Faszinierend, wie Argumente die Meinung der Mehrheit verändern können.
Noch nie wurde ich so häufig auf eine Abstimmung angesprochen wie auf die Familieninitiative der SVP. Die Gespräche im Freundeskreis liefen immer gleich. «Du, ich werde nicht schlau. Diese Familieninitiative von der SVP, das tönt doch eigentlich noch vernünftig, nicht?»
Das tat sie in der Tat. Auf den schnellen und flüchtigen Blick. Familien entlasten, die ihre Kinder selber betreuen? Was kann kann daran falsch sein?
Im Schatten der viel heftiger geführten 1:12-Debatte setzte sich diese flüchtige Argumentation bei der ersten Trendumfrage im Oktober durch. Über zwei Drittel der Befragten gaben an, Ja zur Familieninitiative zu sagen. Und damit war die Vorlage gestorben. Denn plötzlich wurde die Initiative wahrgenommen. Von den Medien, von den Finanzpolitikern und zuletzt auch von der Öffentlichkeit.
Es war faszinierend zu beobachten, wie im Monat nach der ersten gfs-Umfrage die Stimmung im Kleinen und im Grossen kippte. Die Initiative wurde genauer angeschaut – und offenbarte dabei ihre Schwächen. Drei dieser Schwächen waren schliesslich entscheidend, dass die Initiative heute mit beinahe 60 Prozent abgelehnt wurde:
- Die Systemfrage. Warum soll man für etwas Steuern abziehen können, das man gar nicht bezahlt hat? Warum soll ich Steuern sparen können, wenn die Grosseltern gratis aufs Kind schauen?
- Die Familienfrage. Zwar betonte die SVP mantramässig, dass es ihr bei der Vorlage nicht um das richtige Familienbild gegangen sei. Aber das nahm man der Partei nicht ab. Für konservative Kreise in der Schweiz besteht die gute Familie heute noch aus einem arbeitenden Vater und einer kinderbetreuenden Mutter. Und das obwohl die Mehrheit der Bevölkerung ein anderes Modell lebt.
- Die Finanzfrage. Zum Schluss wohl das entscheidende Moment: Die Umsetzung der Initiative hätte Milliarden gekostet. Und weil die Kantone diese Milliarden nicht haben, hätten sie die Vorlage kostenneutral umgesetzt. Heisst: Weniger für alle. Die Basler Finanzdirektorin Eva Herzog hat das am Beispiel des Kantons Basel-Stadt durchgerechnet. Heute können für fremdbetreute Kinder in der Tagesstätte bis zu 10’000 Franken abgezogen werden. Bei einer kostenneutralen Umsetzung wäre dieser Abzug auf 900 Franken zusammengeschmolzen. Und hätte, das ist die Pointe, gar nicht allen genützt: Nur diese Familien aus der «oberen Hälfte des Lohnsegments («NZZ am Sonntag») zahlen überhaupt Bundessteuern; nur auf diese Löhne hätte die SVP-Initiative einen Einfluss gehabt.
Das waren zu viele Argumente gegen eine Vorlage, die auf den ersten Blick noch sympathisch gewesen war. Die Gespräche im Kollegenkreis, sie endeten immer gleich: mit einem wissenden Nicken.