Facebook ermöglicht Dialoge, Twitter bloss Gefolgschaft – über die Funktion sozialer Medien in der öffentlichen und politischen Kommunikation.
1. Kommunikationsmittler Facebook
Facebook bringt viel Unterhaltung in das individuelle Leben eines Facebooknutzers. Nebst Unterhaltung, nebst Kommunikation, nebst Aufrufen und Hinweisen und zahlreichen Möglichkeiten, sich über das Alltagsleben anderer Facebooknutzer laufend oder sporadisch, kritisch oder zustimmend, lobend oder beschimpfend ins Bild zu setzen, ist Facebook vor allem ein Foto-, Video-, Schreibutensil und nicht zuletzt ein umfangreiches und gleichzeitig unübersichtliches Nachrichtenmedium in einem.
Man kann bezüglich Facebook für die letzten Jahre globalisiert einen allgemeinen Kulturschock konstatieren.
Ein Schock deshalb, weil die Öffnung in die Welt eines riesigen Kommunikationsangebots nicht nach und nach stattfand, sondern im Prinzip eher revolutionär oder explosiv. Wir befinden uns – vermutlich – in einer Zeit unmittelbar nach der ersten grossen Facebook-Schockwelle. Allerdings dringen nachfolgende kleinere, fast alltäglich auftretende Schockwellen noch immer und immer wieder in das Bewusstsein vieler User.
Wir, die User, wissen inzwischen, dass Facebook undurchsichtig ist. Wir wissen – oder wir könnten wissen – dass unsere Aktivitäten beobachtet, herausgefiltert, in Datensysteme eingespiesen, mit Verdachtsmomenten angereichert und mit sogenannten Konsumwünschen gekoppelt werden.
Denken wir auch an die datenpersonifizierten Kassenbons der Supermärkte, den verkauften Spuren unseres Internetdaseins und den gehackten Daten aus unserem Internetbanking, dann kann das in der Summe Ohnmacht erzeugen.
Nun: Zumindest könnte es Ohnmacht erzeugen.
Aber was soll ich mich als User, der auf seinen Facebookseiten und auf dem Messengerangebot, welches er akzeptiert hat, seine Freunde trifft, sich rund um die Uhr über alles und jedes, was ihn interessiert, ins Bild, ins Gespräch, in den Meinungsaustausch setzen kann, mit dieser Ohnmacht des Facebook-Users auseinandersetzen? Ohnmacht, die es objektiv wohl geben dürfte. Die der User, das ICH, allerdings nicht spüren muss.
Ohnmacht, die das ICH nicht spürt, existiert nicht wirklich, sondern allenfalls als theoretische Gefährdung, also, wenn man so will, bloss virtuell.
Facebook ist ein Ort, an dem das ICH in menschlichen Seelenzuständen herumschleichen kann, ohne sich in reale Gefahr begeben zu müssen.
Im Grunde genommen ist Facebook eine Art Lebenselixier, mindestens für die Massen der Facebookuser. Es ersetzt zum Beispiel oft den Gang in die Stadt. Oder die Reise nach Rom oder jene ins Andengebirge. Es macht mich als User zum Zeitgenossen, der sehen kann, was die Zeitgenossen sehen. Der hören kann, was die Zeitgenossen hören. Der mitreden kann, wenn er denn mitreden will.
Facebook ist ein Ort, an dem das ICH sich quasi als Voyeur oder als anonym bleibende Zuschauerin in den Tiefen vieler menschlicher Seelen- und Lebenszustände herumschleichen kann, ohne sich in reale Gefahr begeben zu müssen.
Facebook macht aktive User aktiv und ermöglicht passiven Usern bequeme Passivität. Insofern ist Facebook mehr als bloss Unterhaltung.
Facebook beruht für sehr viele Benutzerinnen und Benutzer wesentlich auf Dialog. Wenn das ICH Freundschaftsanfragen nicht annimmt oder keine solchen stellt, bleibt es von vielen Informationen ausgeschlossen. Das ICH braucht Freunde, um mehr zu erfahren über das, was die genannten Seelen- und Lebensumstände in konkrete Erzählungen münden und damit zum Miterleben werden lässt.
Das System namens «Freunde» ist für Facebook wesentlich. Und schon hat man ein paar Dutzend oder ein paar Hundert Kontakte, die man als Freunde versteht.
Anders gesagt:
Die «Freunde» machen die Nachrichtenwelt meines Userkontos aus, nicht Facebook an sich. Das, denke ich, ist der geniale Zug, der Facebook als globalisierte Kommunikationsmaschine menschlich daherkommen lässt.
Das System der «Freunde» besitzt eine bemerkenswerte Offenheit, in der man viel Lernfreiheit erproben kann.
Trotz aller Gefahren, welche Facebook etwa in Sachen Datenschutz nachgesagt werden, ist innerhalb dieses Systems der Freunde sowohl Annäherung als auch Zurückweisung, sowohl Unterstützung als auch Bekämpfung, sowohl Ausdehnung als auch Zurückstufung möglich. Schliesslich ist auch der Rückzug aus dem gesamten System möglich. Das Individuum bleibt dann, wenn es will, bei sich.
Die weitere Entwicklung?
Einige wissen mehr über Facebook-Ausbaumöglichkeiten, andere wissen mehr über die zu beobachtenden Gefahren. Insgesamt besitzt das System der «Freunde» aber eine bemerkenswerte Offenheit, in der man viel Lernfreiheit erproben kann.
«Freunde» als Quelle von Nachrichten, als Dialogpartner, als Organisatoren. «Freunde» als Adressaten von Ideen, von Urteilen. Das ICH kann unmittelbar antworten, kann differenzieren, es wird nicht durch Einschränkungen am Dialog gehindert.
2. Kommunikationsmittel Twitter
Twittern, soll es wirken, braucht Follower. Damit ist über dieses Kommunikationssystem eigentlich das Wesentliche gesagt. Der User ist entweder ein aktiver Tweet-Versender. Oder er ist passiv und bloss Follower eines Twitterers.
Man folgt jemandem auf Twitter.
Dialog? Twittern hat mit realem und vor allem einem unmittelbaren Dialog innerhalb einer Gruppe von Usern, unter einzelnen Menschen, die dem ICH begegnen, mit ihm sprachlich oder bildlich verbunden sind, praktisch nichts zu tun. Unmittelbare sprachliche Kommunikation ist auf Twitter systemisch mit Aufwand verbunden und kommt deshalb als Abfolge eines Gesprächsaufbaus kaum vor. Das System fördert anstelle des Gesprächs die Verkündigung.
Ich verkünde, was ich gerade mache.
Ich verkünde, was ich gerade denke.
Ich verkünde am laufenden Band Urteile, Verurteilungen und namentlich und besonders häufig natürlich Vorurteile. Eigentlich ist alles, was ich auf Twitter verkünde, von Vorurteil geprägt. Denn mit 140 Zeichen kann ich nichts von Bedeutung begründen.
Mit dem System des Twitterns lässt sich vor allem oberflächliche Werbung betreiben. Die Verkürzung als Äusserungsprinzip erzeugt aber auch vielversprechende Aspekte für bewusst inszenierte Desinformation. Der professionelle Missbrauch der Tweets für Hetze, Hassbotschaften ist offensichtlich.
Ein wichtiger Grund, dass inzwischen derart häufig getwittert wird, besteht darin, Follower zu zählen. Wie viele folgen mir? Wer folgt mir? Wer favorisiert mich? Wie viele Retweets habe ich eingesammelt?
Das ICH kann zusehen, wie andere meinen Tweet weitergeben, wie er sich also auf die Reise begibt und damit so etwas wie eine Faktizität erzeugt, welche mich zu einer Twitterpersönlichkeit werden lässt, der man eben folgt. Wofür auch immer, denn Inhalte stellen keine Bedingung dar, dank derer man viele Follower erhält.
Genauer: Nur dann schaffen es meine Tweets und damit das ICH, Anhänger zu gewinnen, wenn diese Tweets, wenn quasi das ICH auf «die Schnelle» lesbar, erkennbar, vor allem aber leicht – man könnte auch sagen: ohne Anstrengung – zuzuordnen ist.
Follower.
Anhänger.
Fans.
3. Kommunikation
3.1)
Was wäre die Alltagswelt ohne Fanclubs für alles und jedes?
Fans machen die Welt, in der wir unter anderem auch anonym zu leben haben, also für das Ganze mehr oder weniger bedeutungslos, etwas konkreter fassbar. Ich kann Gemeinsamkeiten mit anderen finden, welche offenbar die gleichen Meinungen, dieselben Vorlieben, das gleiche Feindbild haben wie ich.
Erkennbar ist, dass solche Gemeinsamkeiten mir nur dann Zugehörigkeitsgefühle verschaffen, wenn sie leicht zu erkennen sind. Man ist dieser oder jener Meinung. Diese stützt sich auf den Glauben, dass man genug erfahren hat, um bezüglich eines bestimmten Aspekts des Alltagslebens eine feste Meinung zu haben. Es gibt wenig, meistens nichts zu diskutieren, weil die – gemeinsame – Meinung feststeht.
Follower haben Meinungen. Nicht so sehr eine Auswahl von Ansichten, zu denen sie neigen, sondern festgefügte Meinungen zu bestimmten Phänomenen des eigenen Alltagslebens. Je weniger Differenzierung dabei berücksichtigt werden muss, desto klarer, so erscheint es jedenfalls, steht «meine» Meinung zur Charakteristik der Zeit als «allgemeingültig» da. «Alle» oder «das Volk». «Ich» habe dieselbe Meinung wie «das Volk».
Kurz: «Ich» bin «das Volk».
Das Problem bei dieser Art von Meinungsübereinstimmung, welche mich zu einem Follower von etwas «Grösserem» macht, besteht darin, dass die Übereinstimmung nicht an etwas allzu Konkretem festgemacht werden darf:
Ich kann zum Beispiel Fan eines bestimmten Fussballclubs sein. Allenfalls ist es denkbar, dass ich zugleich Fan eines weiteren Fussballclubs sein kann. Praktischerweise müsste dieser zweite Club allerdings in einer anderen Liga oder in einer anderen Fussballnation spielen. Wenn ich mal für diesen, mal für jenen Verein in derselben Liga «Fangedanken» pflege, bin ich dem Wortsinn nach kein «treuer» oder «glühender» Anhänger des einen Vereins: Ich wäre kein Fan. Es muss, will ich Fan sein, klar definiert sein, zu wem ich stehe. Alles andere ist dieser Definition untergeordnet, auch so etwas wie der Rang des Clubs in der Liga-Rangliste.
Feinden begegnet man aufgerüstet, mindestens verbal aufgerüstet.
Eine mehr oder weniger übergeordnete Charaktereigenschaft eines Vereinsfans lautet: Der Fan ist im Wesentlichen treu. Nicht total unkritisch, was das interne Vereinsleben betrifft. Im Sinn des höheren Interessens des Vereins als Teil des Lebens eines Fans gilt, dass das Weiterleben oder das Überleben des Vereins über «allem» steht. Auch über Trainern, über Spielern, über Vereinspräsidenten. Heute in rentablen Fussballligen (England, Deutschland, Italien, Spanien, Frankreich…) auch über jenem der «Investoren».
Die Kommunikation innerhalb des Vereins bezieht sich auf alles, was ihn ausmacht. Darüber hinaus bewegt sich die Kommunikation unter den Fans des Vereins auch in der Nachrichtenwelt, welche die anderen Ligavereine generieren. Es sind im Verständnis vieler Fans Nachrichten aus dem Feindesland.
Die anderen Ligavereine haben ebenfalls Fanclubs. Fans sind aufgrund ihrer eigenen Zugehörigkeitsentscheidung oft der Meinung, dass Fans anderer Ligavereine Feinde seien. Feinden begegnet man aufgerüstet, mindestens verbal aufgerüstet. Man begegnet ihnen bei Gelegenheit auch handfest, man provoziert, man schlägt auch mal zu.
Das nennt man dann, weil Gewaltprobleme scheinbar mit dem Verein nichts zu tun haben, sondern «dem» Fussball oder «der» Fussballnation leider zwangsweise von aussen zugeordnet, Gewalt von «Hooligans».
Der Fan glaubt
In der allgemeinen Berichterstattung über Gewalt rund um die Fussballstadien wird meiner Ansicht nach zu wenig über das Phänomen «Fan» nachgedacht. Dieses Phänomen kennt keine offene Kommunikation, keine Diskursfähigkeit oder gar eine Diskursgewöhnung. Der Fan glaubt.
Er glaubt zum Beispiel an irgendeine von ihm erkannte Mission seines Vereins. Er glaubt, dass diese Mission einzigartig ist. Widerspruch ist dann Sünde gegen diesen Glauben.
Diese Einzigartigkeit erlaubt ihm, alle und alles, was ihr nicht zugehörig ist, zu verachten. Im besten Fall – zum Beispiel im Interesse des Fussballs – bleibt es bei einfacher Verachtung der oder ganz verallgemeinert verstanden des anderen.
Anhänger zu sein bedeutet, zugehörig zu sein. Bedeutet: Sich als «normal» zu verstehen, so wie «die Normalen» zu sein also. Anhänger brauchen eingeschränkte Glaubensartikel, sie wollen «eins» sein mit denen, die so sind und so denken, die so zu leben vorgeben, wie sie selber ihr Leben erfahren.
Die Phänomene sehr vieler Fanerscheinungen drücken genau diese Eingeschränktheit aus. Sie verspricht, dass man aufgefangen wird, dass man mit seinen Vorlieben bedient wird. Dafür gibt man her, was «Persönlichkeit» genannt wird. Man verschwindet im Objekt der Fans: Und das kann, wie man weiss, auch eine Person sein, ein Star, ein Anführer, einer, der herausragt, der auffällt.
Follower, Fans, Anhänger brauchen den einen oder anderen Führer.
Die Kommunikation in diesen Fangebilden läuft meistens von oben, von der Führung nach unten, wo ihre immer einfachen Botschaften als die einzig richtigen aufgenommen, vor allem aber geglaubt und mit «gefällt mir» versehen werden. Nach oben geht keine Reaktion als jene der Zustimmungssmileys.
3.2)
Die Bedingungen des Twitterns, vor allem die Beschränkung eines jeden Posts auf wenige Wörter, kommen all jenen entgegen, welche der Ansicht sind, es sei eh «alles» klar, nämlich von ihnen bereits erschöpfend dargestellt. Wahrheit oder Lüge? Das existiert nicht. Es existiert nur die Meinung. Und zwar die eigene.
Gedächtnisloses Hantieren im blossen Tweet-Augenblick
Wer diese Meinung nicht bejaht, ist ein Feind. Feinde aber lügen sowieso immer. Deshalb ist alles, was an Kritik am Tweetproduzenten (etwa an Trumps Posts) vorgebracht, journalistisch oder wissenschaftlich recherchiert, in offenen Diskursen dargestellt, also in der Öffentlichkeit einer offenen Gesellschaft er- und verarbeitet, für die «Hard»-Followers unwahr, ist Lüge, Verdrehung, Meinungsdiktat der «Elite», der «Lügenpresse» und so weiter.
Fest steht: Es gibt eine gewisse Attraktivität, welche von diesen eindimensional die Welt erklärenden Anführern ausgeht: Sie leugnen einfach alles ab, was sie im Lauf ihrer unendlichen Post- und Tweet-Produktion an meistens massivsten Widersprüchlichkeiten in sich verkündet haben. Sie negieren ihre eigenen Widersprüchlichkeiten, und aus dieser Negierung heraus entsteht ein gedächtnisloses Hantieren im blossen Tweet-Augenblick.
Daneben kennen sie die Tricks der Verführung:
Sie stellen sich selber als allwissend dar. Sie sind dann irgendwann allwissend – für ihre Follower, für jene, denen sie Lösungen bieten, die so einfach sind, dass man über sie gar nicht mehr nachdenken muss. Es gibt für alles einen Schuldigen. Und es gibt den Anführer, dem man dabei folgt, wenn er aufräumt, wenn er Ordnung macht.
Es sind 140-Zeichen-Wahnvorstellungen, welche immer vereinzelt auftreten. Vereinzelt heisst: Zwischen den Posts eines Trump zum Beispiel besteht kaum ein anderer Zusammenhang als der, dass er sich selber als «der Grösste» erklärt. Alles, was er macht, ist das Grösste – auch wenn das im Einzelfall oft nachweislich nicht stimmt.
Zusammenhänge existieren für die 140-Zeichen-Tweet-Propaganda eigentlich nie wirklich. Der Rest von Trumps Tweets besteht aus dem alltäglichen Abklappern primitivster Boulevardgeschwätzigkeit, aus schlichten Lügen und aus Zeugnissen weitestgehenden Unwissens über das, worüber in seinem Namen, vielleicht auch von ihm persönlich, gerade getwittert wird.
So weit, so – inzwischen, nach knapp mehr als zwei Monaten Regierungszeit von Trump – klar.
4. Öffnung oder Schliessung?
Was daraus folgen wird?
Vorstellbar sind Glaubenskriege. Nicht solche religiösen Inhalts. Sondern Follower-Kriege. Diese Kriege dürften weitherum eher virtuell ausgetragen werden als unter Einsatz der eigenen «Männlichkeit». Und allenfalls in der Abschaffung rechtsstaatlicher Grundlagen durch politische Überanpassung an die 140-Zeichen-Behaupterei enden.
Vorstellbar ist, dass all den sogenannten «Populisten» der Schnauf ausgeht, weil sie nichts von dem, was sie angekündigt haben und von Belang wäre, verwirklichen können.
Vorstellbar ist vieles. Unter anderem auch, dass sich eher Facebook-Diskurse durchsetzen als die Produktion von Followern durch das Twittern.
(Gezwitschert wird natürlich weiterhin. Aber wie das Wort «Zwitschern» ja aussagt, wird eben nicht geredet, ausgesprochen, argumentiert, sondern bloss gezwitschert.)