Wir alle sind Amerikaner

Der US-Steuerdeal lässt alte Ressentiments aufkeimen – ein wiederkehrendes Muster.

Der böse Amerikaner: Der US-Steuerdeal erweckt alte Klischees zu neuem Leben. (Bild: Nils Fisch)

Der US-Steuerdeal lässt alte Ressentiments aufkeimen – ein wiederkehrendes Muster.

Es gibt schlafende Hunde, die man besser nicht weckt. Der Anti-amerikanismus ist ein solcher. Wenn er aufwacht, bellt er mal in der Rechts-, mal in der Linkspresse und vor allem immer in den Leserbriefspalten. Dies auch jetzt, da es um die «Lex USA», die Internet-Bespitzelung oder um US-Präsident Barack Obama in Berlin geht.

Dieser Hund hat schon öfters ­gebellt in der Geschichte – auch in der Schweiz. Und zwar in zwei Va­rianten: gegen die kulturelle Dominanz Ame­rikas und gegen die poli­tische-wirt­schaft­­liche-militärische Macht. Leicht einsehbar ist, dass ­beide Varianten zusammenhängen und erstere vor allem Folge der ­letzteren ist. Und damit auch das ­sogleich gesagt ist: Das Gebell kann widersprüchlich sein, wenn es in Jeans, Shirts und Turnschuhen laut wird und sich gegen den alles durchdringenden Amerikanismus richtet.

Ein amerikanisches Phänomen

Das spiegelt sich ebenfalls in jenem Pa­radox, dass Antiamerikanismus durchaus auch ein amerikanisches Phänomen ist. Ein bekannter Beleg dafür: Das «antiamerikanische» Buch über «The ­Arrogance of Power» (1966) wurde bekanntlich von einem Amerikaner, Senator J. W. Fulbright aus Arkansas, verfasst.

Die Fachliteratur unterscheidet ­regionale Ausprägungen des Phä­nomens – den asiatischen, afrikanischen oder südamerikanischen Antiamerikanismus – und verweist dann auf denjenigen «at home» (neben demjenigen «abroad»). Doch wo ist inzwischen dieses Daheim? Ist es nicht fast überall auf der Welt?

Es gibt auch einen helvetischen ­Antiamerikanismus – in Spurenelementen etwa beim ­Basler Historiker Jacob Burckhardt (1818–1897). Oder etwas mehr bei Albert Oeri (1875–1950), einst Chefredaktor der «Basler Nachrichten», der zuweilen die Einförmigkeit, den fehlenden Individualismus und die Vermassung der Amerikaner kritisierte. Und während des Ersten Weltkriegs registrierte der in Basel stationierte US-Konsul, man werfe den USA vor, Güter zu haben und zu konsumieren, an denen sie ­Europa nicht teilhaben liessen. Auch das gehört zum Antiamerikanismus.

Koloss auf Helvetias Brustkorb

Die «Lex USA»-Beratung im schweizerischen Parlament in der vergangenen Woche war keine Pre­miere. Das gleiche Libretto gab es bereits 1946 nach dem Washingtoner Abkommen zu den in der Schweiz ­liegenden Bankguthaben und Goldbeständen. Einem Nationalrat missfiel da nach eigenen Worten, «dass der Koloss USA dermassen auf den zarten Brustkorb unserer Helvetia kniet».

Antiamerikanismus ist aber nicht Empörung über einmaliges Handeln, sondern beruht – wie jeder «Ismus» – auf der Annahme einer Dauerhaltung, die sich etwa aus den folgenden Elementen zusammensetzt: Mate­rialismus, Vermassung, Rücksichts­losigkeit, Geschichtslosigkeit, ­Machbarkeitswahn, Überlegenheitsvorstellung, Missionstrieb etc. Hinzu kommt noch der Vorwurf des Kolo­nialismus. Alles in allem ergibt sich daraus eine Pathologie der Moderne, der man mit «Amerika» einen Namen und einen Ort gibt.

Die Vorurteilspflege hat vor allem eine Funktion: Sie lenkt von eigenen Fehlern ab.

Mit etwas Laienpsychologie lässt sich feststellen, worin die Funktion dieser Vorurteilspflege besteht. Sie lenkt ab von der eigenen Schwäche. Statt von den Fehlern, die im eigenen Lager offenbar nur zufällig und nicht aufgrund von Tiefentendenzen (wie insulanerischer Selbstbezogenheit und mangelndem Respekt vor anderen Rechtsordnungen) vorkommen, redet man lieber von der unakzeptablen Mentalität der anderen.

Die inzwischen mindestens landesweit bekannte Wegelin-Bank hat 2009 in einem Kundenbrief klassische Müsterchen des Antiamerikanismus geliefert. Jener Brief erklärte die USA zu den «weltweit aggressiv­sten Nationen» mit «atemberaubender Doppelmoral» und machte sie verantwortlich dafür, dass «in hoher Regelmässigkeit» Krisen im Weltfinanzsystem vorkommen.

Im gleichen Atemzug waren den Wegelin-Bankern plötzlich Dinge wie Todesstrafe, Bildungs- und Gesundheitssystem, Geheimgefängnisse eine Sorge. Nach der Freisetzung emotionaler Rhetorik hat die Bank eine Runde später nüchtern die aufgebrummte Busse bezahlt und dabei auch andere Banken des eigenen Landes belastet.

«I’m a Trojaner»

Das Gewicht dieser Rhetorik ist schwer einzuschätzen. Es bewegt sich zwischen Bedeutungslosigkeit und Bedeutungsschwere. Entweder verklingt sie einfach (ist dann einfach Gekläff) und muss darum nicht weiter ernst genommen werden. Oder sie hinterlässt Rückstände im Ohr und in der Seele, wo sie sich ablagert und ­unsere negative Vorurteilsbereitschaft verstärkt.

Erstaunlicherweise lassen sich ­jedoch viele Menschen in der Schweiz lieber von den USA «erpressen» als von der EU oder – noch schlimmer – vom direktesten Nachbarn Deutschland. Ob etwas als Zumutung empfunden wird, hängt zuweilen mit Distanz und Nähe zusammen, aber wie im konkreten Fall auch damit, dass die durchaus bestehenden Unterschiede zwischen der Schweiz und den USA weniger irritieren als die Gemeinsamkeiten in den beiden ­anderen genannten Fällen.

Erstaunlicherweise lassen sich viele Schweizer lieber von den USA «erpressen» als von der EU.

Wenn man aus Gründen der Konsequenz eine Angleichung der Haltungen erwarten darf, dann sollte diese nicht darin bestehen, die geringere Ablehungsbereitschaft gegenüber den USA an die stärkere gegenüber Europa und Deutschland anzupassen, sondern umgekehrt gegenüber Europa und Deutschland eine ähnlich nüchterne Haltung einzunehmen, wie man sie gegenüber den USA aufzubringen in der Lage ist.

Gewiss gab es in den letzten Tagen Leserbriefe, die zu Konsum- und Reiseboykotten der USA aufriefen. ­Alles in allem dominierte aber eine nicht mit Gleichgültigkeit gleichzusetzende Gelassenheit. Dafür steht auch ein Witz, der mir zu Ohren kam: Man habe Obama, der während der letztwöchigen Tournee auf der Suche nach einem geeigneten Berlin-Wort war, geraten, doch zu sagen: «I’m a Trojaner.»

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 28.06.13

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