Lance Armstrong könnten sieben Tour-de-France-Siege aberkannt werden. Eigentlich könnte man gleich die ganzen Ranglisten löschen.
Lance Armstrong gibt nicht zu, gedopt zu haben. Aber er wehrt sich auch nicht mehr gegen eine Bestrafung durch die us-amerikanische Anti-Doping-Agentur Usada. Er sagt, er tue das, weil er «keinen fairen Prozess» erwartet habe. Das wäre nur allzu verständlich, wenn der Mann in einem Unrechtsstaat leben würde, in dem richterliche Willkür herrscht. Aber Armstrong ist nicht «Pussy Riot», er hat nicht die russische Staatsangehörigkeit und er ist auch kein syrischer Regimekritiker. Armstrong lebt in den USA, einem Land, in dem die Gewaltentrennung so wichtig ist, dass sogar der Präsident bangen muss, wenn seine Gesetze vom Verfassungsgericht geprüft werden.
Dass Armstrong nicht mehr gegen die Untersuchung der Usada vorgeht, kann eigentlich nur einen Grund haben: Die Bestrafung durch eine Anti-Doping-Agentur ist das kleinere aus zwei Übeln zwischen denen er zu wählen hatte. Hätte er seine Verteidigung aufrecht erhalten, hätte er das in einem öffentlichen Gerichtsverfahren tun müssen. Vielleicht auch unter Eid. Dieses Risiko wollte Armstrong nicht eingehen. Warum nicht? Der Verdacht liegt nahe: Weil er wusste, dass er die Zeugenaussagen seiner ehemaligen Kollegen Floyd Landis und Tyler Hamilton nicht hätte widerlegen können.
Nun aber wird er ohne Schuldspruch weiterleben, er wird sich weiter auf den Standpunkt stellen, nie als Doper erwischt oder verurteilt worden zu sein.
Ein Kabinett des Grauens
Die Usada will, dass Armstrong seine sieben Siege an der Tour de France aberkannt werden. Und eigentlich müsste sich der Weltradverband UCI an den Entscheid der Usada halten. Bloss, was wäre damit gewonnen? Es gibt eine wunderbare Grafik, auf der jeweils die zehn bestklassierten Fahrer jener Tours aufgezeichnet sind, die Armstrong gewonnen hat. Nur 1999 war mehr als die Hälfte der Fahrer hinter Armstrong während ihrer Karriere nicht in einen Dopingskandal verwickelt. Und das wohl auch bloss deswegen, weil die Kontrollen damals lascher waren.
Wer soll da Armstrongs Titel erben? Jan Ullrich, der jahrelang geleugnet hat, bis ihm 2012 rückwirkend ab 2005 alle Resultate aberkannt wurden? Alex Zülle, der Schweizer, der beim Festina-Skandal aufflog? Ivan Basso, der 2007 immerhin zugab, er habe «versucht» sich zu dopen?
Die Siegerlisten der Tour de France sind spätestens seit Beginn der Neunzigerjahre ein Horrorkabinett. Einzelne überführte oder geständige Sünder nachträglich zu streichen, bringt nichts. Wer jenen ehemaligen Fahrern zuhört, die das Schweigen über das alltägliche Dopen auf der Tour gebrochen haben, der kommt zum Schluss: Sauber und gleichzeitig schnell war da wohl keiner.
Dass die Usada bei Armstrong nicht locker gelassen hat, dass sie ihn nicht einfach als Strahlemann hat davon kommen lassen, wie er sich das gewünscht hätte, war trotzdem richtig und wichtig. Nicht weil Armstrong besonders verwerflich gehandelt hätte. Er hat wohl dasselbe getan wiel alle anderen um ihn herum auch – einfach cleverer. Sondern weil Armstrong nun nicht als jener Saubermann davonkommt, als den er sich gerne präsentierte.
Denn wenn Doper davon kommen, ohne bestraft zu werden, bleibt die Abschreckung auf der Strecke. Je weniger Abschreckung aber, um so grösser die Verlockung, zu verbotenen Mitteln zu greifen. Und je mehr Fahrer dopen, um so stärker wird der Druck auf alle anderen im Feld, ebenfalls nachzuziehen.
Und was soll nun mit den Ranglisten der Tour passieren – und all der anderen Rennen an denen Armstrong erfolgreich war? Es ist egal. Am ehrlichsten wäre es, sie komplett aus den Annalen zu löschen. Oder man hinterlegt sie grau und markiert sie als «Hohejahre von EPO und Blutdoping». Lance Armstrong dürfte so seine Titel behalten. Er wäre dann einfach nicht mehr der beste Radrennfahrer der Geschichte. Sondern der beste gedopte Fahrer der Geschichte. Ist doch auch was.