Wohnträume – Albträume: Warum Hochhäuser ein Zukunftsmodell sind

Das Einfamilienhaus bildet noch immer den Wohntraum vieler Schweizerinnen und Schweizer. Dabei würden andere Modelle die Bedürfnisse der heutigen Gesellschaft viel besser erfüllen. Hochhäuser könnten als Stadtquartiere der Zukunft dienen.

Falsch geträumt: Das Einfamilienhaus entpuppt sich gerade für Junge oft als Armutsfalle und verbraucht erst noch eine wertvolle Ressource: Boden. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Das Einfamilienhaus bildet noch immer den Wohntraum vieler Schweizerinnen und Schweizer. Dabei würden andere Modelle die Bedürfnisse der heutigen Gesellschaft viel besser erfüllen. Hochhäuser könnten als Stadtquartiere der Zukunft dienen.

70 Prozent der jungen Menschen träumen von einem Einfamilienhaus im Grünen. Den Wunsch nach Wohneigentum deklarieren sie als eines ihrer erstrebenswerten Lebensziele. Würden diese Träume tatsächlich wahrgemacht, würde sich das Tempo der Einfamilienhaus-Invasion drastisch erhöhen und die Zersiedelung der Agglomeration immer weitergehen. Wachsender Pendlerverkehr wäre eine unmittelbare Folge für die Stadt.

Banken suggerieren ihren jungen Kunden, dass Einfamilienhäuser erschwinglich seien und eine lohnende Investition für die Zukunft darstellten. Dabei ist das Einfamilienhaus im Grünen, mit all den Folgekosten, eine schleichende Armutsfalle. Die Wenigsten können sich diesen Traum, der heute rasch eine Million kostet, wirklich leisten. Betriebsunterhalt und miserable Bauqualität nagen nach wenigen Jahren am Familienbudget und lassen den Traum zum Albtraum werden.

Hochhäuser haben Tradition

Ehrlicher und realistischer wäre es daher, nach anderen Wohnformen Ausschau zu halten. Der aktuelle Diskurs zeigt, dass das Wohnhochhaus durchaus eine Alternative darstellt. Zumal hier mit der Ressource Boden bedeutend sorgfältiger und ökonomischer umgegangen wird.

Die verschiedenen städteplanerischen Projekte (Basel Ost) zeigen allerdings auch, dass das Wohnhochhaus kontrovers wahrgenommen wird. Das erstaunt, weil diese Wohnform durchaus Tradition hat und es seit den Siebzigerjahren verschiedene Wohnhochhäuser in Basel und der näheren Umgebung gibt.

Auf dem ehemaligen Flughafengelände «Sternenfeld» in Birsfelden etwa gibt es zahlreiche Hochhäuser, die teilweise sogar genossenschaftlich bewirtschaftet werden. Diese Projekte der Eisenbahner-Baugenossenschaft beider Basel (EBG) verstehen sich als zukunftsträchtige Wohn- und Lebensmodelle. Genossenschaftliches Wohnen bedeutet Wohnen mit Bewusstsein in einem Umfeld, das auf Werte wie Gemeinschaft, gute Nachbarschaft, Solidarität, Integration und Mitbestimmung setzt. Die EBG ist heute mit rund 600 Mitgliedern und 560 Wohnungen eine der grössten Baugenossenschaften in der Nordwestschweiz.

Gemeinsame Nutzung lässt Grünraum übrig

Die Alternativen sind also vorhanden. Eine adäquate urbane Wohnform im Hochhausformat muss nicht grundsätzlich neu erfunden werden. Es gibt auch ökonomische und ökologische Argumente, die für das Wohnhochhaus sprechen.

Analog der Grundrissfläche eines Einfamilienhauses von zirka 170 Quadratmeter können bei einem Hochhaus auf 17 Etagen, bei einer Gesamthöhe von 58 Metern, 19 Eigentums- oder Mietwohnungen realisiert werden. Dabei sind Bauinvestitionen von rund zehn Millionen Franken nötig. Diese verteilen sich aber auf 19 Parteien.

Der Baugrund wird optimal und effizient genutzt. Es bleibt für die gemeinsame Nutzung viel Grünraum übrig und im Sinne einer zukünftigen «Sharing Economy» können zahlreiche Investitionen und Infrastrukturen gemeinsam genutzt werden. Das senkt die Kosten für den Einzelnen erheblich.

Unsere Lebensgewohnheiten gehen offensichtlich an den Planern vorbei.

Zugegebenermassen ist die Wohnform Hochhaus heute noch oft weit davon entfernt, eine moderne und den Bedürfnissen der zeitgenössischen Stadtnomaden entsprechende Wohnform zu bieten. Das Modell ist viel zu starr und begnügt sich, 2- bis 4½-Zimmer-Wohnungen übereinander zu schichten. Dabei sind die Wohnkuben abgeschlossen und geben eine fixe Wohnform für die klassische Familie vor. Küche, Bad/WC mit Wohnzimmer und einem bis zwei Schlafzimmer. Punkt.

Die Wohnung kann weder «wachsen», noch sich «gesundschrumpfen». Unsere Lebensgewohnheiten gehen offensichtlich an den Planern vorbei. Man würde sich im Bereich des städtischen Wohnens bedeutend mehr Innovation und Experimentierfreudigkeit bei Architekten und Investoren wünschen.

Mehr Flexibilität ist gefragt

In Zürich ist kürzlich das Wohnbauprojekt «Kalkbreite» – eine Überbauung für 400 Bewohnerinnen und Arbeiter mitten in der Stadt – realisiert worden. Das Flaggschiff des Wohnungsbaus könnte Vorbildcharakter haben. Mit seinen autofreien Grosshaushalten, Gemeinschaftsräumen und Mitbestimmungsprozessen ist es ein lohnendes Experiment.

Dies zeigt, dass es sinnvoll ist, neue Wohnformen in verschiedenen Formaten zu entwickeln, die auch darauf abzielen, das Hochhaus in Richtung eines vertikalen Stadtquartiers zu entwickeln. So können verschiedene Nutzer und Nutzungen integriert werden. Büros und temporäre Arbeitsplätze, Restaurants und Cafés, Kindertagesstätten, Gesundheitszentren und Fitnessmöglichkeiten entsprechen den Bedürfnissen der neuen Stadtbewohnerinnen und Stadtbewohner.

Die Wohnungen müssen flexibler und vielfältiger nutzbar eingerichtet werden. Familien entwickeln sich, werden grösser und kleiner. Gäste kommen und gehen. Es geht nicht um den Verzicht auf Privateigentum, sondern um intelligentes und ressourcenschonendes Teilen als Motor der Entwicklung. Gemeinschaftsräume und ein aktives Mitbestimmungsrecht sind Teil des sozialen Netzwerkes. Und eine aktive Förderung der sozialen Kontakte und Interaktionen ist integraler Bestandteil des Modells.

Das Wohnhochhaus muss als vertikale Stadt neu konzipiert und realisiert werden.

Eine auf zwei Stockwerken verteilte Seniorenresidenz, Studentenwohnungen, ein Hotelangebot oder Gästezimmer bieten Abwechslung und Lebendigkeit und nutzen das Haus in unterschiedliche Richtungen. Im Sinne des «Urban Gardening» können auf Etagen in Aussenräumen und auf Dachterrassen Gärten zur gemeinsamen Nutzung angeboten werden.

Vieles ist denkbar. Aber offensichtlich muss das urbane Wohnhochhaus, massgeschneidert auf die Wünsche und Bedürfnisse zukünftiger Bewohnerinnen und Bewohner, noch erfunden werden. Sowohl Architekten wie auch Investoren sind gefordert.

Hier könnten die CMS, die Stiftung Habitat, die Stiftung Abendrot, die Eisenbahner-Baugenossenschaft und viele andere aktiv werden und innovative Modelle entwickeln helfen.  

Noch sind die Wohnhochhäuser langweilig und in ihrem Angebot sehr eindimensional und starr. Modulartiges Denken und ein Höchstmass an Flexibilität sind im Wohnungsbau Fremdworte oder Leerstellen.

Noch immer wird Architektur in Beton gegossen und noch immer geben die Architekten unreflektiert tradierte Wohnformen vor. Das Wohnhochhaus muss als vertikale Stadt neu konzipiert und realisiert werden. Damit hätte diese sinnvolle und attraktive Wohnform auch im städtischen Umfeld eine echte und nachhaltige Chance. 

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