Wenden oder gewendet werden, das ist hier die Frage

Die Energiewende kommt. Wir können wählen, ob wir sie politisch steuern oder passiv erleiden wollen.

(Bild: /Montage: Nils Fisch)

Die Energiewende kommt. Wir können wählen, ob wir sie politisch steuern oder passiv erleiden wollen.

Die Eckpfeiler seiner neuen Energiepolitik rammte der Bundesrat – unter dem Schock der Atomkatastrophe von Fukushima – 2011 in den Boden: Der Beschluss neue Atomkraftwerke zu verbieten, warf damals hohe Wellen. Heute ist der politische Entscheid irrelevant.

Nicht die Politik, sondern der Markt läutet das Ende der Atomenergie ein. Denn unter den heutigen Marktbedingungen, geprägt von Energieschwemme, tiefen Kohle-, Öl- und Strompreisen, wird kein Strommanager, der bei Trost ist, eine neues AKW mehr bauen.

Umstritten ist jetzt nur, wie lange die Stromwirtschaft ihre alten Atommeiler noch melken darf. Und was bleibt, ist die Aufgabe, den Atommüll sicher zu lagern und den – früher oder später – wegfallenden Atomstrom zu ersetzen. Hier ist die Politik gefordert.

Mit seiner Energiestrategie zeigt der Bundesrat den Weg: Energie generell und Strom speziell sparen. Und die verbleibende Lücke, die der Wegfall des Atomstroms hinterlässt, mit Wind- und Solarenergie stopfen. Diese Richtung ist richtig. Doch mit den Mitteln, die der Bundesrat mit seiner aktuellen Gesetzesvorlage beantragt, bleiben wir auf halbem Weg stehen.

Atomstrom wird mittelfristig, Erdöl langfristig versiegen.

Der Nationalrat versuchte zwar, diesen Weg zu ebnen, indem er die Anträge des Bundesrates etwas verschärfte. Doch der Ständerat hat jetzt neue Hürden aufgebaut: Mit seinen Beschlüssen, die er in den letzten drei Tagen fällte, torpediert er nicht nur die Ziele zur Steigerung der Energie- und Stromeffizienz. Gleichzeitig bremst er auch den Ausbau der erneuerbaren Stromproduktion.

Gewiss, über die Mittel zur Umkehr kann man sich streiten. Die Subventionen für Solar-, Wind- und neuerdings auch noch für die Wasserkraft sind unschön – aber wohl unvermeidlich in einem Markt, der durch die viel höhere Subventionierung von Kohle und Erdöl schon längst verfälscht ist. Schöner wäre eine Lenkungsabgabe, welche die nicht erneuerbare Energie verteuern und damit die Verschwendung via Portemonnaie eindämmen würde. Doch politisch bestehen auch hier grosse Widerstände.

Unabhängig davon, was wir tun oder lassen: Die Energiewende findet statt. Atomstrom wird mittelfristig, Erdöl langfristig versiegen. Wir können diesen Wandel dem Markt überlassen und billigen Strom importieren, solange es ihn noch gibt. Oder wir können die Energiezukunft politisch aktiv mitgestalten. Mit leicht abgewandelten Worten von William Shakespeare: Wenden oder gewendet werden, das ist hier die Frage.

 

Was sind die Streitpunkte in der Energiestrategie? Die Übersicht

Nachstehend fassen wir die wichtigsten Beschlüsse und Streitpunkte zwischen den Räten zusammen. Über die Differenzen zwischen National- und Ständerat werden die beiden Parlamentskammern in den kommenden Sessionen nach den Wahlen entscheiden.

 

Thema

Anträge Bundesrat

Beschlüsse Nationalrat

Beschlüsse Ständerat

Ausstieg aus der Atomenergie Bewilligung für neue AKW darf nicht erteilt werden, also Verbot. Gleich wie Antrag Bundesrat. Gleich wie Antrag Bundes- und Nationalrat, keine Differenz.
Laufzeit bestehende Atomkraftwerke Unbegrenzt, solange Aufsichtsbehörde ENSI sie als sicher beurteilt. AKW Beznau II und I maximal 60 Jahre, AKW Gösgen und Leibstadt unbegrenzt, aber «Langzeit-Betriebskonzept» alle 10 Jahre.
 
Unbegrenzt, gemäss Bundesrat. 
Ziele für Verbrauch Jahr 2035 gegenüber dem Jahr 2000 Pro Kopf 43 % Weniger Energie- und 13 % weniger Stromverbrauch. Gleiche Ziele wie Bundesrat, aber in «Richtwerte» umgetauft. Gleich wie Nationalrat.  
Ziele für erneuerbare Stromproduktion im Jahr 2035 Wasserkraft: 37,4 Millliarden kWh, übrige Erneuerbare: 14,5 Mrd. kWh gibt pro Jahr rund 52 Mrd. kWh*. Gleiche Ziele wie Bundeserat, aber in «Richtwerte» umgetauft. Gleich wie Nationalrat, ausser übrige Erneuerbare: 11,4 Mrd. kWh.
Ausbau erneuerbare Energie und Landschaftsschutz Im nationalen Interesse, im Konflikt gleichrangig mit Landschaftsschutz. Im nationalem Interesse, auch in geschützten Landschaften möglich. Im nationalen Interesse, in geschützten Landschaften nur bedingt möglich.   
Abgabe zur Finanzierung der kostendeckenden Einspeisevergütung (KEV)   Maximal 2,3 Rappen pro Kilowattstunde (kWh) Stromkonsum. Maximal 2,3 Rappen pro kWh. Maximal 2,3 Rappen/kWh, aber KEV wird zeitlich begrenzt.
Verwendung der Gelder
aus der KEV-Kasse
Primär für Quer- Subventionierung von Strom aus Solar-, Wind- Biomasse- und kleinen Wasser-Kraftwerken. Gleich wie Bundesrat, aber zusätzlich Investitionsbeitrag zum Bau von neuen, grossen Wasserkraftwerken. Gleich wie Nationalrat, aber zusätzlich Nothilfe-Beitrag für bestehende grosse  Wasserkraftwerke. 
Verpflichtung der Stromversorger
die Stromeffizienz zu steigern
Ja, mit Zielvorgaben. Mittel: Ein Modell mit weissen Zertifikaten. Ja, mit Zielen. Mittel: Ein finanzielles Bonus-Malus-Modell nach Vorbild von Kalifornien, Dänemark oder Genf.  Keinerlei Stromsparpflicht, weder für Stromverkäufer noch Netzbetreiber
Mindestanforderungen für
Energieeffizienz von Heizungen
Keine Vorschriften, weil Sache der Kantone. Bundesrat «kann» (und soll) solche Mindestanforderungen verordnen.  Gestrichen = Keine Vorschriften des Bundes.
CO2-Abgabe auf fossilen
Brennstoffen
Wie heute: Minimal 36 Franken, maximal 120 Franken pro Tonne CO2 (= 10 bis 32 Rappen pro Liter Heizöl). Neu minimal 84 Franken, maximal 120 Franken pro Tonne CO2 (= 22 bis 32 Rappen pro Liter Heizöl)  Gleich wie Nationalrat. (zurzeit beträgt die Abgabe 60 Franken pro Tonne CO2)  
CO2-Abgabe auf Strom
aus fossiler Produktion
Nicht beantragt. Abgelehnt. Abgelehnt.

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*Zum Vergleich: Der gesamte Stromverbrauch in der Schweiz beträgt heute rund 60 Milliarden kWh pro Jahr.

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