Unheilige Allianz gegen den Hunger

Das rot-grüne Basel will an der Expo Milano 2015 einen wichtigen Beitrag im Kampf gegen den Hunger leisten. Dabei arbeitet sie auch mit einem umstrittenen Partner zusammen.

Industrieller Anbau oder agrarökologische Methoden? Die Nahrung wird knapp für die wachsende Weltbevölkerung – über die Massnahmen, die aus der Krise führen sollen, herrscht ein Richtungsstreit (Bild: Flüchtlinge aus dem Sudan mit der Wochenration an Lebensmitteln). (Bild: Peter Menzel / Agentur Focus)

Das rot-grüne Basel will an der Expo Milano 2015 einen wichtigen Beitrag im Kampf gegen den Hunger leisten. Dabei arbeitet sie auch mit einem umstrittenen Partner zusammen. Zukunftsträchtiger wäre die Fokussierung auf das Konzept der Agrarökologie.

An der Expo Milano 2015, die am kommenden 1. Mai beginnt, wird auch die Stadt Basel mit ihrem Hauptsponsor Syngenta vertreten sein. Das Motto der Expo lautet: «Feeding the Planet, Energy for Life» («Den Planeten ernähren, Energie für das Leben»). 

Mit den erwarteten 20 Millionen Besuchern sei die Expo «eine wichtige Plattform zur Vermarktung der eigenen Stärken», schrieb das Präsidialdepartement in einer Medienmitteilung vom September 2013, als das Basler Engagement in Mailand publik gemacht wurde. Und: «Durch ihre Forschung, globale Präsenz und die enge Zusammenarbeit mit ihren Kunden hilft Syngenta, die Ernteerträge und die landwirtschaftliche Produktivität zu steigern. Vorgesehen ist eine konzeptionelle und inhaltliche Integration von Syngenta in den Basler Auftritt.» Basel soll also die Fortschrittsideen von Syngenta zum Thema «Den Planeten ernähren» mitvertreten. Das ist heikel.

Blenden wir zurück. Im Jahr 2002 initiierten die Weltbank und die UNO die bisher umfassendste wissenschaftliche Untersuchung zur Zukunft der Welternährung. Entstanden ist der Weltagrarbericht (International Assessment of Agricultural Knowledge, Science and Technology for Development, IAASTD).

Rund 400 Expertinnen und Experten aller Kontinente und Fachrichtungen beschäftigten sich vier Jahre lang intensiv mit folgenden Fragen: Mit welchen Strategien können Hunger und Armut am effizientesten bekämpft werden? Wie entfaltet Geld die grösste Wirkung zum Nutzen der Armen? Welche Forschung braucht es?

Mehr Produktion hilft nicht gegen Hunger

Gemäss der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) «produzieren wir heute genug Nahrung, um 12 bis 14 Milliarden Menschen zu ernähren». Trotzdem würden weltweit über 860 Millionen Menschen an Hunger leiden. Eine Steigerung der Nahrungsmittelproduktion sei deshalb kein Garant dafür, die wachsende Weltbevölkerung ernähren zu können.
Die Probleme liegen für die UNCTAD anderswo. So fehle etwa vielen Menschen der Zugang zu bezahlbaren Lebensmitteln. Ein grosser Teil der Agrarprodukte wird ausserdem nicht für Lebensmittel verwendet:
• In den USA werden rund 40 Prozent der Maisernte in Agrotreibstoff umgewandelt.
• Rund 98 Prozent des global produzierten Sojamehls wird für Tierfutter verwendet.
• Etwa ein Drittel der weltweiten Lebensmittelproduktion – zirka 1,3 Milliarden Tonnen pro Jahr – geht verloren.
• 2013 machte die Syngenta 40 Prozent ihres Umsatzes mit Pestiziden und Saatgut für den Mais- und Sojaanbau, welche hauptsächlich zu Futtermittel und Agrotreibstoff verarbeitet wurden, nicht aber zu Lebensmitteln.
Aus: Tamara Lebrecht und François Meienberg (Erklärung von Bern): «More Growth than Good», 2014.

Mit dabei waren auch Greenpeace und Syngenta. Doch der Basler Agrarkonzern entschied sich in letzter Minute, aus dem Projekt auszusteigen. Insidern zufolge haben vor allem kritische Bemerkungen zur Gentechnik, zur industriellen Landwirtschaft und zum Welthandel mit Agrargütern zu diesem Entschluss geführt.

Weiter wie bisher ist keine Option

Der über 2000 Seiten umfassende Bericht wurde 2008 in Johannesburg vorgestellt und von 58 Regierungen unterschrieben, darunter auch der Schweiz. Die klare und einfache Botschaft des Weltagrarberichts lautet: Weiter wie bisher ist keine Option.

Will die Weltgemeinschaft die enormen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts bewältigen, dann ist ein radikales Umdenken nötig. Es braucht einen Perspektivenwechsel in der Agrarpolitik und -forschung hin zu einer multifunktionalen Landwirtschaft, die den Erhalt und die Erneuerung der natürlichen Ressourcen und der Artenvielfalt in den Mittelpunkt stellt.

Dieses Ziel, so heisst es in der Zusammenfassung des Weltagrarberichts, könne nur in enger Zusammenarbeit mit Kleinbäuerinnen und Kleinbauern erreicht werden: «Denn die Herausforderungen der kommenden Jahrzehnte sind mit Massnahmen der vergangenen nicht zu bewältigen. Der Weltagrarbericht liefert keine Patentrezepte, sondern warnt im Gegenteil eindringlich davor, an solche zu glauben. Stattdessen bietet er eine umfassende Analyse und etliche Lösungsmöglichkeiten. Über 70 Prozent aller Hungernden der Welt leben auf dem Land. Kleinbäuerinnen, Hirte, Fischer, Landarbeiter und Landlose sind direkt von der lokalen Landnutzung abhängig, können sich davon aber oft nicht ausreichend und sicher ernähren.» Der Zugang der Armen zu Boden, Wasser, Produktionsmitteln, Wissen und Mindestabsicherung in Notsituationen sei der entscheidende Faktor dafür. Hunger und Armut könnten nur auf lokaler Ebene nachhaltig bekämpft werden.

Die Kunst des Zusammenspiels

Ein Schlüsselwort des Weltagrarberichts heisst Agrarökologie: die Kunst des vielfältigen Zusammenspiels. Agrarökologische Konzepte gründen auf traditionellem und lokalem Wissen und verbinden dieses mit den Erkenntnissen und Methoden der modernen Wissenschaft. Ihre Stärken liegen in der Verbindung von Ökologie, Biologie und Agrarwissenschaften, aber auch von kulturellen und sozialen Aspekten.

Die Agrarökologie setzt auf das Einbeziehen des Wissens aller Beteiligten. Entscheidend ist deren praktischer Beitrag zur Lösung komplexer Probleme mit den vor Ort verfügbaren Ressourcen. Dabei wird keine Technologie kategorisch ausgeschlossen oder vorgeschrieben.

Die Agrarökologie ist weder ein perfektes System noch eine universelle Ideologie, sondern eine stetige Annäherung an bestmögliche Lösungen sowie an die jeweiligen örtlichen, ökologischen, kulturellen und sozialen Bedingungen. Olivier de Schutter, früherer UNO-Sonderbeauftragter für das Recht auf Ernährung, beschreibt das so: «Es braucht neue ökologische Landwirtschaftssysteme, die die Natur nachahmen, und nicht industrielle Prozesse; solche, die externe Inputs wie synthetischen Dünger oder Öl ersetzen mit dem Wissen, wie die Kombination von Pflanzen, Bäumen und Tieren die Produktivität erhöhen kann. Dazu ist vor allem auch ein vertieftes Verständnis ko-evolutionärer Entwicklungen und Zusammenhänge nötig.»

Im Weltagrarbericht wird die Gentechnik nicht ausgeschlossen, doch wird ihr Beitrag für die drängenden Probleme der Landwirtschaft als gering eingeschätzt. Zudem würden Patente auf genmanipuliertes Saatgut die lokale Züchtung behindern und den Austausch und Verkauf von Saatgut erschweren. Auch könnten Haftungsfragen wegen unbeabsichtigter Kontaminationen auf die Bauern zukommen.

Strategie des Genug statt des Mehr

Nach der Veröffentlichung wurde der Weltagrarbericht von Industrie und Politik ignoriert, schubladisiert oder lächerlich gemacht. Doch das änderte sich nach drei Jahren.

Im Jahr 2011 erschien ein Bericht des World Watch Instituts über «Innovationen, die die Welt ernähren» – eine Übersicht über hunderte von kleinen und grösseren agrarökologischen Projekten in Afrika, die belegen, welch gewaltige Fortschritte bereits erzielt wurden.

Auch verschiedene UNO-Studien skizzieren mögliche Übergänge zu einer ressourcenschonenden Landwirtschaft. Und eine Studie des Ständigen Ausschusses für Agrarforschung der EU-Kommission geht noch einen Schritt weiter und fordert, künftiger Entwicklungsschwerpunkt müsse der Mangel und nicht das Wachstum sein. Als Alternative zum herrschenden produktivistischen Wachstumsmodell (Wachstum um jeden Preis) schlägt der Ausschuss das sogenannte Suffizienzmodell vor – eine Strategie des Genug statt des Mehr.

Kürzlich zog auch die Welternährungsorganisation (FAO) nach. Sie organisierte zusammen mit Frankreich im September 2014 das Internationale Symposium zu Agrarökologie für Lebensmittelherstellung und Ernährung. Zahlreiche Wissenschaftler und ExpertInnen, etliche Agrarminister und weitere wichtige Entscheidungsträger nahmen teil.

FAO-Generaldirektor José Graziano da Silva zog am Schluss des Symposiums folgende Bilanz: «Die Agrarökologie wächst weiter, in der Wissenschaft wie auch in der Politik. Mit diesem Denkansatz werden wir die Probleme von Hunger und Fehlernährung wesentlich besser angehen können, gerade auch im Kontext von Anpassungen an den Klimawandel.»

Fortschritt oder «green washing»?

Letztes Jahr präsentierte Syngenta mit grossem Presseaufwand ihren «Good Growth Plan», einen Plan für ein nachhaltiges Wachstum. Darin verpflichtet sich der Basler Agrarkonzern, die natürlichen Ressourcen zu schonen, Nutzpflanzen effizienter zu machen, die Biodiversität zu fördern und gute Arbeitsschutzpraktiken zu vermitteln. Ist das nun ein Fortschritt oder «green washing»?

Die Erklärung von Bern (EvB) hat den «Good Growth Plan» einer detaillierten Analyse unterzogen. Darin kritisiert die Nichtregierungsorganisation vor allem, dass der «Good Growth Plan» wichtige Hauptprobleme auf dem Weg in eine nachhaltige Zukunft ausblendet. Dazu zwei Beispiele:

  • Syngenta verpflichtet sich, die Biodiversität zu fördern. Gemäss ihren Angaben habe die Firma in den USA und in Europa bereits gute Erfolge mit der Bepflanzung von Feldrändern mit einheimischen Wildblumen erzielt, um neue Habitate für Bienenpopulationen zu schaffen. Gleichzeitig aber beharrt der Konzern darauf, seine Insektizide auf Neonicotinoid-Basis weiter zu vertreiben. Dies, obwohl etliche Studien aufzeigen, dass gerade diese hochgiftigen Stoffe die Bienen schädigen. Deshalb haben die EU und die Schweiz die Nutzung dieser Gifte für zwei Jahre stark eingeschränkt, gegen heftigen Widerstand von Syngenta. Ein Verzicht auf Neonicotinoide wäre eine ungleich wirkungsvollere Massnahme gegen das dramatische Bienensterben als das Bepflanzen von ein paar Feldrändern.  
  • Syngenta hat sich dazu verpflichtet, Landarbeiter im Umgang mit Pestiziden besser zu schulen. Gemäss einer Einschätzung der FAO ist dies jedoch bloss die drittwichtigste Massnahme im Umgang mit Pflanzenschutzmitteln. Die erste und wichtigste lautet, Pestizide wenn möglich ganz zu vermeiden. Die zweite: weniger gefährliche Mittel verwenden. Doch Pestizide sind das Kerngeschäft von Syngenta: Sie machen rund 75 Prozent des Umsatzes des Konzerns aus. Die Forderung nach weniger gefährlichen Substanzen findet bei der Firma kein Gehör. In Drittweltländern verkauft Syngenta trotz vieler Proteste noch immer das hochtoxische Insektizid Paraquat, das in der Schweiz und in Industrieländern längst verboten ist. Und gemäss der Liste «PAN International List of Highly Hazardous Pesticides» verkauft Syngenta weitere 65 Pestizide, die als hochgefährlich eingestuft werden. Einige davon sind in der Schweiz und andern Industrieländern verboten. Eine Absichtserklärung zur Reduzierung oder zum generellen Verzicht solcher Pestizide sucht man im «Good Growth Plan» vergeblich.

«Nachhaltige Intensivierung» – ein Gummibegriff

In den letzten Jahren tauchte in der internationalen Debatte immer wieder das Schlagwort der «Nachhaltigen Intensivierung des Landbaus» auf. Diese Formel ist so vage, dass sie alles bedeuten kann – sowohl erste Schritte zum Übergang von der industriellen zur agrarökologischen Landwirtschaft als auch das Gegenteil: weiter wie bisher, einfach ein bisschen ökologischer und ressourcenschonender.

Auch die Syngenta bedient sich dieses Begriffs. Für den Agrarkonzern bedeutet er vor allem, dass die Effizienz und Menge der Nahrungsmittelproduktion mit reduziertem Ressourcenverbrauch gesteigert werden muss. «More crop per drop»: mehr Ertrag pro Tropfen Wasser, zur Not vielleicht sogar pro Tropfen Pestizid. Ökologische und soziale Kriterien sind gut, aber Nachhaltigkeit muss sich auch rechnen, und zwar im globalen Massstab.

Auch «Intensivierung» kann vieles bedeuten. Nach der Lesart eines Agrarmultis bedeutet es vor allem: mehr Output durch mehr technologischen Input, also durch mehr Energie, Chemie, Technologie, besseres Saatgut und bessere Maschinen.

Aus der Perspektive der Agrarökologie bedeutet Intensivierung jedoch: optimale Anpassung und Nutzung der verfügbaren Ressourcen – also mehr natürliche Vielfalt, Aufbau der Bodenfruchtbarkeit, mehr Wissen, mehr menschliche Arbeit und Kompetenz sowie die Unterstützung lokaler Ernährungssysteme durch demokratische Beteiligung. Die Auslegung könnte unterschiedlicher nicht sein.

Wie kleinbäuerliche Existenzen vernichtet werden

Natürlich kann man von der Syngenta nicht erwarten, dass sie mit wehenden Fahnen dem Weltagrarbericht und dessen Credo «Weiter wie bisher ist keine Option» zujubelt. Doch vielleicht ist schon jedes noch so kleine Zugeständnis in diese Richtung ein Fortschritt. Das werden die nächsten Jahre zeigen.

Skeptisch stimmt allerdings, dass Syngenta-CEO Mike Mack in erstaunlich polemischem Ton Syngenta-Kritiker als «naiv, politisch oder sonstwie interessengesteuert» qualifiziert und seiner Frau und Tochter öffentlich verbietet, Bioprodukte zu kaufen. Ein offener Dialog scheint da kaum möglich.

Gefährlich wird es dann, wenn mit der Formel «Nachhaltige Intensivierung» Konzernstrategien verkauft werden, die das agrarökologische Konzept unterlaufen. Zum Beispiel, wenn kleinbäuerliche Existenzen vernichtet werden, wenn die Abhängigkeit der Bauern verstärkt wird oder wenn unter dem Deckmantel der Nachhaltigkeit der Einsatz von synthetischen Pestizid- und Düngemitteln weiter erhöht wird.

Im schlimmsten Fall eine Alibiübung

Zur Mailänder Expo 2015 hatte der Basler BastA!-Vertreter Urs Müller Ende 2013 im Grossen Rat nachgefragt, wie der Regierungsrat sicherstellen wolle, dass der Basler Auftritt nicht zur Propagandashow von Syngenta verkomme. Ob garantiert sei, dass das Thema Welternährung nicht bloss einseitig aus der Sicht der Agrarindustrie abgehandelt werde. Ob kontrovers über das Thema informiert werde, und ob einschlägige Organisationen eingeladen worden seien.

Müller nannte als Beispiel das Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) in Frick, dessen Direktor Urs Niggli eine weltweit anerkannte Kapazität in biologischer Forschung und Welternährung ist.
Ebenfalls zu nennen wäre die Stiftung Biovision und deren Präsident, Hans Rudolf Herren, auch ein Schweizer. Herren war Co-Direktor des Weltagrarberichts und erhielt im letzten Jahr den Alternativen Nobelpreis für seinen Einsatz für die Ernährung des Planeten; 1995 wurde ihm der Welternährungspreis verliehen.

Die Basler Regierung antwortete Müller, ihr Expo-Auftritt sei breit abgestützt. Neben der Syngenta hätten auch die Möbelfirma Vitra AG ihr Engagement zugesagt sowie «zahlreiche Institutionen und Organisationen aus den Bereichen Bildung, Logistik, Tourismus und Kultur». Unterschrieben war das Schreiben von Guy Morin, dem grünen Regierungspräsidenten von Basel-Stadt.

Inzwischen hat sich etwas getan. Auf Druck der Grünen möchte Morin in Mailand auch einen «kritischen Dialog» anregen. Nur: welchen denn? Die Liste derjenigen, die neben Syngenta einen Auftritt haben werden, sei noch vertraulich, hiess es in Morins Departement. Doch, so hiess es weiter, die Stiftung Biovision und Hans Rudolf Herren wurden nicht angefragt.  

Syngenta wird, was ja verständlich ist, an der Mailänder Expo 2015 ihre Vision zum Thema «Den Planeten ernähren» vorführen. Basels Aufgabe müsste sein, der Vision der Agrarökologie eine – gleichberechtigte – Plattform zu bieten und für jene Bestreben eine Lanze zu brechen, welche Bauern und Bäuerinnen wieder ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen und sie aus der Schulden- und Armutsfalle befreien wollen.

Es braucht also Personen und Organisationen, die sich in dieser hochbrisanten internationalen Auseinandersetzung gut auskennen. Die Präsentation einiger Basler Bioprojekte, mögen sie noch so interessant sein, sind für einen «kritischen Dialog» mit Syngenta um die Vision «Den Planeten ernähren» kaum geeignet. Es besteht die Gefahr, dass das Ganze zu einer Alibiübung verkommt.


Lesen Sie auch das Interview mit Hans Rudolf Herren.

«Open Source» für Saatgut statt Patente
 

Die Basler Syngenta gehört zu jenen Firmen, die am meisten Patentanträge auf Pflanzen stellen. Warum ist das problematisch?

Ein Patent auf ein Gen oder eine manipulierte Pflanze garantiert dem Inhaber die exklusive Kontrolle über seine «Erfindung». Bäuerinnen und Bauern dürfen aus der Ernte kein Saatgut für die nächste Saison gewinnen, sondern müssen dieses Jahr für Jahr neu beim Patentinhaber kaufen. Forscher dürfen nur mit Erlaubnis und gegen Lizenzgebühren mit solchen Genen forschen, und Züchtern ist es verboten, patentierte und manipulierte Pflanzen für die Weiterzucht zu verwenden.

Das Rückgrat jeder traditionellen und konventionellen Züchtung ist der freie Austausch genetischer Ressourcen. Doch diese Züchtungsgrundlagen geraten angesichts derart restriktiver Schutz- und Monopolansprüche mehr und mehr in die Hände einiger weniger Agrargiganten – eine gefährliche Situation. Heute kontrollieren die zehn grössten Agrarkonzerne bereits 57 Prozent der weltweiten Saatgutverkäufe, davon allein die Syngenta 9,2 Prozent.

Das Patentgesetz wurde für unbelebte Materie – also für Chemikalien oder Maschinen – geschaffen. Hier machen Patente als Innovationsschutz auch Sinn. Die Urheber des Patentgesetzes waren aber dezidiert der Meinung, dass Lebewesen nicht patentiert werden könnten. Mit dem Aufkommen der Gentechnik in den 1980er-Jahren begann sich dies zu ändern. Auf massiven Druck der Grosskonzerne wurde das Patentgesetz mit der juristischen Brechstange so zurechtgebogen, dass auch (genmanipulierte) Lebewesen patentierbar wurden. «Entdeckungen» wurden zu patentierbaren «Erfindungen» umdefiniert.

Ein Gegenmodell zur Patentierung könnten die «Open-Source»-Initiativen für Saatgut sein. So brachten Forscher der Universität Wisconsin-Madison kürzlich 34 neu gezüchtete Pflanzensorten – unter anderem Broccoli, Karotten, Quinoa und Salat – auf den Markt. Alle Saatgutpakete enthalten ein Etikett mit einem «Gelübde für Open-Source-Saatgut». Das Saatgut darf frei verwendet, ausgetauscht und zur Weiterzucht benutzt werden. Es gibt inzwischen etliche solcher Initiativen. «Open Source bedeutet Teilen, und das Teilen von Saatgut kann zum Fundament für ein nachhaltigeres und gerechteres Lebensmittelsystem werden», sagt Projekt-Mitinitiant Jack Kloppenburg.

Nächster Artikel