Feindbilder statt Verantwortung: Die Hetze gegen Flüchtlinge

Die Flüchtlinge aus dem Nahen Osten und Afrika landen meist in ihren Nachbarländern. Nach Europa gelangen die wenigsten – trotzdem wird hier gegen die Schutzsuchenden gehetzt, statt dass sich der Westen eingestehen würde, wie er zum Flüchtlingselend beigetragen hat.

Fünf von über einer Million: Syrische Kinder in einem Flüchtlingslager in der jordanischen Stadt Mafraq.

(Bild: Reuters)

Die Flüchtlinge aus dem Nahen Osten und Afrika landen meist in ihren Nachbarländern. Nach Europa gelangen die wenigsten – trotzdem wird hier gegen die Schutzsuchenden gehetzt, statt dass sich der Westen eingestehen würde, wie er zum Flüchtlingselend beigetragen hat.

I
Millionen Menschen befinden sich weltweit auf der Flucht. Auch aus der europäischen Nachbarschaft: Millionen Menschen aus Syrien, aus dem Irak, aus dem Jemen und aus Libyen suchen Schutz vor Mörderbanden.

Extrem und im Hinblick auf existenzielle Grundbedürfnisse eines «normalen» Lebens schlimm ist in den genannten Ländern vor allem, dass die «Kräfte», welche den jeweiligen Bürgerkrieg betreiben, allesamt den Mord, die massenweise Vergewaltigungen unter anderem von Kindern und das Abschlachten ganzer Stadtbevölkerungen im Namen irgendeiner ideologischen Grösse als Selbstverständnis handhaben.

Auf die jeweilige «Zielrichtung» ihres Kriegsbeitrages kommt es in dieser Praxis längst nicht mehr an. In Syrien wird seit Jahren von jenen, die angeblich Demokratie wollen, das ganze Gewaltarsenal gegen die Bevölkerung eingesetzt, und sei es – geradezu pervers – im Bündnis mit der Gewaltgroteske namens IS, mitsamt finanzieller und militärtechnischer Unterstützung namentlich aus Saudi-Arabien.

Wie war das vor 10, vor 15 Jahren?

Millionen Menschen, die aus dem Irak nach Syrien, in den Iran, nach Jordanien, in die Türkei und in den Libanon flohen – hierzulande längst vergessen und verdrängt! Verdrängt auch deshalb, weil Bush junior und Blair, Aznar und Berlusconi einen Angriffskrieg gegen die Diktatur Saddam Husseins aufgrund einer Lüge der US-Administration führten, an den sich unsere «demokratisch legitimierten» Menschenrechtsreklamierer – wenn es etwa um China oder um Russland oder um wohlfeile Plapperei an irgendwelchen internationalen Konferenzen geht – gar nicht gerne erinnern lassen wollen.

In Eritrea wiederum, einst ein USA-Lieblingsaufstandsland gegen die «Marxisten» in Addis Abeba, herrschen Zustände, die man ansonsten allenfalls in Nordkorea erwarten würde. Der ehemalige Rebellenführer Isaias Afewerki, der seit 14 Jahren eine Einmanndiktatur betreibt und die männliche Einwohnerschaft des Landes zu jahrelangen Militärdiensten zwingt und Kritiker verschwinden lässt, ist für die Flucht von weit über 250’000 jungen Menschen aus Eritrea (der grösste Teil von ihnen nach Äthiopien und – man staune – laut Amnesty International und UNHCR in den muslimischen Nordsudan!) verantwortlich.

Flüchtlinge verlassen ihre Heimatländer meistens bei Nacht und Nebel, jedenfalls nicht mit einem Flugticket und einem gültigen Pass versehen. Flucht ist keine Angelegenheit von geordneter oder geregelter «Auswanderung». Geflüchtet wird dorthin, wo Flüchtende Hilfe erwarten. Europa mit seinem oft beschworenen Menschenrechtsbewusstsein gilt weltweit immer noch als jene Weltgegend, in der man als Rechtloser am ehesten gerecht behandelt wird. Allerdings: Ein Blick in die Statistiken des UNHCR ergeben lauter Überraschungen: Vergleicht man die Aufnahmezahlen von Flüchtlingen aus Bürgerkriegs- und Unrechtsstaaten in Drittstaaten, muss man für das Jahr 2014 folgende UNHCR-Zahlen zur Kenntnis nehmen:




Um präventiv dem Einwand zu begegnen, diese Zahlen seien nun wirklich nicht mit der Schweiz zu vergleichen – ebenfalls vom UNHCR berechnet: angekommene Flüchtlinge pro 1000 Einwohner, bezogen auf das Jahr 2014.




Um eine andere statistische Verfahrensweise zu berücksichtigen, kann man die nach einem gesetzlich vorgesehenen Regelverfahren anerkannten Flüchtlinge, die in einem Land Asyl erhalten haben, vergleichen: Berechnet man die Zahl anerkannter Flüchtlinge, die in einem Land aufgenommen wurden, für 2013, bezogen auf die Gesamtbevölkerung, ergibt sich folgendes Bild: In Norwegen wurde pro 1000 Einwohner 1 Flüchtling als solcher anerkannt und aufgenommen, in Schweden 0,9 und in der Schweiz 0,5. Die grossen EU-Mitgliedstaaten Deutschland, Frankreich und Italien lagen mit jeweils 0,2 beziehungsweise 0,1 Flüchtling pro Tausend Einwohner weit zurück. (Quelle: Mediendienst Integration)

III
Die angeblichen Wutausbrüche von «einfachen Leuten» gegen Flüchtlinge und deren Unterkünfte, welche in Europa sowohl von Neofaschisten (Ungarn, Polen, im Baltikum) als auch von in dieser Frage sehr supranational herumhetzenden nationalistischen Rechtspopulisten, die rassistisch oder religiös orientierte Vorurteile (Afrika, Islam) als «normale Volkswillensäusserung» propagieren und organisieren, sind angesichts der Realitäten, die zur Flucht zwingen, einfach unerträglich.

In der Schweiz sind es die führenden Leute der SVP, welche gegen jene hetzen, die der Menschlichkeit, dem Mitgefühl für geschundene Flüchtlinge verbunden helfen wollen. Und dies fortgesetzt und mit dem simplen Ziel, bei den Nationalratswahlen mit ein paar Stellen hinter dem Komma besser herauszukommen als bei den meisten aktuellen Umfragen.

Rechtspopulisten schüren eine Stimmung, in der Anschläge gegen Asylunterkünfte als «verständliche Reaktion» einer überforderten Bevölkerung erklärt werden.

Dasselbe betreibt in Österreich die FPÖ, in Ungarn der autoritär regierende Orban und seine Fidesz. In Skandinavien sind die rechtspopulistischen Parteien in Dänemark, in Norwegen und in Finnland ins Regieren eingebunden, was dazu führt, dass die anderen, sogenannt «Bürgerlichen», sich den üblen sprachlichen Entgleisungen gegen asylsuchende Flüchtlinge anschliessen. 

Die Rechtspopulisten schüren eine Stimmung, in der dann Brandanschläge gegen Asylunterkünfte als «verständliche Reaktion» einer angeblich überforderten Bevölkerung erklärt werden. Nur: Wer hat denn beispielsweise in Freital bei Dresden als «Bevölkerung» gegen «das Asylantenpack» lauter eingeübte Kurzparolen in die bereitwillig aufgestellten TV-Kameras hineingeschrien? «Die Bevölkerung»? Hier zum Beispiel:

Welche «Bevölkerung», welches «Volk» tritt so auf? Natürlich ist die Sache inszeniert. Primitive Schreier, die sich als Parolenautomaten sowohl vor den Handykameras der Youtube- und Facebookmanie als auch von professionellen TV-Sensationssuchern selber ins Visier zu setzen pflegen, sind selbstredend weder «die» Bevölkerung noch «das» Volk.

Dass solch widerliches Geschrei aber überhaupt eine gewisse Bedeutung für Tagesnachrichten erhält, hat viel mit den Sensationsbedürfnissen der Auflage- und Einschaltquotenmedien zu tun. Es ist – auf den ersten Blick mindestens – attraktiver, ständig ein paar Vertreter der in jeder Gesellschaft vorhandenen Dummheit oder der schlichten Kotzbrockenkleinbürgerlichkeit mitsamt deren Hang zum Blockwartdenunziantentum in Ton, Bild und Druckerschwärze vorzuführen, als etwas komplexere soziale Zusammenhänge – wenn notwendig erst noch geduldig – in den Bürgerdialog hineinzuführen.

Die Hetze, die zur Hatz aufstachelt, die Hatz, die in Gewalt mündet, ist nicht normal.

Es ist erschreckend, welch xenophobe und rassistisch angeturnte Hatz auf «Fremdes» in der Erscheinungsform von Flüchtlingen sowohl medial wie in der Politik als quasi normal hingenommen wird. Das, was zur Zeit geschieht, die Hetze, welche zur Hatz aufstachelt, die Hatz, welche in Brandanschläge, in Gewaltausbrüche und schlichter Inkaufnahme von toten Asylsuchenden in angezündeten Unterkünften mündet, ist nicht normal.

Hinter der aktuellen Hetze gegen asylsuchende Flüchtlinge, denen beispielsweise die SVP mit ihren zahlreichen parlamentarischen Vorstössen und angekündigten Volksinitiativen mit Wörtern wie «Scheinasylant» oder «Asylbetrüger» jegliches Recht auf ein Regelverfahren vorenthalten will, steckt ein zynisches Machtkalkül. Man kennt die Kalkulierer und man kennt deren Lautsprecher. Was steht am Ende dieser Hetze und Hatz?

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