Mit einiger Verzögerung wurde der Comedy-Auftritt des Berner Stadtpräsidenten Alexander Tschäppät doch noch zum Skandal. Rassismus lautet der Vorwurf, entscheiden soll die Justiz. Es ist der falsche Weg. Nötig wäre eine Debatte ganz allgemein über den Schweizer «Humor».
Lustig ist zwar anders. Wenigstens einen Vorwurf kann man dem Temporär-Komiker Alexander Tschäppät aber nicht machen: dass sein Gastspiel im Comedy–«Zelt» keine nachhaltige Wirkung entfaltet.
Dabei klangen die paar wenigen Reaktionen direkt nach dem Auftritt noch gar nicht danach. «Uff, Stapi, das ist gerade noch mal gut gegangen», schrieb «Der Bund» am 13. Dezember eher mitleidig. Motto: «Schwamm drüber.» In Bern ist man sich halt auch schon einiges gewohnt vom «Stapi».
Die Geschichte nimmt Fahrt auf
Ganz so einfach liess sich sein komischer Auftritt aber offenbar doch nicht verdrängen. Eine Woche danach griff «Der Bund» ihn nochmals auf – ohne grosse Erklärungen, nur mit einem Zitat aus dem «Zelt»: «Wissen sie, warum die Italiener so klein sind? Weil ihnen ihre Mütter sagen: Wenn du mal gross bist, musst du arbeiten gehen.»
Und siehe da: Nun war die Empörung plötzlich gross. «Tschäppät ist eine traurige Gestalt», lautet noch einer der netteren Kommentare zum Youtube-Film.
Damit war die Geschichte, die man eigentlich schon abgeschrieben hatte, wieder brandaktuell. Und vor allem: perfekt. Der Hauptdarsteller – ein übermütiger Magistrat; das Thema – Rassismus; logischer Ausgang – ein tiefer Fall, zumindest in der Gunst des Publikums. «Böses Blut wegen Tschäppäts Ausländerwitzen», titelte der «Der Bund» am 26. Dezember: «Berns Stapi reisst Witze über die Faulheit der Italiener. Bürger und Parteigenossen sind empört.»
Auch die Justiz muss sich die Sprüche noch antun
Nun sprangen auch andere Medien auf, nicht nur in der Schweiz. In Italien wunderte sich «La Repubblica» über Tschäppäts «Humor». Mit seinen «Tschinggen-Witzen» habe er den Rassismus aus der Mottenkiste geholt, schrieb die auflagenstärkste politische Zeitung des Landes am Wochenende.
Zu diesem Zeipunkt war aus Tschäppäts Klamauk bereits ein Rechtsstreit geworden. Nicht, weil schlechter Humor in der Schweiz neuerdings verboten wäre, sondern wegen Artikel 261 des Strafgesetzbuches – der Strafnorm gegen Rassendiskriminierung. Der Basler Anwalt Carlo Alberto Di Bisceglia sieht diesen Tatbestand bei Tschäppät eindeutig erfüllt, wie er der «bz Basel» sagte. Darum hat er bei der Staatsanwaltschaft eine Strafanzeige eingereicht.
Wenigstens etwas haben Di Bisceglia und all die anderen Kritiker bereits erreicht: der allzu fidele Magistrat ist für seine Verhältnisse erstaunlich ruhig geworden. Er habe nicht die Absicht, einzelne Witze seines Comedy-Auftrittes zu kommentieren, bedaure aber, falls er jemanden verletzt habe, sagte er am vergangenen Freitag. Seither lässt er nichts Neues mehr verlauten.
Was ist Humor, was Rassismus?
Im drohenden Gerichtsverfahren könnte er sich aber damit herausreden, dass seine «Tschinggen-Witze» nichts weiter als ein Spiel mit Vorurteilen gewesen seien. Im Kontext ging es um die weltweite Überwachung durch den amerikanischen Geheimdienst und – «wär häts erfunde?» – die Schweizer Fichenaffäre Ende der 1980er-Jahre. Damals stellte sich heraus, dass der Schweizer Staatschutz hinter hundertausenden von Menschen hergeschnüffelt hatte. Besonders verdächtig schienen Linke und Ausländer. Und warum? Linke wie Tschäppät sagen: Aus Angst vor neuen Ideen und allem Fremden. Stereotypen, die er im «Zelt» aufgedeckt habe. So zumindest könnte er selbst es darstellen.
Ist der viel gescholtene Stadtpräsident am Ende also kein Ausländerfeind, der überdies noch zu viel getrunken hatte, wie in den Kommentaren gemutmasst wird, sondern ein schlauer Dekonstruktivist, ein Vorkämpfer wider den Rassismus?
Das werden die Juristen entscheiden müssen.
Schweizer Fernsehen setzt auf Ausländerwitze
Wahrscheinlich gäbe es in dem ganzen Fall aber noch sehr viel interessantere Fragen. Jene, die der Satiriker Gabriel Vetter aufwirft. «Die billigsten Pointen gerade gegen Ausländer sind häufig die, die am besten ankommen, egal wie alt die Witze sind», sagt er – und ergänzt: «Wenn man bei diesem Null-Humor überhaupt von Witzen reden kann.»
Ein Effekt, den sich nicht nur der Aushilfsclown Tschäppät im «Zelt» zu Nutze macht. Der in den Medien zum «Starkomiker» hoch gejubelte Marco Rima reisst Witze über «Neger», das Schweizer Fernsehen schickt regelmässig den pöbelnden und rasenden Michael Elsener vulgo Bostic Besic auf die Piste und liess zuletzt im «Endspott – Der satirische Jahresrückblick» Birgit Steinegger mit dunkler Schuhwichse anmalen, damit sie in einem Kleider- und Handtäschchenladen die Negerin geben konnte. Oui, oui, oiu, oui, ui, ui, ui, ui, ui, hach wie lustig.
Wobei man vielleicht gerade als Basler «d Schnuure» nicht zu weit aufreissen sollte. Oder über waseli-was lachen wir denn am liebsten an den scheenschte Drey Dääg?
Über d «Zircher» und – fast noch lieber – d «Schwoobe» natürlich. Zwei magische Worte, die über jede noch so flache Pointe hinweghelfen.
Wir gegen die Anderen
Warum?
Man kann nur spekulieren.
Über den Wunsch nach Abgrenzung und den kleinen Rassisten, der in uns allen steckt.
Über die Wut auf das durchstrukturierte System, in dem manche das Gefühl haben, sie dürften gar nichts mehr sagen.
Über den Neid auf die Südländer, die das Leben besser geniessen können («fuuli Sieche!). Und die Deutschen, die mit ihrem geschliffenen Auftreten im Beruf besser ankommen («arrogant!).
Ja, ganz generell die Sorge, den Job an billigere und besser ausgebildete Ausländer zu verlieren. Eine Angst, die spätestens seit der Einführung der Personenfreizügigkeit auch den Mittelstand erfasst hat, wie sich wohl bald auch bei der Abstimmung über die Einwanderungsinitiative der SVP zeigen wird.
Diese Wut, diese Angst, dieser Druck muss irgendwann raus, notfalls auch nur mit einem kurzen, groben Lacher über einen Witz, der eigentlich gar keiner ist.
Das wäre mal ein spannendes Thema, aber wahrscheinlich wird es auch im Fall Tschäppät nur eine untergeordnete Rolle spielen.
Eher wird es um die rechtliche Frage gehen. Und die Person Tschäppäts. Des kuriosen Stapi, der vorführt, wie schwer sich die Justiz mit schlechtem Humor tut. Des SPlers, der auf der Anklagebank zum Kronzeugen der SVP und ihrer Theorie wird, dass die Anti-Rassismus-Strafnorm eine Fehlkonstruktion ist.
Das wäre dann die einzig originelle Pointe in dem Fall. Aber auch nicht unbedingt eine lustige.