert, offenbart ein problematisches Verständnis von Demokratie.

Ganz im Geiste Erdogans: die problematische Forderung, Anhänger des türkischen Präsidenten sollten die Schweiz verlassen.

(Bild: Nils Fisch)

Sollten Erdogan-Anhänger die Schweiz verlassen? Wer das fordert, offenbart ein problematisches Verständnis von Demokratie.

Als Donald Trump zum US-Präsidenten gewählt wurde, war auch in der Schweizer Presse viel davon zu lesen, dass dies halt die Quittung dafür sei, die Sorgen und Nöte eines Teils der amerikanischen Bevölkerung vernachlässigt zu haben. 

Bei allem Widerwillen forderte keiner, jene US-Amerikaner in der Schweiz, die Trump ihre Stimme gaben, mögen doch bitte umgehend das Land verlassen: «America first? Dann pack deine Koffer.»

Warum eine erschreckend grosse Zahl an Franzosen der rechtsextremen Marine Le Pen folgt, wurde in den vergangenen Wochen rauf und runter dekliniert: der Niedergang der Industrie, die sozialen Konflikte in den Einwanderervierteln, die gebrochenen Versprechen der etablierten Politiker.

Sollte Le Pen am Wochenende vorne liegen, werden dann Schweizer Politiker und Medien von Le Pens Wählern in der Schweiz verlangen, sie sollen doch bitte in den nächsten TGV steigen?

Vermutlich nicht.

Jenen in der Schweiz lebenden Türken, die an Ostern für die Verfassungsreform stimmten und sich hinter Erdogans Allmachtsfantasien stellten, wird nicht so verständnisvoll begegnet. Der linksliberale «Tages-Anzeiger» spricht von «zynischem Verhalten»:

Sie haben für die Abschaffung der Demokratie in ihrem Heimatland gestimmt, müssen aber die verheerenden Folgen ihrer Entscheidung nicht tragen, denn sie leben wohlbehütet in westlichen Demokratien.

Das deutsche Leitmedium «Spiegel» äussert sich in seiner Internet-Ausgabe ähnlich. Und der «Blick» fordert zum wiederholten Mal, wer hinter Erdogan stehe, habe in der Schweiz nichts verloren:

Die etwas mehr als 19’000 Türken aber, die von hier aus mit ihrem Ja diktatorische Verhältnisse in ihrer Heimat ermöglichen: Überlegt euch, was ihr in der Schweiz verloren habt. Wer die Türkei auf den Weg in die Diktatur schickt, sollte diesen Weg auch selber mitgehen.

Auch der Aargauer BDP-Nationalrat Bernhard Guhl haut auf die digitale Tischplatte:

Diese Haltung ist so problematisch wie widerspruchsbehaftet. Auch den Schweizer Fans von Erdogan kann man eine differenzierte Weltsicht zutrauen. Sie können das Schweizer System für die Schweiz als passend erachten – und zugleich die Zukunft der Türkei nur in einem brachialen, autoritären Nationalismus sehen.

Man muss diese Auffassung nicht teilen, aber man sollte sie respektieren, wenn man sich im Namen der Demokratie äussert. 

Wer jene Menschen ausschliesst, die nicht die noch so vernünftige Mehrheitsmeinung teilen, der handelt eher im Geist Erdogans als in jenem der pluralistischen Gesellschaft, die er angeblich vertritt. Oder würden wir es für akzeptabel halten, wenn Deutschland oder Frankreich jene Auslandschweizer vor die Tür stellen würden, die für die EU-feindliche SVP stimmen?

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