Neofaschisten wollen keine Debatte, sondern ihre Gegner erledigen. Wer sich auf Diskussionen mit ihnen einlässt, hat schon verloren. Gefragt ist darum ein entschlossenes Engagement für eine offene, tolerante Gesellschaft.
I
Bei der jüngsten Bundespräsidentenwahl in Österreich hat der unabhängige Grüne Van der Bellen nur sehr knapp gegen den FPÖ- Kandidaten Hofer gewonnen: 50,3 zu 49,7 Prozent. Über den Ausgang dieser Wahl sind viele Politiker und auch zahlreiche Medienkommentatoren in ganz Europa sehr erleichtert.
Den Triumph einer siegreichen Personalwahl als einen «High Noon»-Kampf, der in den letzten Tagen vor der Stichwahl als Gefahr für Europa heraufbeschworen oder von vornherein bereits entschuldigt wurde – diesen Triumph haben die «Rechtspopulisten» in ihrem «Heimatland» Österreich doch nicht geschafft. Oder genauer: Nicht ganz geschafft.
Klar, dass nun überall die «bürgerlichen Verwedler» antreten und von «Demokratie» reden, sowie davon, dass Hofer, wäre er ins Amt gelangt, schon nicht hätte Unsinn anrichten können, da es ja eine freie Presse und den Bogen der verfassungstreuen Parteien gebe.
Devote Anpassungsbereitschaft
Allerdings wurde auch in diesem Wahlkampf deutlich sichtbar, dass die «Correctness-Zertrümmerer» in Europa zunehmend die politische Sprache beherrschen. Sie beherrschen jedoch keineswegs die jeweilige Bevölkerung – sieht man von diesem österreichischen Wahlgang und den vergangenen Wahlen in Ungarn oder einigen Initiativabstimmungen in der Schweiz einmal ab.
Überall sonst werden die Rechtsnationalisten von so genannten «Bürgerlichen» nur grenzenlos bieder hofiert, in Regierungen hineingezogen oder etwa in Bayern durch die CSU politbegrifflich kopiert.
Das Flüchtlingsproblem ist das gegenwärtig tragende Beispiel für die oft devot wirkende Anpassungsbereitschaft vieler «Bürgerlicher» – und auch nicht weniger Sozialdemokraten in Europa – an das sprachgeschichtlich betrachtet faschistische Vokabular und an jene, welche dieses Vokabular zu verallgemeinern trachten.
Ein Problem, das voraussehbar war.
Irgendwann konnten Jordanien, Libanon und die Türkei, wie auch Pakistan, die Millionen Flüchtlinge aus dem Irak, aus Afghanistan, aus Syrien und Libyen nicht mehr alleine aufnehmen, unter anderem, weil etwa im Fall des Libanon die Zahl der Geflüchteten jene der Einwohner überstieg.
Krieg statt Flüchtlingshilfe
Völlig verdrängt haben westliche Regierungen und westliche Medien im Übrigen, dass während Bushs und Blairs Irakkrieg Millionen zur Flucht gezwungene Menschen aus dem Irak in Syrien die Kriegsgrausamkeiten überleben konnten – ob Kurden, Christen, Araber oder Minderheiten wie Jesiden: Sie wurden auch in Syrien unkompliziert aufgenommen. Dass die im Irak kriegsführenden Staaten des Westens für die Flüchtlinge in Syrien, in den nordirakischen Kurdengebieten oder in Jordanien finanzielle Hilfe geleistet hätten, ist nicht bekannt. Nicht bekannt, weil Hilfe von dieser Seite nicht stattgefunden hatte.
Genau dieses – sehr gewichtige – Detail aber hat die Politik der Europäer wie jene der USA bis in den Sommer des Jahres 2015 hinein überhaupt nicht interessiert. Entsprechend wenig bis nichts wurde etwa für die Versorgung der Millionen Flüchtenden in den Nachbarstaaten des Iraks, Syriens und Libyens unternommen.
Nur die Schweden halfen mit
Anstelle von wirksamer Hilfe vor Ort wurde «Dublin» beschworen und die polizeimilitärische Frontex erfunden, was für die nicht ans Mittelmeer angrenzenden EU- und die an die EU-Flüchtlingspolitik angeschlossenen Staaten wie die Schweiz und Norwegen nichts anderes bedeutete, als sich die Flüchtlingsmassen vom Hals zu halten. Der einzige Staat ohne Mittelmeeranschluss, der spürbar Verantwortung für Flüchtlingsprobleme übernahm, war über Jahre hinweg Schweden.
Diesbezüglich fand es auch die Medienwelt keineswegs genügend erwähnenswert, dass sich aus den Kriegszuständen mit dem Beginn des Irakkriegs ab 2002 eine grauenhafte Flüchtlingskatastrophe an die andere reihte.
Erst, als es richtig brenzlig wurde, erst, als Millionen Menschen den Fluchtweg Richtung Europa, der ans Mittelmeer oder in Richtung Türkei führte, sprichwörtlich unter ihre Füsse nahmen, wurde in der europäischen Politik und daran anschliessend in der europäischen Medienwelt das ganze Elend wahrgenommen, an dem «man» seit Jahren direkt beteiligt ist. Wie etwa mit dem unsäglichen Alles-Oder-Nichts-Machtgehabe und ebensolcher Meinungsmacherei gegenüber der Diktatur Assads und gegenüber Russland und der gewollten Blindheit gegenüber Saudi-Arabien (IS-Finanzierung und IS-Logistikunterstützung).
Dass weite Teile der Bevölkerung gegenüber Flüchtlingen offen und hilfsbereit sind, wird inzwischen kaum mehr wahrgenommen.
Aus dieser Wahrnehmung heraus entwickelte sich eine politische Diskussion, welche vielerorts, nicht überall (erinnert sei an Deutschland, an Frau Merkel und andere dort) von so genannt «Bürgerlichen» in eine Art Weltuntergangsszenario-Beschwörung überführt wurde: Wir werden «überschwemmt»!
Mit Überschwemmungs- oder «Das Boot ist voll»-Rhetorik öffneten «Bürgerliche» für die europäischen Rechtsextremisten ein Feld voller giftiger «Normalität». Die billige «bürgerliche» Erklärung lautete, dass man «den Rechtspopulisten» die «Sorgen des Volkes» nicht überlassen dürfe.
Dass die singulär bezeichnete «Sorge des Volkes» das Flüchtlingsgeschehen sei, ist dabei als Axiom auch in zahlreichen Medienveranstaltungen abgehandelt worden. Dabei wurden überall Leute in Talkshows eingeladen, welche mit ihren primitiven und hasserfüllten Slogans die Diskussionsatmosphäre vergifteten. Dass weite Teile der Bevölkerung gegenüber Flüchtlingen offen und hilfsbereit sind, wird inzwischen kaum mehr wahrgenommen.
Eigentlich handelt es sich hier um eine Falle, in die allen voran die europäischen TV-Sender geraten sind. Die Fallen gestellt haben vor allem machtgierige Rechtsintellektuelle und deren politische Ableger, die «Rechtsextremisten».
Der Rechtpopulist ist ein Neo-Faschist
Um deutlich zu machen, worum es politisch offensichtlich geht, drehe ich hier für einmal die Begriffsfolge um und stelle fest: Man nennt die europäischen Neofaschisten meiner Ansicht nach fälschlicherweise «Rechtspopulisten».
Ich schreibe bewusst: Neofaschisten.
Die tatsächlichen Programme der angeblichen «Rechtsnationalisten», also der Neofaschisten, sind nur insofern «populistisch», als sie absolute Vereinfachungen propagieren, was bei jeder ihrer Forderungen, sollten sie «erfüllt» werden, auf eine Vernichtung von Menschenleben hinausläuft. Das Propagandakleid der Neofaschisten ist mehr oder weniger kitschig angelegt: «Heimat», Beschwörung des «Normalen» – was immer das dann auch sei – , Grenzzäune als Schutzschild des nationalen Glücks und so weiter.
Stillschweigend wird die Bereitschaft, gegen «Feinde» mit «Gewalt» vorzugehen, in die politische Alltagssprache eingeführt. Solcherlei geschieht bewusst, geplant. Denn es geht – nur vorerst einmal verbal – darum, den politischen Handlungsspielraum von «Gutmenschlichem» zu enttabuisieren. Vernichtung von Menschen soll «im Interesse der Mehrheit» oder «des Volkes» wieder möglich sein. Denn nur mit der Möglichkeit, Leben auszulöschen, kann man die Macht in faschistischer Manier ausüben.
Also enttabuisiert man fleissig.
Das beginnt dann etwa so:
«Das Antirassismusgesetz ist nur dazu da, um die Wahrheit mundtot zu machen.»
Weiter:
«Sozialisten, Pseudo-Bürgerliche à la GLP, Gewerkschafter und Sozialarbeiter aller Fakultäten, Gutmenschen, Kulturschaffende und Weitere ruinieren die Schweiz – und die Netten schauen zu…»
Wer so spricht, ist für die SVP-Parteielite offensichtlich geeignet, das «Asyldossier» so zu behandeln, dass keine Fragen offen bleiben, das heisst: Dass es keine «Lösung» geben wird, weil eine «Lösung» das Hetz-Vehikel namens «Asylmissbrauch» aufheben würde.
Das tönt daher folgendermassen:
Welche Asylpolitik schlagen Sie denn vor?
Die Schweiz muss ihre grüne Grenze mit einem Stacheldrahtzaun abriegeln. Es wird zu einer Flüchtlingsinvasion kommen. Frankreich ist zu, Österreich macht zu, die Balkanroute ist zu. Der einzige Weg nach Europa führt über Italien. Italien ist aber kein Zielland. Die Flüchtlinge kommen in die Schweiz.Wie soll die eingezäunte Landesgrenze «geschützt» werden?
Natürlich spricht – in diesem Fall – der SVP-Asylverantwortliche Andreas Glarner nicht von Gewalt, nicht von Militäreinsätzen usw.Eine richtige Grenzschliessung würde den wirtschaftlichen Kollaps bedeuten.
Das wollen wir auch nicht. Es braucht eine Schliessung der grünen Grenze und die Wiedereinführung systematischer Kontrollen am Zoll.Das wären höchstens Stichproben, wie vor der Einführung von Schengen-Dublin. Die Grenze wird nie ganz geschlossen werden. Die SVP gaukelt der Bevölkerung etwas vor, was nicht machbar ist.
Systematische Grenzkontrollen hätten als Signal eine extreme Auswirkung auf die Migration. Zudem kann man so schon Triage machen. Wenn ein Zöllner ins Auto schaut, sieht er schnell, ob es sich um Asylbewerber handelt.(aus dem Tages-Anzeiger)
Ich hätte als Interviewer weitergefragt:
Was schlagen Sie vor, wenn die Stichkontrollen, die Sie vorschlagen, nicht erfolgreich wären? Was, wenn die Flüchtlinge nicht in Autos sitzen, sondern über Hügel, Berge an die Stacheldrahtgrenzen gelangen, zu Fuss nämlich?
Im Hintergrund des Stacheldrahteinsatzes steht der Einsatz von Gewalt gegen «Eindringlinge».
Die Stacheldrahtidee ist nur auf den ersten Blick sinnlos. Glarner und andere SVP-Repräsentanten werden diese «Lösung» immer wieder vorbringen, weil es in absehbarer Zeit viele Hunderttausend Flüchtlinge geben wird, welche nach Europa kommen. Zudem, werden Glarner, Köppel und Co. anführen, wolle «das Volk» diesen Stacheldraht.
Im Hintergrund des Stacheldrahteinsatzes steht, zurzeit noch nicht offen benannt, der Einsatz von Gewalt gegen «Eindringlinge». Flüchtlinge werden dann zu Eindringlingen, wenn sie den Stacheldraht überwinden.
Was aber unternimmt dann die «dem Volk verpflichtete» Politik, die sich den Stacheldraht hat aufschwatzen lassen?
Nichts anderes als ein Schiessbefehl gegenüber Flüchtlingen, welche die Zäune zu überwinden versuchen – was sicherlich viele in ihrer Not, in ihrem Bemühen um ihr Weiterleben versuchen würden – würde schliesslich hie und da verhindern, dass Flüchtlinge überhaupt ins Land kommen.
Dies genau ist ein faschistisches Projekt: Töten, um auszuschliessen, um zu «erledigen».
Man erinnert sich vermutlich schon noch an die Facebook-Mitteilungen der stellvertretenden Vorsitzenden der deutschen AfD, Frau von Storch über «Grenzsicherung gegen Flüchtlinge», hier laut «Stern» zitiert:
Mit Bezug auf das Grundgesetz stellt sie fest, dass Menschen, die über Österreich einreisen, kein Asylrecht in Deutschland haben und man diesen aufgrund des Asylgesetzes (Paragraph 18, Absatz 2) die Einreise verweigern soll. Und wenn Sie das HALT an der Grenze nicht akzeptieren, «können die Vollzugsbeamten im Grenzdienst Schusswaffen auch gegen Personen einsetzen.»
Zudem postete Frau von Storch auf Facebook zum Thema, wieder zitiert nach «Stern»:
Dabei geht die Politikerin noch einen Schritt weiter und bejaht die Frage eines Nutzers, ob man «Frauen mit Kindern an der grünen Wiese den Zutritt mit Waffengewalt» verwehren solle. Wenig später sieht sie sich zu einer Klarstellung genötigt. Grundsätzlich sei sie gegen Gewalt gegen Kinder und das umfasse auch den Einsatz von Schusswaffen gegen minderjährige Migranten durch die Polizei.
Der Text des von Frau von Storch zitierten «Gesetz(es) über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes (UZwG)§ 11 Schusswaffengebrauch im Grenzdienst» lautet wie folgt:
Die in § 9 Nr. 1, 2, 7 und 8 genannten Vollzugsbeamten können im Grenzdienst Schusswaffen auch gegen Personen gebrauchen, die sich der wiederholten Weisung, zu halten oder die Überprüfung ihrer Person oder der etwa mitgeführten Beförderungsmittel und Gegenstände zu dulden, durch die Flucht zu entziehen versuchen. Ist anzunehmen, dass die mündliche Weisung nicht verstanden wird, so kann sie durch einen Warnschuss ersetzt werden.
Man kennt die «Härte der Gesetzesanwendung» unter anderem aus der Geschichte des europäischen Faschismus. Man kennt sie auch aus der Geschichte des russisch-stalinistischen Kommunismus. Dieser letztere spielt aber heute kaum eine Rolle. Der Faschismus aber beginnt erneut, sich in der Politik festzusetzen. Deshalb ist es notwendig, dass man sich mit diesen faschistischen Politikplänen endlich ernsthaft auseinanderzusetzen beginnt.
Die Anfänge des Faschismus
Im angewandten europäischen Faschismus des 20. Jahrhunderts wurde aus der lautstark besungenen «Härte» der Machtausübung jedes Mal unmittelbar die gezielte Gesetzes- respekive Rechtsabschaffung für Teile der Bevölkerung (Juden, Romas, Schwule, Dichter, Kommunisten, Sozialisten, Polen, Widerstandskämpfer und so weiter). Schliesslich herrschte überall in faschistischen Staaten in Europa (Italien, Deutschland, Spanien, Portugal, Ungarn, Slowakei, Rumänien, Vichy-Frankreich) die Willkür der Machthaber und ihrer Mördercliquen, kurz: das Gegenteil eines Rechtsstaates.
Angefangen hat dies immer ziemlich ähnlich:
Es ging um «die Nation», es ging darum, angeblich «störende», nicht «zu uns passende» Minderheiten auszuradieren, es ging um die angeblich gefährdete Reinheit des Volkes.
Heute wird in den Kreisen, die man sehr ungenau «Rechtspopulisten» nennt, der multikulturellen, der heterogen zusammengesetzten Gesellschaft der Kampf angesagt, weil «multikulti» die eigene Identität zerstöre.
Was eigene Identität sei, woraus sie bestehe, wird beliebig umgedeutet, je nach Anlass. Das Eigenen gefährden einmal «die Ausländer», dann sind es «die Farbigen», zurzeit en vogue ist «der Islam», während Jahrzehnten waren es «die Juden», immer wieder hervorgeholt werden Hetzereien gegen «die Homosexuellen» oder «die Roma». Als Dach dieser «Feinde» der «Volksidentität» oder der «Volkssouveränität» machen die Rechtsnationalisten und Neofaschisten überall in Europa die EU aus.
Hatz gegen die Realität
Die sprachlichen Vehikel für die Schaffung des Feindes, den man braucht, um die eigene Identität zu «spüren», besteht europaweit aus wenigen Wörtern, mit deren Einsatz die «Führer», heissen sie nun Strache, Blocher oder Petry, Le Pen, Wilder oder Salvini, jegliche Gesprächskultur am laufenden Band zerstören. Für die Hatz gegen die Realität der Vielfalt innerhalb einer Gesellschaft sind dabei Begriffe wie «Asylanten», «Migration», «Inländervorrang» oder zurzeit «Asylmissbrauch», «Asylindustrie» und «der Islam gehört nicht zu Europa» die am häufigsten angewandten.
Es sind Begriffsvehikel ohne wirklichen Inhalt, mit denen die Extremisten so lange Stimmung machen – immer in auffallend unanständiger Verhetzung und Beschimpfung von jenen, welche widersprechen, als «Feinde» (Merkel, Sommaruga) – bis sich kaum mehr jemand getraut, auf die Vielfalt gesellschaftlicher Themen auch nur aufmerksam zu machen, geschweige denn, sie als eine der existentiellen Lebensgrundlagen der Jetztzeit in Europa zu verteidigen.
II
Was jene, welche für eine offene, vielfarbige, humane Gesellschaft eintreten, dagegen tun können?
1. Man muss sich aufraffen und den neofaschistischen Rezeptverkündern widersprechen
Die breitgestreute Kampagne gegen die «Durchsetzungsinitiative» der SVP wurde nicht in irgend einem Parteisekretariat, bei einem Wirtschaftsverband oder einer Gewerkschaftszentrale aufgebaut. Die Kampagne kam aus der Bevölkerung. Sie wurde vor allem über das Internet aufgebaut. Einzelne Persönlichkeiten haben über ihre Präsenz bei Facebook rechtzeitig intensiv über die Gefahr der Abschaffung der unabhängigen Rechtssprechung geschrieben und nicht nachgelassen, die Folgen einer solchen Abschaffung darzustellen.
Zwei Persönlichkeiten haben diesen Kampagnenbeginn vor allem geleistet: Matthias Bertschinger (Nunningen) und Ulrich Gut (Küsnacht ZH). Dank ihrer unermüdlichen alltäglichen Aufklärungsarbeit wurde die Thematik überhaupt erst bekannt. Wäre es auf die «klassischen» Abstimmungskämpfe hinausgelaufen, wäre die Kampagne der SVP vermutlich erfolgreich gewesen, weil sie wie immer billigste Provokation publiziert hätte, gegenüber der die braven, phantasielosen Initiativgegner allenfalls ins Jammern geraten wären.
Stattdessen entpuppte sich die Kampagne, welche von unabhängigen Leuten, von jungen Mitbürgerinnen und Mitbürgern inszeniert und durchgeführt wurde, als nicht mehr zu übergehende Gegenstimme zum Blocherschen System der Verhetzung des öffentlichen Raums. Die Hetzer wurden unter anderem auch mit Hilfe einfacher Symbolsprache entlarvt. Was die SVP-Propagandabteilung sofort ins Jammern über die bösen Initiativgegner und dann prompt ins Straucheln brachte.
Die Angriffe auf die vielfältige, offene Gesellschaft kommen aus der Ecke des Faschismus. Es ist an der Zeit, diese Ecke endlich auszuleuchten.
Die Mittel für diese Anti-SVP-Kampagne kamen von Hunderttausenden Bürgerinnen und Bürgern, welche die öffentlichen Kampagnenauftritte (Plakate, Videos, Inserate, Internetvernetzungen Telefonaktionen usw.) völlig unkompliziert finanzierten. Richtig: finanzierten.
Eine sehr ähnlich aufgebaute Bewegung hat kürzlich in Österreich den angeblich nicht mehr zu verhindernden Wahlsieg eines FPÖ-Bundespräsidentenkandidaten dann eben doch verhindert.
Kurz: Wenn sich die vielfältigen, vielfarbigen, durchaus komplexen, aber auch einigermassen freien Gesellschaftsmitglieder aufraffen und sich für ihr Zusammenlebensmodell zur Wehr setzten – über ihre alltäglichen und politischen Verschiedenheiten hinweg –, bekommt dieses Modell Struktur. Struktur, die viele nicht mit den neofaschistischen Gefängnis- und den sanktionierenden Vorurteilswelten der Menschenverächter und Meinungsdiktatoren eintauschen möchten.
Die Angriffe auf die vielfältige, offene, multikulturell geprägte europäische Gesellschaft kommen aus der Ecke des Faschismus. Es ist an der Zeit, diese Ecke endlich auszuleuchten.
2. Man muss nicht jeder Hetzparole Öffentlichkeit verschaffen
Allein im deutschen Sprachraum herrscht bei allen TV-Unternehmen, ob privat oder öffentlich-rechtlich organisiert, eine allgemeine und alltägliche Schwätzerei vor, die mit der realen Welt schon lange nichts mehr zu tun hat. Im allgemeinen wird in journalistischen Kreisen immer mehr darüber gejammert, dass wegen des Internets keine ernsthafte Diskussion mehr möglich sei. Dies speist sich durch die so genannten relevanten gesellschaftlichen Kräfte, also politische Parteien, Verbände, Werbewirtschaft, Meinungsumfrageinstitute und Kirchen sowie weitere Religionsvertreter.
Die allgegenwärtigen TV-Talkrunden haben eine themenbezogene Diskussionskultur zerstört.
Trotzdem wird weiter getalkt. Immer mit den gleichen Leuten. Immer über das angeblich kurz vor dem Zusammenbruch stehende System namens EU oder über die nicht mehr zu leistende Aufnahme von Flüchtlingen, über die IS-Terroristen und über die Zunahme der Kriminalität «in unseren Städten» (obwohl diesbezüglich das Gegenteil der Fall ist). In diesen Talkkreisen kennt man sich untereinander. Denn man ist seit Jahren unter sich. Die Rollen sind verteilt. Seit einiger Zeit gehört immer irgend eine Person dazu, welche rechtsextreme und faschistische Parolen verkündet und die jeweiligen «Diskussionen» damit sprengt.
Dass durch diese allgegenwärtigen TV-Talkrunden eine themenbezogene Diskussionskultur zerstört wurde, ist offenkundig. Für sehr viele Menschen ist das Fernsehen bezüglich politischer Information längst nicht mehr glaubwürdig. Es hat nicht nur die öffentliche Diskussionskultur kaputt gemacht. Schwerwiegend scheint mir vor allem die Frage der Bildmanipulation zu sein. Das Fernsehen in Europa und in den USA liess sich erwiesenermassen von Fakern jeglicher Herkunft wiederholt instrumentalisieren.
Es ist durchaus nicht so, dass jene nachhaltig an der Glaubwürdigkeit des Fernsehens zweifeln, welche es als «Lügenpresse» bezeichnen. Denn diese Schreier wollen ja vor allem die Manipulation der Nachrichtenlage in ihrem Sinn.
Nein, es sind die Leser, die Informierten, jene, welche sich gewohnt sind, über Informationen nachzudenken, welche diese globalisierte Agentur-Nachrichtenwelt mehr und mehr in Zweifel ziehen. Deshalb sind im Internet jene Blogs- und Foren entstanden, welche den Agenturnachrichtenvermittlern zunehmend zu schaffen machen.
Ein «Meinungsaustausch» mit Glarner oder Köppel erübrigt sich, weil diese Leute gar nicht diskutieren wollen. Sie wollen «die anderen» fertig machen.
Um offene Diskussionen führen zu können ist es notwendig, gerade nicht mit Leuten, welche die Öffentlichkeit nur für Hetze und Beleidigung nutzen, vor TV-Kameras oder Radiomikrophonen zu «diskutieren». Im konkreten Fall der Deutschschweiz erübrigt sich ein «Meinungsaustausch» mit Herren wie Glarner oder Köppel oder einer Frau Estermann und anderen, weil diese SVP-Leute gar nicht diskutieren wollen. Sie wollen vielmehr «die anderen» fertig machen.
Die «anderen»: Zurzeit ist es Frau Sommaruga, welche von der SVP-Einheitspropaganda auf das Übelste beschimpft und beliebig verleumdet wird. Dies aus dem einzigen Grund, damit die Glarners und Köppels ein Feindbild haben. Feindbilder sind bei Parolenverkündigungen einprägsamer als kontrovers geführte Diskussionen über Themen.
Genau aus diesem Grund sollten sich jene, die wirklich über öffentliche Dinge, über politische Entscheidungen diskutieren wollen, mit solchen Feindbildproduzenten nicht in Gespräche verwickeln lassen. Letztere wissen natürlich, dass sie ihre Feindbilder nur im Rahmen von angeblich offenen Diskussionsforen über ihre enge Anhängerschaft hinaus verbreiten können.
Bleiben diese Herren und Damen unter sich, schrumpft ihre Wichtigkeit und damit ihre politische Relevanz sofort auf ein Mass, das man im allgemeinen als «Sekte» bezeichnet. Das zeigt sich deutlich etwa in der Zahl der realen Leser der blocherschen BaZ. Da nützt auch all das nichts, was «andere Stimmen» hie und da publizieren dürfen, weil viele sich um Wissen und um Information bemühende Leute in der ganzen Region sich den alltäglichen SVP-Ideologiesermon nicht mehr antun wollen.
Wir sollten lernen, dass man die Sektierer bei ihren Hetzparolen-Verkündigungen nicht mehr mit Anwesenheit belohnt.
III
Kurz: Ich glaube, es ist in Europa und auch in der Schweiz, an der Zeit, couragiert für die Offenheit der Gesellschaftsstrukturen, in denen wir leben, einzutreten. Es ist an der Zeit, die farbige Welt, in der wir leben dürfen, gegen die Anmassungen sektiererischer Rechtsnationaler und ihrer Gewaltanwendungsfantasien zu verteidigen. Und zwar durchaus nicht zimperlich. So, wie sehr viele Bürgerinnen und Bürger jeglicher «Farbe» in der Kampagne gegen die SVP-Durchsetzungsinitiativ operiert und schliesslich abgestimmt haben.