Die Credit Suisse ist mit einem blauen Auge aus der US-Schwarzgeld-Affäre herausgekommen. Nun muss endlich ein kollektiver Lernprozess beginnen.
Der Schock hält sich in Grenzen. Es ist kein «Swissair-Grounding». Noch vor wenigen Jahren hätte sich fast die ganze Schweiz wegen ihrer hohen Identifikation mit dem Finanzplatz bei einer Busse, wie sie jetzt der CS aufgebürdet wird, persönlich angegriffen gefühlt.
Heute stören offenbar nur zwei kleine Ärgernisse: Dass sich die Bankenchefs unschuldiger fühlen, als sie das sein dürften. Und dass die 2,8-Milliarden-Dollar-Busse, die die Credit Suisse in den USA für ihre Mithilfe an Steuerhinterziehungen zahlen muss, in der Schweiz bei den Steuern abgezogen werden darf – unserem Fiskus also Einnahmen entgehen. Die CS wird es nach der saftigen Busse und dem Schuldeingeständnis weiterhin geben. Und, glaubt man den Verlautbarungen der CS-Leitung, jetzt erst Recht, mit freiem Flug in die Zukunft.
Macht und Möglichkeit
Was soll man dazu sagen beziehungsweise denken? Wir können zwischen zwei Varianten wählen: Entweder sehen wir im zustande gekommenen US-Deal der CS einen neuerlichen Beweis für die Brutalität der Amerikaner – oder wir sehen darin einen neuerlichen Beleg für die Skrupellosigkeit unserer Banken. Macht und Möglichkeit.
Dass es dazwischen noch eine dritte Variante gibt, lehren uns rechtsnationale Politiker und ein paar ihrer hörigen Medien, die in eingeübter Manier gerne dem «schwachen Bundesrat» und der angeblich «unfähigen Vorsteherin des Finanzdepartements» die ganze Schuld geben. Eveline Widmer-Schlumpf, die im Bundesrat auf dem einstigen Stuhl von Christoph Blocher sitzt, ist auch in diesem Fall eine ideale Zielscheibe.
Beim «Risikomanagement» ist einiges suboptimal verlaufen.
Die zur Verfügung gestellten Betrachtungen zum Fall rekapitulieren gerne die Geschichte seit 2011. Immerhin ein Rückblick auf drei Jahre! In dieser Zeit ist unter dem Aspekt des «Risikomanagements» offenbar einiges suboptimal verlaufen: Man hätte früher Einsicht üben, früher das Steuer herumwerfen müssen und so weiter. Dahinter gibt es aber eine längere Geschichte, die noch nicht ausgestanden ist. Diese Geschichte trägt einerseits den plakativen Namen «Bankgeheimnis» oder «Bankkundengeheimnis» und ist andererseits getragen von einer nicht so leicht auf den Punkt zu bringenden Mentalität, die meint, dass man sich in der Schweiz um nicht schweizerische Rechtsprinzipien nicht kümmern müsse.
Wir hatten das schon im Falle der kleinen St. Galler Erfolgsbank Wegelin, die immer wieder ihre Unschuld beteuerte, weil sie kein schweizerisches Recht verletzt habe. Ein anderes Recht gab es nicht – das heisst: zählte nicht.
Das ist trotz Globalisierung tatsächlich im Prinzip noch immer so. Aber es gibt Abhängigkeiten. Und wie man sieht, zählt das Recht anderer nicht in stets gleicher Weise. Wer einen grossen und wichtigen Markt sein eigen nennen und dafür Lizenzen entziehen oder belassen kann, der ist eben gleicher als andere und kann entsprechend «erpresserische» Erwartungen stellen. Unter rechtshygienischen Aspekten ist es bedauerlich, dass in diesem Fall nicht die Justiz zum Zug kam, sondern eben «gedealt» wurde. Zu begrüssen ist hingegen, dass einheitliche Regeln im Rahmen der in der Schweiz noch vor Kurzem auch arg gescholtenen Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung eingeführt und durchgesetzt werden.
Das «Unschweizerische» setzt sich durch
Inzwischen ist der automatische Informationsaustausch auch vom Bundesrat akzeptiert, «sofern ihn auch die anderen» praktizieren. Trotzdem sollte man sich daran erinnern, wie kategorisch die Relativierung des Bankgeheimnisses unlängst noch als «unschweizerisch» abgelehnt wurde. Inzwischen haben sich selbst die kantonalen Finanzdirektoren, die ihrerseits ebenfalls auf Schuldenbergen sitzen, mit dem Wunsch gemeldet, man möge ihnen die gleichen Einblicke gewähren, die jetzt schon die USA hätten. Und schon bald werden auch die EU-Mitglieder solche Informationen erhalten.
CS-Verantwortliche konnten sich bei der Entgegennahme von Schwarzgeldern von der Volksmeinung getragen fühlen. Asyl für Fluchtgeld galt fast als humanitärer Akt.
Deshalb rollt bereits schon eine weitere Volksinitiative heran: diesmal zum Schutze der «finanziellen Privatsphäre». Derweil dürfen die Banken, um die eigene Haut zu retten, weiterhin das offiziell seit 1934 bestehende und lange als unantastbar verteidigte Bankgeheimnis umgehen und Mitarbeiter- und Kundendaten in die USA liefern, was dann möglicherweise eine weitere Grundlage für Klagedrohungen gibt.
Eine Prise Staatsverachtung
Wenn CS-Verantwortliche bis vor Kurzem bei der Annahme von Schwarzgeldern kein Unrechtbewusstsein hatten, waren sie in bester Gesellschaft. Sie konnte sich sogar – was die Krönung aller Absegnungen ist – von der Volksmeinung getragen fühlen. Denn mit einer Prise Staatsverachtung, sofern es um fremde Staaten ging, lautete eine gängige Erklärung, diese Staaten seien ja selber schuld, wenn brave Bürger ihre Batzen in Sicherheit brächten. Denn erstens seien deren Steuersätze exorbitant hoch, und zweitens würden sie verschwenderisch mit den Steuergeldern umgehen. Darum sei Asyl für Fluchtgeld fast ein humanitärer Akt.
Noch vor Kurzem konnte man die Verletzungen von US-Recht damit abtun, dass dessen Respektierung nur wegen der hohen Staatsverschuldung eingefordert würde. Heute sind es zum Teil die gleichen strammen Eidgenossen, die die früheren Praktiken gutgeheissen haben, jetzt aber an der Unternehmensspitze ein Köpferollen sehen wollen.
Der Rückzug in Sachen Bankgeheimnis wird bald Geschichte sein. Fragt sich, was davon in Erinnerung bleibt. Die Empörung über die Amerikaner? Die Meinung, eine unfähige Landesregierung zu haben? Eine etwas kritischere Haltung gegenüber den Banken? Das hängt jeweils von den eigenen Vorlieben ab.
Wünschbar wäre, man würde am Fall Credit Suisse erkennen, dass man mit Selbstkritik und kollektivem Lernen nicht allzu lange zuwarten darf.