Eskalation unter der Dreirosenbrücke – das sagt ein Augenzeuge

Der Basler Journalist Alain Gfeller ist zufällig mit seiner Tochter unter der Dreirosenbrücke, als ein Polizeieinsatz ausser Kontrolle gerät. Ein Polizist erhält einen Schlag, die Tochter weint und Gfeller sagt: «Das war absehbar.» Seine Schilderung einer unnötigen Eskalation.

Eindringen in die Spielzone: Der Ort der Kontrolle, nachdem die Polizei wieder abgezogen war.

Was geschah vergangenen Donnerstagnachmittag auf der Kleinbasler Seite der Dreirosenbrücke? «Angriff auf Polizisten bei Personenkontrolle», meldete das Justiz- und Sicherheitsdepartement per Medienmitteilung. Die Meldung wurde von den Medien breit aufgegriffen.

Demnach kontrollierte die Kantonspolizei am Donnerstag, 14.30 Uhr zwei Personen, die sich im kleinen Park neben der Brücke aufhielten. «Im Verlauf dieser Kontrolle näherten sich Passanten, störten die Polizei bei ihrer Arbeit und stachelten die Kontrollierten zur Gegenwehr auf», schreibt das Departement.

Der Einsatz geriet ausser Kontrolle, als einer der beiden kontrollierten Jugendlichen gegen einen Polizisten handgreiflich wurde. Doch die Eskalation begann früher, sagt der Journalist Alain Gfeller und richtet Vorwürfe an die Polizei. 

Gfeller vermutet, er sei einer jener Passanten, die angeblich störten und aufstachelten. Die Schilderung in der Mitteilung, sagt Gfeller, habe ihn wütend gemacht und dazu gebracht, für die TagesWoche seine Sichtweise auf den Polizeieinsatz aufzuschreiben. 

Nachfolgend seine Schilderung der Dinge plus zwei kurze Videos – eines aufgenommen von Gfeller, eines von einer weiteren Quartierbewohnerin. Danach findet sich eine Stellungnahme der Polizei auf die erhobenen Vorwürfe.


«Ich ha Angscht»

Wird auf der Dreirosenanlage gedealt? Klar. Wird manchmal geschlegelt? Glaub schon. Werden Drogen konsumiert? Ja. 

Ja, in diesem Quartier gibt es Probleme. Wie in jedem Quartier. Finde ich das als Vater gut? Nein. Und als Anwohner mag ich es auch nicht. 

Meiner 5-jährigen Tochter gefällt es hier aber. Angst hat sie vor der grossen Klybeckstrasse und, seit Donnerstag, vor der Polizei. Grund: Eine eskalierte Polizeikontrolle. Dabei hätte es nicht so kommen müssen. 

Der Ablauf war vorhersehbar. Warum haben die Polizisten die Eskalation nicht kommen sehen?  

Am Donnerstag war ich mit meiner Tochter auf der Dreirosenanlage. Sie spielte mit anderen Kindern. Ich schaute zu. Dann wurde rund 20 Meter hinter mir eine Gruppe junger Männer kontrolliert, die unter einem grossen Baum im Schatten sass. 

Kurz darauf verlegten zwei Polizisten einen Teil der Kontrolle aber genau dorthin, wo meine Tochter mit kriegstraumatisierten Flüchtlingskindern und zwei Freundinnen spielte: In ein abgestecktes Spielfeld für Kinder. 

Rot markiert der Baum, unter dem die beiden Jugendlichen sassen, als die Polizei erschien. Die Kontrolle wurde dann an den Brückenrand in eine Spielzone verlegt.

Ich reagierte nicht. Nicht, wenn meine Tochter dabei ist. Dann sah und hörte ich, dass der kontrollierte junge Mann, ein filigran gebauter Schwarzer, die Polizisten mehrmals darauf aufmerksam machte: «Ich ha Impfig am Arm. Macht weh.» Das kümmerte den Polizisten offenbar nicht, er packte den Jungen jedenfalls immer wieder am selben Arm. Grob. Obwohl der Junge den Anschein machte, den polizeilichen Anweisungen Folge zu leisten. Und mit jedem Griff an den lädierten Oberarm spitzte sich die Situation zu – Eskalation lag in der Luft.

Ich wollte nicht, dass eine gewalttätige Festnahme vor den Kindern stattfindet. Also ging ich zu den Polizisten und bat sie, die Kontrolle ein paar Meter weiter weg weiterzuführen, der Kinder wegen. Das wollten die Polizisten nicht. Einer sagte, ich solle mein Kind richtig erziehen und verschwinden. 

Ich sagte, apropos Erziehung, dass ich es pädagogisch nicht besonders wertvoll fände, wenn meine Tochter ständig sehe, dass schwarze MitbürgerInnen kontrolliert würden. Und dann gab einer der Polizisten diesen bedenklichen Satz von sich: «Mir mache d Kontrolle genau do, damit d Kinder gseen, wär do d Problem macht!» 

Die Schwarzen also. Eine rassistische Aussage. «Ihr sind so Idiooote!», war mein Reflex. Es ist mir einfach so rausgerutscht. 

Knie im Nacken, Knie im Kreuz, Arm hinten hoch, Kopf am Boden, Schreie.

Ein Polizist drohte, er würde mich mitnehmen und verzeigen. Ich machte ihm klar, dass mich das nicht beeindruckte. Ich fühlte mich im Recht. Da versuchte sich der Kontrollierte für mich einzusetzen und fragte den Polizisten, warum er mich mitnehmen wolle. Ich gab dem Jungen Handzeichen, er solle sich ruhig verhalten. Ich wollte nicht, dass er meinetwegen mehr Ärger bekommt. Die Situation war verbockt. Ich setzte mich wieder hin. 

Naja, es kam wie es kommen musste: Der eine Polizist griff dem Kontrollierten erneut an den lädierten Arm. Dieser schrie: «Hey! Ich ha Impfig do! Tscheggsch nidd?!» Der Junge zog seinen Arm weg. Der Polizist griff wieder danach, der Junge zog ihn wieder weg und hielt den anderen Arm schützend vor sein Gesicht. Der Polizist packte den Jungen und warf ihn zu Boden. Der zweite Polizist half dabei. Knie im Nacken, Knie im Kreuz, Arm hinten hoch, Kopf am Boden, Schreie, ein dritter Polizist eilt herbei. Mein Kind weint. Vor der Polizei. 

Die Festnahme sah brutal aus, war wohl aber gesetzeskonform. Aber es hätte nicht zu dieser Eskalation kommen müssen. 

Der Polizist hätte den Jungen am anderen Arm halten können. Und er hätte ihn sowieso nicht dauernd anfassen müssen, denn der Junge stand einfach da und liess die Kontrolle über sich ergehen. Er tat das, was man von ihm verlangte. Äusserlich zumindest. 

Vielleicht sagte er nicht die Wahrheit. Aber das tut nichts zur Sache. Als Laie sehe ich zudem keinen Grund, die Kontrolle in der für Kleinkinder abgesteckten Spielecke durchzuführen. 

Wenn ich als Aussenstehender die Eskalation habe kommen sehen, warum haben die Polizisten es nicht gesehen? Wie werden die PolizistInnen auf solche Situationen geschult? Deeskalation sollte zum kleinen Einmaleins des Polizeihandwerks gehören.  

Zwei Polizisten führten den Jungen dann ab. Ich ging ein kleines Stück mit und fragte den dritten Polizisten, wie er heisse. Damit störte ich den Einsatz höchstens minimal. Die beiden anderen habe ich nicht angesprochen, da sie mit dem Abführen des Jungen beschäftigt waren. Eine Antwort bekam ich nicht. 

Der Polizist drehte sich ab, als ich auf sein Namensschild schauen wollte. Ich wies ihn darauf hin, dass er sich ausweisen müsse. Worauf er sein Klettverschluss-Namensschild von der Uniform nahm. Ich wies ihn darauf hin, dass er das nicht tun dürfe und dass er sich auszuweisen habe. Ich erhielt keine Antwort. 

Eine Weile später sah ich den Polizisten auf der Wiese stehen. Ich wollte sehen, ob sein Namensschild wieder an seiner Uniform war. Ich filmte. Es ist erstaunlich, was so ein Handy ausmacht. Der Polizist war jetzt plötzlich anständig und hilfsbereit. «Könne dr abstelle? S isch e polizeilichi Kontrolle. Ir könned jedds abstelle.» In ruhigem und anständigem Ton. Ich sagte, es sei öffentlicher Grund. Er unaufgefordert: «Sie hän jedds all unseri Näme. Si könne jedds abstelle.» Warum er sich vorher nicht ausweisen wollte, wollte ich wissen. Er bestritt alles und erklärte mir, dass er immer zeigen müsse, wer er sei. 

Die Aufarbeitung

Auch wenn mir zwei Tage später ein Polizist ein Gespräch angeboten hat, werde ich Beschwerde einreichen. Ich bin pessimistisch. Die Polizisten werden wohl einen ausführlichen Rapport schreiben müssen. Sie werden bestreiten. Besonders bei kleineren Verstössen und Delikten schützen sich die PolizistInnen gegenseitig. Ich werde als Passant, der den Einsatz störte, abgetan. Wahrscheinlich wird die Polizei denken, ich sei ein Querulant, mit einem Autoritätsproblem. Die Sichtweise der Polizei ist ihrer Medienmitteilung zu entnehmen. 

Aber dennoch: Es lohnt sich! Denn nur so kann man die Bevölkerung auf Missstände aufmerksam machen. Und darum geht es hier. Ich beschwere mich nicht über die Kontrolle. Ich beschwere mich über die Art und Weise der Kontrolle. Denn sie hätte so ablaufen können, wie die Musterkontrolle in einer Präsentation der Kantonspolizei Basel-Stadt: 2 Minuten 30 Sekunden. Anständig, respektvoll, würdevoll und frei von Gewalt. 

Ich habe ein schlechtes Gewissen. Der kontrollierte Junge fühlte sich womöglich von mir bestärkt. Obwohl ich ihn nie – zu keinem Zeitpunkt –angestachelt habe, Widerstand zu leisten. Ich nervte die Polizisten. Denn diese wollen nur ungestört ihre Arbeit machen. Vielleicht wäre die Situation nicht eskaliert, hätte ich einfach nur zugeschaut. Meine Tochter hätte dann auch nicht weinen müssen. 

Ich frage mich, ob die Polizisten auch ein schlechtes Gewissen haben? Ob sie sich ihrer Schuld bewusst sind. Werden sie sich zu einem Deeskalationskurs anmelden?


Die TagesWoche hat dem Justiz- und Sicherheitsdepartement einen Fragenkatalog vorgelegt. Sprecher Toprak Yerguz beantwortet diese in einer ausführlichen Stellungnahme.

Die Stellungnahme der Polizei

Wird die Polizei diese Vorwürfe untersuchen? 

Ganz allgemein können wir sagen, dass nach solchen Einsätzen Debriefings stattfinden, in welchen die Erkenntnisse gesammelt werden und in die weitere polizeiliche Arbeit einfliessen. Aufgrund der Heftigkeit der Geschehnisse gegen unsere Mitarbeiter und der hohen Zahl an Beteiligten während der Personenkontrolle ist das Debriefing in diesem Fall noch nicht abgeschlossen. 

Weshalb wurden die beiden Personen kontrolliert?

Wie verweisen auf den ersten Satz der Medienmitteilung: «Die Kantonspolizei Basel-Stadt hat am Donnerstagnachmittag um rund 14.30 Uhr bei der Suche nach einer ausgeschriebenen Person eine Personenkontrolle auf der Dreirosenanlage durchgeführt.» Die Person wurde von der Kriminalpolizei der Staatsanwaltschaft ausgeschrieben. 

Warum führt die Polizei eine Personenkontrolle absichtlich vor Kindern durch?

Kontrollen werden nicht «absichtlich» vor Kindern durchgeführt. Sie finden in der Öffentlichkeit statt, wo sich auch Kinder aufhalten können. Die Kantonspolizei ist verpflichtet, für die Sicherheit der Bevölkerung zu sorgen. Im Fall der Dreirosenanlage patroulliert die Polizei auch ausserhalb der genannten Personenkontrolle immer wieder vor Ort, damit sich dort kein Drogenumschlagplatz entwickelt – gerade zum Schutz des sich dort befindenden Spielplatzes. 

Personenkontrollen arten zudem in den seltensten Fällen so aus wie im vorliegenden Fall. Im Idealfall zeigen die kontrollierten Personen ihre Ausweispapiere und nach wenigen Minuten ist die Angelegenheit vorbei, sofern nichts polizeilich relevantes vorliegt. 

Dürfen Polizisten ihr Namensschild demonstrativ entfernen?

Hier die entsprechenden Auszüge aus Polizeigesetz und –verordnung.

Was geschieht nun? Wird solches Verhalten sanktioniert? 

Auf Seite der Polizei: Siehe Antwort Frage 1: Nach solchen Einsätzen finden Debriefings statt, in welchen die Erkenntnisse gesammelt werden und in die weitere polizeiliche Arbeit einfliessen. Aufgrund der Heftigkeit der Geschehnisse gegen unsere Mitarbeiter und der hohen Zahl an Beteiligten während der Personenkontrolle ist das Debriefing in diesem Fall noch nicht abgeschlossen. 

Auf Seite Passanten und Kontrollierte: Um eine Eskalation zu verhindern, sollten Kontrollen nicht gestört werden. Wie erwähnt: Im Idealfall zeigen die kontrollierten Personen ihre Ausweispapiere und nach wenigen Minuten ist die Angelegenheit vorbei, sofern nichts polizeilich relevantes vorliegt. 

Nimmt man mit solchem Verhalten nicht in Kauf, dass Situationen eskalieren, die man vielleicht ohne Gewalt hätte abwickeln können? 

Wir müssen hier ganz klar festhalten, dass der Einsatz ruhig begann und erst eskalierte, als sich Passanten einmischten und die Kontrollierten aufwiegelten. Also unsere Gegenfrage: Nimmt man mit solchem Verhalten nicht in Kauf, dass Situationen eskalieren, die man vielleicht ohne Gewalt hätte abwickeln können? 

Entspricht es der Praxis der Kantonspolizei Basel-Stadt, dass Kontrollierte und Drittpersonen geduzt werden? 

Die Kantonspolizei Basel-Stadt spricht die Bevölkerung per Sie an. Werden die Polizisten jedoch selbst konsequent geduzt, nehmen sie sich dasselbe Recht heraus. 

Nächster Artikel