Es ist eher selten, dass Menschen sich in Scharen aufmachen und mit grosser Mehrheit beschliessen, weiter gemeinsam für etwas zu bezahlen. Das ist es, was die simple Botschaft der Initiative «Ja zur Abschaffung der Radio- und Fernsehgebühren», besser bekannt als «No-Billag-Initiative», so verlockend machte. Wer will nicht 365 Franken pro Jahr weniger bezahlen müssen?
Doch genau das haben die Schweizerinnen und Schweizer getan. Stimmbeteiligung: 54.4 Prozent. Nein-Anteil: 71.6 Prozent. Anzahl der Nein-Stimmenden, sprich, Anzahl Schweizerinnen und Schweizer, die sich hinter die SRG und ihre Programme in der deutschen, der französischen, der italienischen und der rätoromanischen Schweiz stellen: 2,1 Millionen. Anzahl der Kantone, die für eine Abschaffung der Gebühren stimmten: null.
Die Ohrfeige der Bevölkerung
Das ist ein klares, ein überdeutliches Signal, würde man jedenfalls meinen: Der Bund erhält kein Verbot, unabhängige Medien zu finanzieren. Das war das eigentliche Ziel der No-Billag-Initiative. Im Wortlaut: Der Bund «subventioniert keine Radio- und Fernsehstationen. … Der Bund oder durch ihn beauftragte Dritte dürfen keine Empfangsgebühren erheben.»
Über 70 Prozent haben dazu «Nein» gesagt. Oder anders ausgedrückt: Mehr Schweizerinnen und Schweizer, nämlich 35,6 Prozent, wollten vor 30 Jahren die Armee abschaffen als heute den medialen Service public. Eine deutliche Absage, ja eine Ohrfeige für die Initianten aus Jungfreisinn und dem rechtskonservativ-libertären Lager.
Laura Zimmermann, Co-Präsidentin der Operation Libero, die im «Nein»-Lager neben vielen weiteren Gruppierungen eine wichtige Rolle spielte, fasste die Ohrfeige wie folgt zusammen:
«Die heutige Message an die Geert Wilders, Le Pens und Gaulands da draussen ist: Ihr könnt nicht einfach kommen und die vierte Säule der Demokratie in die Luft sprengen. Die Bürgerinnen und Bürger liberaler Demokratien lassen sich ihre Medien und ihre Grundversorgung mit Informationen nicht einfach so wegnehmen. Und wenn ihr das versucht, dann werden viele aufstehen und sich dagegen wehren.»
Ganz schlechte Verlierer
Doch das kümmert einige mächtige Schweizer Interessenverbände und ihre bürgerlichen Parlamentarier in Bern wenig bis gar nicht. Sie präsentierten ihre Forderungen, wie sich die SRG nun neu formieren, beschränken, verschlanken müsse zum Teil schon vor dem Abstimmungstermin. Dafür, dass sich gerade eine überwältigende Mehrheit des Volks für den medialen Service public im Jahr 2018 ausgesprochen hat, haben sie nun kein Gehör.
Ganz taube Ohren haben die Verlierer der Abstimmung. Die SVP-Nationalräte Gregor Rutz und Natalie Rickli haben schon in der Woche vor dem Abstimmungssonntag eine Motion eingereicht, die Gebühren (die bereits von 451 Franken pro Privathaushalt auf 365 Franken pro Privathaushalt per 2019 gesenkt wurden) auf 300 Franken zu senken. Rutz reichte zudem eine Motion ein, die verlangt, dass Unternehmen keine Mediengebühr mehr bezahlen müssen.
Fantasielose bürgerliche Spar-Allianz
Ähnlich fantasievoll wie die Verlierer gibt sich das grosse bürgerliche Lager der lustlosen «Nein, aber»-Spar-Fraktion: Die BDP will die Gebühr auf 320 Franken senken. Die Grünliberalen wollen die Gebühren ebenfalls senken. Die CVP will dasselbe – und noch dazu ein Werbeverbot ab 19.30 Uhr. Die «SonntagsZeitung» spricht in diesem Zusammenhang von einer «breiten SRG-Abbau-Koalition». FDP-Präsidentin Petra Gössi bekannte sich am Sonntagabend im SRF ebenfalls klar als Zugehörige. Wie SVP-Rutz will sie Unternehmen befreien.
Was die Politiker verschweigen: Die SRG hat längst selbst versprochen, über die Bücher zu gehen – finanziell, und überhaupt. SRG-Generaldirektor Gilles Marchand hat das gestern einmal mehr bekräftigt. Der Fokus sei verstärkt auf Information, Kultur und Digitales zu legen. Und wichtig sei nun vor allem, dass endlich erkannt würde, dass die Privaten und die SRG stärker zusammenarbeiten müssen. Denn Schweizer Medien, egal ob öffentlich-rechtlich oder privat, seien heute international einem brutalen Wettbewerb ausgesetzt, dem man nur durch Kooperationen etwas entgegensetzen könne.
Noch schlechtere Verlierer
Hans-Ulrich Bigler, Präsident des Schweizerischen Gewerbeverbands, machte als Unterstützer der Initiative – ohne Biglers Hilfe wäre die Initiative womöglich gar nicht zustande gekommen – keine gute Figur. Am Sonntagnachmittag liess er verlauten, der Ja-Anteil sei «ein eindeutiger Schuss vor den Bug und ein klarer Auftrag».
Allerdings nicht, wie man hätte vermuten können, als klaren Auftrag an Bigler selbst, seine Position oder seinen verworrenen «Plan B» für die SRG zu überdenken. Nein, die weniger als 30 Prozent Ja-Stimmen verleiteten ihn dazu, einen gigantischen Forderungskatalog an die SRG zu stellen.
Verwegener Verlegerverband
Ein Forderungskatalog, der praktisch deckungsgleich ist mit dem des Verbands Schweizer Medien VSM*, des mächtigen Schweizer Verlegerverbands.
Der VSM greift beim Thema No Billag jeweils zu Zuckerbrötchen und Schrotflinte. Will heissen: Der Verband, der insbesondere die Interessen der grossen Schweizer Verlage vertritt (Marktanteil Tamedia am Schweizer Pressemarkt: fast 70 Prozent), sprach sich zwar gegen die Initiative aus, stellte aber gleichzeitig praktisch unerfüllbare Forderungen.
«Wir dürfen die Medienpolitik nicht Lobbyisten und Populisten überlassen, die nur mehr Fake- und Fox-News wollen.»
Im September 2017 meldete der VSM, er «unterstützt eine gebührenfinanzierte SRG», fügte aber gleich an: «Er fordert die SRG aber zur Konzentration auf ihren Kernauftrag im Bereich Radio und TV und zu Gesprächen über eine mögliche Selbstbeschränkung auf.» Im Oktober 2017: «Der VSM fordert eine Plafonierung des Gesamtbudgets der SRG und Kommerzialisierungsstopp.» Und ebenfalls im Oktober: Der VSM «stellt sich klar gegen die angestrebte Zulassung der zielgruppengerichteten Werbung bei der SRG.»
Nach dem klaren Nein am Sonntag forderte der Verlegerverband mehr vom Gleichen: Neudefinition von «Rolle und Auftrag der SRG», ein «Marschhalt» beim angeblichen «Expansionskurs», konkret: «Die SRG lanciert keine presseähnlichen Digitalangebote und keine ausschliesslich für das Web produzierten audio-visuellen Formate». Geld soll die SRG bitte auch möglichst keins verdienen dürfen: Keine «neuen Formen der Kommerzialisierung», keine Onlinewerbung, und ein Rückzug, «schnellstmöglich», aus der Werbeallianz Admeira.
Durchsichtige Forderungen
Die Forderung vom mächtigen Verlegerverband, den SRG-Formaten ein Internet-Verbot für viele journalistische Formate zu erteilen, mutet absurd an.
Natürlich käme heute niemand mehr auf die Idee eines Monopols für öffentlich finanzierte Sender. Das Stimmvolk hat aber gerade eindrücklich demonstriert, nicht auf öffentlich finanzierte Informationen in allen Landessprachen und aus allen Regionen verzichten zu wollen. Und wer für Informationen bezahlt, der hat auch das Recht darauf, dass Informationen geliefert werden – und im Jahr 2018 bitte auch online. Die Beschränkung auf lineares TV und Radio beziehungsweise dessen Abbild im Internet, wie es der Verlegerverband fordert, ist schon allein aufgrund der medialen Realität vollkommen realitätsfremd.
Genauso realitätsfremd ist die hinter den Forderungen liegende Behauptung, dass mit gebührenfinanzierten Inhalten private Anbieter zu Schaden kämen (angebliche «Marktverzerrungen»). Das Gegenteil ist der Fall, wie Beispiele aus dem Ausland zeigen. In Tat und Wahrheit wollen gerade diejenigen in der Schweiz den Markt verzerren, die die SRG künstlich beschränken wollen. Gestaltet man einen modernen Service public richtig, profitieren alle: Die Bevölkerung – und die privaten Anbieter ebenfalls. Neue Formen des freien Austauschs von Inhalten sind gerade dank Internet kein Problem mehr.
Neues wagen: «Medienvielfalt-Initiative» angekündigt
In diese Richtung weist die am Wochenende angekündigte Volksinitiative «Medienvielfalt im digitalen Zeitalter» (Medienvielfalt-Initiative) von Watson-Gründer Hansi Voigt, dem Bündner Politiker Jon Pult und dem Zürcher Tech-Unternehmer Moritz Zumbühl.
Anders als alle anderen Player geben die drei nicht vor, die fertige Lösung schon zu kennen – der Text der Initiative soll gemeinsam mit Gleichgesinnten erarbeitet werden. Klar ist für die Initianten, dass die Gesetzgebungskompetenz für elektronische Medien beim Bund liegen muss. Den «Digitalen Service public» gilt es erst zu denken: Der alte Medienartikel stammt aus dem analogen Zeitalter.
Voigt, Pult und Zumbühl sprechen von einem «Recht auf Informiertheit»: «Der Anspruch der Bürgerinnen und Bürger auf ein umfassendes, frei zugängliches Angebot an journalistisch hochwertigen und glaubwürdigen Inhalten» sei gerade in der fragmentierten Gegenwart entscheidend. Darum sollen selbst erstellte Inhalte der öffentlich-rechtlichen auch anderen Schweizer (Qualitäts-)Medien zur Verfügung stehen.
Den Markt verzerren wollen gerade diejenigen, die die SRG künstlich beschränken wollen.
«Immer mehr Gebührenzahler informieren sich fast ausschliesslich in den Online-Medien», schreiben die Initianten weiter. «Es ist nicht einzusehen, weshalb insbesondere jüngeren Menschen Service-public-Leistungen, für die sie bereits bezahlt haben, vorenthalten werden sollen.» Auch die junge Generation, die in die Demokratie hineinwachse, habe «ein Anrecht auf ein umfassendes und neutrales öffentlich-rechtliches Angebot an Informationen».
Frontaler Angriff auf den VSM
Das Argumentarium der Initianten widerspricht in allen zentralen Punkten den Forderungen des Verlegerverbands und des Gewerbeverbands.
Kein Zufall, stellt Jon Pult gegenüber der TagesWoche klar: «Wir dürfen die Medienpolitik nicht dem Verbund aus Lobbyisten und Populisten überlassen, die letztlich nur mehr Fake- und Fox News in der Schweiz wollen.»
«Es geht darum, die Interessen der informierten Bevölkerung in den Vordergrund zu schieben», sagt Hansi Voigt. «Vor die Interessen der Zeitungsverleger, die online kein Geschäftsmodell haben und vor die Interessen der Populisten, die kein Interesse an einer gut informierten Bevölkerung haben.» Gerade der Abstimmungskampf um No Billag habe mustergültig gezeigt, wohin das Werbegeld fliesse: «Es wurden kaum oder keine Plakate geschaltet, wir haben fast keine klassischen Inserate in Zeitungen oder auf Online-Portalen gesehen. Der gesamte kommerzielle Abstimmungskampf fand in Form von Videos, Umfragen, Grafiken etc. auf Facebook, YouTube und Google statt», so Voigt.
Deswegen sei es «für die Verleger kommerziell irrelevant, ob die SRG ein grösseres oder kleineres Online-Angebot hat – für die Bevölkerung und ihren Anspruch auf Informiertheit aber matchentscheidend».
Die Schweizer Medienzukunft wird jetzt entschieden
No Billag ist gebodigt – der Match um die Zukunft der Schweizer Medien geht jetzt erst recht in die heisse Phase. Verleger, SVP und viele Bürgerliche versuchen, die geplante Mediengesetzgebung entgegen den Interessen der Gebührenzahler und Medienkonsumenten auszuhebeln. Dies, indem sie darauf drängen, das total veraltete Radio- und TV-Gesetz weiterlaufen zu lassen – einfach mit weniger Mitteln für die SRG. Hansi Voigt: «Dies widerspricht zwar sämtlichen Empfehlungen, etwa der Eidgenössischen Medienkommission, dient aber den Interessen der Verleger.»
Auch deshalb gibt es die Medienvielfalt-Initiative, sagt Voigt. «Sollten sie mit diesem Ansatz durchkommen, steht jetzt eine Medienvielfalt-Initiative bereit, die vor allem zu einer breiten, vorwärtsgerichteten Debatte führen soll.»
Dass diese Debatte dringend nötig ist, zeigte auch die Elefantenrunde am Sonntagabend am gebührenfinanzierten SRF eindrücklich. Wenn bürgerliche Parteipräsidenten vor laufender Kamera genauso ratlos wie protektionistisch argumentieren, dann sind wahrlich bessere Rezepte gefragt.
*Die TagesWoche hat die Mitgliedschaft beim VSM im vergangenen Jahr gekündigt. Sie ist Gründungsmitglied des Verbands Medien mit Zukunft.