Wie SRF-Gegner mit SRF reich werden wollen

Von der aktuellen Schweizer Medienpolitik könnte sich manche Bananenrepublik eine Scheibe abschneiden. Die Privaten stellen jedenfalls die Weichen, um sich auf Kosten der Allgemeinheit noch weiter zu vergolden – und nennen es «Medienfreiheit». Ein Kommentar.

Nationalrätin Natalie Rickli: Service Public – oder nur vergoldete Privatwirtschaft?

(Bild: Montage: Nils Fisch)

Stellen Sie sich vor, Sie beziehen eine neue Wohnung. Sie hat – das ist selbstverständlich hierzulande – in Küche und Bad einen Wasseranschluss.

Und stellen Sie sich nun vor, ein paar Politiker und ein paar private Getränkefirmen würden bei Ihnen an der Türe läuten und verlangen, dass Sie ihnen Ihren Wasseranschluss zur Verfügung stellen. Gratis. Damit die Firmen Ihr Wasser in eigene Flaschen abfüllen und verkaufen können.

Kuriose Geschichte oder vielmehr: Totaler Wahnsinn, nicht wahr? Aber genau das versucht eine bürgerliche Phalanx in Bundesbern durchzubringen. Nur geht es dabei nicht um Wasseranschlüsse, sondern um unabhängige Informationen, um den Service Public. In Bedrängnis gerät dabei die öffentlich-rechtliche SRG aufgrund finanzieller Interessen privater Unternehmen.

Konkret geht es um zwei Geschäfte.

Das erste Geschäft sieht auf den ersten Blick harmlos aus: Die Fernmeldekommission des Nationalrates hat den Bundesrat am 13. Februar damit beauftragt, eine Open-Content-Vorlage auszuarbeiten für Inhalte der SRG-Mediathek. Die Inhalte sollen so eine «möglichst breite Öffentlichkeit» erreichen.

Das zweite Geschäft hat auf den ersten Blick nichts mit dem ersten zu tun: Tamedia, das grösste Schweizer Verlagshaus, kooperiert verstärkt mit dem Vermarkter Goldbach Group. Die beiden Riesen gehen eine weit reichende Werbeallianz im Bereich der Video-Werbung ein. Integral vermarktet werden die Videos durch Goldbach von «20 Minuten» sowie, laut «persoenlich.com», vom gesamten Newsnet-Verbund (die Sites von «Tages-Anzeiger», «Berner Zeitung», «Basler Zeitung», «Der Bund», «24 heures», «Le Matin» und «Tribune de Genève»).

Eine Verbindung zwischen den beiden Geschäften fällt dann allerdings bald auf. Die Präsidentin der Fernmeldekommission des Nationalrats (Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen, KVF) heisst Natalie Rickli, SVP-Nationalrätin aus Zürich. Ihr Beruf: «Partner Relation Manager», Goldbach Group. Und da hören die Verbindungen längst nicht auf.

Ein Scheinargument

Das Geschäft von Ricklis KVF macht bei genauerer Betrachtung (die Kommission nahm den Text mit 13 zu 10 Stimmen bei zwei Enthaltungen an) weniger Sinn.

So sollen alle Beiträge und Inhalte, die etwa von den SRF-Redaktionen erstellt werden, «kostenfrei» weitergegeben werden – an alle anderen Schweizer Medien. Dies, weil die SRG eine «dominante Stellung im Bereich von Nachrichten-Videos mit nationalem und überregionalem Inhalt» habe.

Gegen das Argument, die Inhalte sollen möglichst viele Schweizerinnen und Schweizer erreichen, ist sicher nichts einzuwenden. Allerdings ist das ein Scheinargument, weil das bereits bestens funktioniert: Die Verbreitung mit allen TV-, Radio- und den diversen SRF-Online-Auftritten ist bereits gewährleistet.

Der mediale Alltag beweist zudem, dass das Verhältnis zwischen SRF und Privaten bestens funktioniert. Es ist ein stetes Geben und Nehmen: Wenn SRF – was fast täglich der Fall ist – eine Geschichte bringt, die private Medien interessiert, dann recherchieren die Journalistinnen und Journalisten der privaten Medien weiter. Und zitieren die Originalquelle respektive sie setzen, falls das im Internet geschieht, einen Link.

Alles normal, alles kein Problem: Das Originalvideo, der Originalbericht von SRF ist nur einen Klick entfernt. So wird gewährleistet, dass die von privaten Medienhäusern engagierten Journalistinnen und Journalisten für ihren Lohn auch arbeiten müssen. Denn die Portale der Privaten leben von Werbung. Die SRG hingegen darf im Internet nicht werben (das Argument der Werbeverbieter: Die Konkurrenz für die Privaten wäre zu gross, dürften Programme der SRG im Netz werben. Was wiederum gegen die Behauptung spricht, die Programme der SRG würden nicht genügend Schweizerinnen und Schweizer erreichen).

Es geht um Geld, nicht Medienfreiheit

Die von den SRG-Gegnern der «Aktion Medienfreiheit» und den grossen Schweizer Verlagen angeführten Argumente für «Open Content» oder eben «Freiheit» sind Schall und Rauch.

Es geht nicht um Freiheit – die Unabhängigkeit der SRG von politischen und wirtschaftlichen Interessen ist bekanntlich durch Bundesverfassung und Gesetze gegeben. Es geht einzig und allein um die Interessen privater Vermarkter und privater Verlage. Und mit der aktuellen Vorlage steht für diese gar die Möglichkeit greifbar nahe, von der Bevölkerung per Gebühren finanzierte Inhalte auf ihren werbefinanzierten Portalen – gratis!, aber mit eigenen Werbeeinnahmen – weiterverbreiten zu können.

Übrigens: Die Präsidentin der «Aktion Medienfreiheit» – ein neoliberaler Verband, der politisch und wirtschaftlich gegen öffentlich-rechtlich finanzierte Medien lobbyiert – heisst Natalie Rickli.

Bananenrepubliken können sich ein Stück abschneiden

Die verräterischste Stelle im Text der Vorlage der Nationalratskommission: Die SRG soll ihre Programme den Privaten in «Einzelsequenzen mit Originalton, jedoch ohne gesprochene Zusatztexte, Begleitmusik und Einblender» zur Verfügung stellen. Sprich: Der Konsument soll nicht einmal mehr sehen, wer den Inhalt gemacht hat. Sauberer Journalismus (etwa wesentliche Hintergrundinformationen zu mehrdeutigen Bildsequenzen) soll auch verhindert werden. Der Autor einer Nachricht soll keine Rolle spielen.

Hier zeigen die angeblichen Open-Content-Verfechter ihr wahres Gesicht. Es geht ihnen nicht um Öffnung, sondern letztlich um die Schliessung der Inhalte der SRG und ihrer Programme. Aber nicht zu schnell. Die Zitrone kann man langsam auspressen, bis zum bitteren Ende.

Ein (noch) fiktives Beispiel: So könnte etwa ein werbefinanziertes Online-Portal einen News-Beitrag von «10vor10», vom Volk per Gebühren bezahlt, mit dem eigenen Firmen-Logo versehen, einen neuen Text dazu liefern, den Kontext verfremden – und das Ganze erst noch als «journalistische Eigenleistung» und «Service Public» mit der eigenen Werbung garniert gewinnbringend dem Volk servieren.

So etwas wäre – denkt man an einen Verlag von der Grössenordnung der Tamedia (Gewinn 2015: 334 Millionen Franken) oder an einen wachsenden Vermarktungs-Riesen wie Goldbach (Umsatz 2015: 234 Millionen Franken) – dann mehr als nur «kurios», wie es die NZZ in einem treffenden Kommentar formulierte. Und sicher nicht freiheitlich.

Die Prophetin und der Mangel an Empörung

Die Zürcher SP-Nationalrätin Jacqueline Badran schrieb am 15. Mai 2015 (!) einen prophetischen Artikel: «Wetten, dass Tamedia und Goldbach zusammengehen?» Am Dienstag stellte Badran auf Facebook fest: «Ganz zufällig wurde 8 Tage vor der heutigen Bekanntgabe der Werbeallianz zwischen Tamedia und Goldbach im Videobereich eine Kommissionsmotion gutgeheissen, die von der SRG gratis die Herausgabe aller ihrer Inhalte fordert.»

Das komme, so Badran, «einer Subventionierung der Gebührenzahlenden von Goldbach und Tamedia gleich». Sie fügte an: «Und keiner empört sich.»

Vielleicht ändert sich das, wenn die Open-Content-Vorlage an den Ständerat gelangt. Dem Rat würde es jedenfalls gut anstehen, sich die Worte von Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino noch einmal in Erinnerung zu rufen. Dieser sagte schon im Sommer 2016 an der Service-Public-Konferenz des Verbands Schweizer Medien (Präsident: Pietro Supino), die SRG müsse im Internet wie im Werbemarkt «Mass halten» – und sich zum «Open Source»-Anbieter entwickeln, der gebührenfinanzierte Inhalte den Verlagen zur Weiterverarbeitung überlasse.

Eine Forderung, die ganz zufällig 1:1 dem Geschäft der angeblich unabhängigen Kommission des Parlaments entspricht, deren Präsidentin rein zufälligerweise bei Tamedias neuem grossem Video-Vermarktungs-Geschäftspartner arbeitet.

Apropos Medien: Das mit dem Wort «gratis» bei «Gratismedien» ist so eine Sache. Denn: «Es gibt keine Gratiszeitungen». Die bezahlen nämlich Sie. Ob Sie die lesen oder nicht.

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