Wir müssen uns gegen die Diskriminierung wehren

Das Wüten des IS gibt den Islamhassern Auftrieb: Sie verlangen von Muslimen klare Worte gegen die mordenden Horden. Nun ist die Mehrheitsgesellschaft gefordert, sich gegen die Diskriminierung der Muslime in der Schweiz zu stellen.

Hisham Maizar, Praesident der Foederation Islamischer Dachorganisationen in der Schweiz (FIDS), aeussert sich an einer Medienkonferenz in der El-Hidaje-Moschee, in welcher am Freitag, 22. August 2014, ein Mann erschossen wurde, am Donnerstag, 28. August 2 (Bild: GIAN EHRENZELLER)

Das Wüten des IS gibt den Islamhassern Auftrieb: Sie verlangen von Muslimen klare Worte gegen die mordenden Horden. Nun ist die Mehrheitsgesellschaft gefordert, sich gegen die Diskriminierung der Muslime in der Schweiz zu stellen und das Recht auf Ungleichheit zu verteidigen.

Jetzt ist es nicht mehr Al-Kaida, sondern der Islamische Staat (IS), der mit seiner grässlichen Fratze die schwärzeste Islamvariante vorführt. Jetzt regen sich wieder Stimmen, die darin einen willkommenen Beweis für den «wahren Kern» dieser Religion sehen. Jetzt werden klar distanzierende Stellungnahmen gegen die Vertreibung von Christen, Kurden und Jesiden, gegen das Köpfen von Amerikanern, Briten und Franzosen erwartet.

Der Terrorismus, der sich auf den Islam beruft, hat zudem einen neuen Ort: die Stadt Kobane an der syrisch-türkischen Grenze. Die ganze Welt schaut hin und blickt zugleich weg. Angesichts dieser Vorgänge kann es fast unangemessen selbstbezogen wirken, wenn man sich fragt, welche Auswirkungen diese jüngsten Vorgänge auf die Schweiz haben. Doch diese Fragen sind bereits in mehrfacher Weise mit Antworten versehen worden.

Die eine Antwort lautet: Es gibt auch schweizerische Muslime, die sich den Truppen des IS angeschlossen haben, eventuell zurückkommen (oder bereits zurückgekommen sind) und hier eine Gefahr bilden. Und dass die IS als Organisation in der Schweiz verboten werden müsse.

Wer sich nicht distanziert, macht sich mitschuldig

Eine andere Antwort ist, dass jetzt die in der Schweiz lebenden Muslime gleichsam Farbe bekennen und sich von den Verbrechen dieser jungen Kalifat-Bewegung distanzieren müssten. Dass, wer das nicht tue, mitverantwortlich sei für die derzeitigen Vorgänge im Vorderen Orient.

Der erste Punkt gehört ernst genommen: Der schweizerische Nachrichtendienst (BND) soll seinen Job machen; die Schweiz soll deshalb aber nicht hysterisch werden. Obwohl das nötige juristische Instrumentarium zur Bekämpfung des Terrorismus schon lange zur Verfügung steht, ist IS erst diese Woche, nachdem dies zuvor als überflüssig bezeichnet worden war, für ein halbes Jahr verboten worden.

Der muslimische Fundamentalismus muss bekämpft werden – vor Ort im Vorderen Orient. Eine Gefahr für uns hier ist er nicht.

Es ist erstaunlich und wenig glaubwürdig, wenn der vom Bundesrat mit der Federführung in dieser Justizangelegenheit betraute Verteidigungsminister Ueli Maurer zur Begründung plötzlich das Wort von der «internationalen Solidarität» in den Mund nimmt. Besser zu ihm passt das Wort vom «starken Signal». Signalpolitik, wofür und an wen? Das Signal sollte nicht dazu führen, dass man es als gerne genutzte Möglichkeit wahrnimmt, die Gefährlichkeit des Islam zu markieren. Signal hatten wir schon bei der Anti-Minarett-Initiative.

Anti-Minarett-Initiative als Massstab

Nicht weniger erstaunlich war ein in den AZ-Medien verbreiteter Kommentar: Daniel Fuchs fragte da, ob es nicht «zynisch» sei, in der Schweiz den moderaten Muslimen Moschee-Türmli zu verbieten, ohne es mit der Terror-Organisation IS gleich zu halten (Artikel online nicht verfügbar). Als ob nun die unselige Anti-Minarett-Initiative der Massstab unseres Handelns wäre. Sein Hauptargument: Eine Organisation, die mit ihren Schandtaten die gegen 400 000 in der Schweiz lebenden Muslime diskreditiere, könne man ruhig verbieten.

Hier ist Einspruch geboten: Es ist die Aufgabe der schweizerischen Mehrheitsgesellschaft, zu verhindern, dass mit Verweis auf die grässlichen Vorgänge im Vorderen Orient Muslime hierzulande diskriminiert werden. Der muslimische Fundamentalismus muss bekämpft werden – vor Ort im Vorderen Orient. Eine Gefahr für unsere Gesellschaft hier ist er nicht. Gefährlich ist hingegen die Tendenz, den Islam in verallgemeinernder Weise zu problematisieren, etwa mit der Behauptung, dass es eigentlich keinen Unterschied zwischen Islam und Islamismus gebe – eine Lieblingsthese des Blick-Kolumnisten Frank A. Meyer. 

Die Gelehrten erreichen die Jihadisten nicht

Es kann auch nicht Pflicht der in der Schweiz lebenden Privatmenschen muslimischen Glaubens sein, mit wiederholten Distanzierungen dafür zu sorgen, dass sich keine Diskriminierungseffekte verbreiten. Solche Distanzierungen würden indirekt ja einräumen, dass man irgendwie dazu gehört, obwohl dies absolut nicht der Fall ist. Man gehört nicht einfach dazu, bloss weil man Muslim ist.

Dennoch ist es gut, wenn muslimische Organisationen und prominente Korangelehrte erklären, wie sie die Sache sehen. Da gibt es das «Manifest der 120», in dem Islamgelehrte aus der ganzen Welt in einem ausführlichen Schreiben darlegen, warum der IS in eklatantem Widerspruch zum Koran steht.

In unserem Land gibt es die von Hisham Maizar, Präsident der Föderation Islamischer Dachorganisationen Schweiz (Fids), via Depeschenagentur SDA verbreitete Erklärung, dass die Gräueltaten des IS in keiner Weise mit den Grundsätzen des Islam übereinstimmen. Im gleichen Sinn hat Saïda Keller-Messahli vom Forum für einen fortschrittlichen Islam Stellung genommen.

Diese Art von Erklärungen sind muslimische Organisationen sich selber schuldig. Und sie schützen – ein klein wenig – vor ungerechtfertigten Vorwürfen der stete Gefährdung witternden Islamgegner. Aber sie vermögen potenzielle Jihadisten nicht von gewalttätigen Aktionen abzuhalten, weil diese, wie die Islamwissenschaftlerin Rifa’at Lenzin vom interreligiösen Zürcher Lehrhaus richtig bemerkt, ihre Informationen bei Hasspredigern im Internet beziehen.

Verantwortungsgeschiebe

In seinem spätabendlichen TV-Talk vom 6. Oktober versuchte Roger Schawinski vergeblich, Nicolas Blancho, den Präsidenten des Islamischen Zentralrats (IZRS), zu einer klaren Distanzierung zu bewegen. Wenn ihm dies nicht gelungen ist, wird das nichts am Gang der Weltgeschichte ändern. Blancho hatte sich übrigens bereits am 24. September in einer eigenen Fatwa gegen eine IS-Fatwa ausgesprochen und «jede Art von Gewalt gegen unser Land, seine Bürger und Interessen» verurteilt.

Die Debatte zeigte aber, wie unterschiedlich die Verantwortungsfrage gesehen wird. Während Schawinski sein Gegenüber darauf festnageln wollte, dass es in seiner offiziösen Rolle eine Verantwortung trage, schob Blancho die ganze Verantwortung, auch für verantwortungsloses Handeln von Extremisten, der sozialen Diskriminierung zu, der junge Muslime auch in der Schweiz ausgesetzt sind. Selbst in den IS-Terroristen sieht Blancho nur ein Produkt der «genauso scheusslich» agierenden USA, die IS-Muslime seien doch nur das «monströse Kind der westlichen Arroganz».

Die Diskriminierung von Muslimen muss abgebaut werden. Nicht um Extremismus zu verhindern, sondern aus Respekt für Mitmenschen.

Angesichts solcher Stellungnahmen sind wir wiederum aufgefordert, unsere eigene Verantwortung wahrzunehmen. Und zwar indem wir die randständige Position eines aus Biel stammenden Konvertiten nicht als repräsentativ für die muslimische Mehrheit verstehen – beziehungsweise nicht verstehen. 

Das Recht auf Ungleichheit

Eines müssen wir aber festhalten: Die Diskriminierung von Muslimen ist nicht bloss ein Hirngespinst von Fanatikern, sie ist Alltagsrealität und sollte möglichst abgebaut werden. Dies aber nicht nur aus dem Kalkül heraus, damit Extremismus zu verhindern, sondern schlicht aus dem gebotenen Grundrespekt gegenüber der Eigenart von Mitmenschen. Scheinbar paradoxerweise sollte dieser Respekt aber auch eine bestimmte Art von positiver Diskriminierung geradezu gestatten.

Ganz in diesem Sinn – es gibt auch gute Nachrichten im Schweizerlande – hat sich der Thurgauer Kantonsrat jüngst mit 62 zu 51 Stimmen gegen ein Kopftuchverbot an den Schulen ausgesprochen. Dagegen hat der Walliser Nationalrat und SVP-Vize Oskar Freysinger absolut nicht begriffen, dass man in der Schweiz aus Respekt (nicht nur Muslimen gegenüber) auch ein Recht auf Ungleichheit gewährt.

Er will jetzt bei den Passbildern nur noch völlig entblösste Häupter zulassen, obwohl Erkennungsfachleute dies nicht für nötig erachten. Er gibt vor, damit den Rechtsstaat schützen zu wollen, in Wirklichkeit ist das aber nur eine Variante seiner notorischen Islamproblematisierung. Immerhin: Der Bundesrat lehnte seine totalitäre Motion ab.

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