Es gibt zu wenige Kreative in Basel, die all die neu geplanten Kulturorte sinnvoll bespielen könnten.
Vor einigen Tagen besuchte ich das Dreispitz-Areal, um an einer Besichtigung des Forschungsprojekts «Urban Farming» auf dem Dach der UF001 LokDepot teilzunehmen. Ich war konfrontiert mit einer Welt zwischen Schein und Wirklichkeit.
Die Urban Farmers erforschen alternative Produktionsformen von Lebensmitteln in städtischem Umfeld. Ein paar schräggestellte und orangefarbene Container für Büro und Forschungslabor auf dem Dach des Bürogebäudes signalisieren ein urbanes und freches Basisfeeling. Dafür hat das Forschungsprojekt Subventionen von rund einer Million Franken erhalten.
Ist das die Öko-Zukunft?
Der hier präsentierte Food-Produktions-Kreislauf, eine Art hochtechnisiertes Hors-Sol-Gewächshaus, produziert Einheitsfisch, ein paar Salatköpfe und vier Sorten Tomaten. Ist das die kulinarische Öko-Zukunft?
Die Besucher des Informationsanlasses waren höflich und fragten nicht nach der Rentabilität. Es wurde auch ausgeklammert, ob es sinnvoll ist, mit einer millionenteuren Infrastruktur Tomaten zu züchten. Das kann jeder Schrebergärtner besser und billiger. Und transportiert er seine Tomaten mit öffentlichen Verkehrsmitteln, ist auch sein ökologischer Fussabdruck völlig okay.
Inszenierung fürs gute Gefühl
Bei den Urban Farmers ist alles computergesteuert, jede pflanzliche Regung wird elektronisch erfasst und ausgewertet. Man will hier nicht Tomaten und Salatköpfe verkaufen, sondern das teure Treibhaussystem, die Aquaponic-Anlage. Das sieht alles toll aus und klingt gut. Aber man wird den Verdacht nicht los, dass dies alles eine Inszenierung fürs gute Gefühl ist. Wie vieles auf dem Dreispitz-Areal.
Auf dem Weg zum Vortrag spazierte ich, kurz nach Feierabend, der Frankfurterstrasse entlang und schaute mich ein wenig um. Weit und breit entdeckte ich keinerlei Aktivitäten, die auf ein urbanes Zentrum oder kulturelle Hotspots hinweisen würden. Es sieht hier aus wie noch vor 20 Jahren: Lagerhäuser und Firmensitze, Büros und KMUs aller Art.
Weit und breit keine kreative Zuckung.
Ich ging durch die Oslostrasse, vorbei an der Merian-Eventhalle, am Radio-X-Studio, an Ateliers – auch hier: weit und breit keine kreative Zuckung. Irgendwo auf einer Treppe sassen ein paar kichernde und rauchende Studenten. Weit und breit keine Beiz. Die paar Kantinen-Kioske waren alle geschlossen.
Auch in der viel gelobten «Rakete Dreispitz», einem innovativen Labor für Jungunternehmer und Künstler, brannte abends um 20 Uhr kein Licht mehr. Abgesehen von ein paar LKWs, die herumkurvten, herrschte auch hier absolut tote Hose. Dabei wird so viel von der «Vision Dreispitz» gesprochen, diesem neuen Hotspot der Kunst.
Im goldenen Käfig
Ich frage mich: Ist dieses neue Kreativzentrum auf dem Dreispitz bloss eine PR-Massnahme der Christoph Merian Stiftung (CMS)? Ist das ganze Areal in seiner Neuausrichtung als «Kultur-Cluster» einfach eine Marketingerfindung, um Investoren zu finden? Ist es allenfalls ein Wochenendphänomen? Ab und an sollen hier ja hochsubventionierte Kulturveranstaltungen und Partys stattfinden.
Viele Hoffnungen gründen nun im neuen Hochschulcampus. Die Studentinnen und Studenten werden sich wohl bemerkenswerte Konzepte ausdenken und interessante Laptop-Projekte lancieren. Dadurch wird aber ebenso wenig Bewegung auf den Dreispitz kommen wie durch den neuen Wohn- und Büroturm von Herzog & de Meuron: ein in Beton gegossener goldener Käfig für Leute mit Visionen – und vor allem: mit Geld. Für mehrere Tausend Franken Miete pro Monat wird man schon bald von den Helsinki-Lofts auf das hippe Kreativvolk und das faszinierende Kunterbunt hinunterschauen können. Aber reicht das?
Hier läuft wenig. Oder sieht man es einfach nicht?
Die CMS wird nicht müde zu betonen, dass auf dem Dreispitz bald die Post abgehe. Dabei läuft hier wenig. Oder sieht man es einfach nicht? Hat man je wieder etwas vom Kunsthaus Baselland gehört, das scheinbar planungsreif auf den Baustart wartet? Seit dem Weggang von Direktorin Sabine Schaschl herrscht Informationsstille. Auch die Verantwortlichen von Baselland, Bildungsdirektor Urs Wüthrich und Kulturchef Niggi Ullrich, scheinen auf Tauchstation gegangen zu sein.
Zu wenig kreatives Potenzial
Meine Vermutung: Sowohl die CMS wie auch die Stadtplaner des Basler Präsidialdepartements reden die Stadt mit Projekten schön, die es real gar nie geben wird. Es gibt in unserer Region schlicht zu wenig Personal, das diese Luftschlösser besiedeln könnte. Das kreative Potenzial ist vielleicht im Kleinen vorhanden, aber niemals in diesen Dimensionen, wie es uns die vielen bereits bestehenden und die geplanten künftigen Projekte weismachen wollen.
Bereits heute gibt es in Basel und der Region eine Menge kultureller Zentren wie zum Beispiel das Gundeldinger Feld, das Stellwerk St. Johann (aus dem bereits wieder die ersten Kreativen ausziehen) oder das Walzwerk in Münchenstein. Und einige neue sind projektiert: etwa im Kopfbau der Basler Kaserne, einem 30-Millionen-Projekt, wo Ateliers und Kulturräume entstehen sollen. Doch wer so all diese Orte bespielen? Es gibt zu wenige Kreative, zu wenig Potenzial und Know-how und auch kein Publikum, das all diese Projekte zum Erfolg bringen könnte.
Auf dem Dreispitz suggerieren heute Baustellen, dass in naher Zukunft aufregendes Neues entsteht. Vielleicht, vielleicht auch nicht. Sicher ist: Die Studenten und Dozenten der Fachhochschule Nordwestschweiz und ein paar «Kreativwirtschafter» allein werden es nicht richten können.
Meiner Meinung nach fehlt es all diesen schönen Zukunftsprojekten an Bodenhaftung. Es braucht an solchen Orten auch Restaurants, Bars, Kleinhändler, Läden und Werkstätten aller Art. Nicht nur die Hipsters, auch Otto Normalverbraucher muss einen Grund haben, hier vorbeizukommen. Das Leben findet nicht nur abends statt. Es ist nicht nur hip und cool, sondern manchmal ganz normal und banal. Man muss es stattfinden lassen. Im Dreispitz gibt es zu wenig Wildwuchs.