Hiesig, und das, weil es gängig ist – Monica Gschwinds Gesetzesvorlage verletzt die Rechtsgleichheit und beschädigt damit die Grundlagen eines Rechtsstaates.
Ein interessantes Wort erst einmal, dieses «hiesig».
Etwa:
«Hiesig», Adr. Quod hujus loci est, jüngere bildung zu hie, die weniger gebräuchlichen hieig und hieisch […]
- an einem orte befindlich, auf ihn bezüglich, zu ihm gehörig; und zwar in dem eingeschränkten sinne, dasz es, im gegensatze zu hier, nicht auf eine räumlichkeit allgemein, sondern nur auf ein dorf, eine stadt, einen bezirk zeigt […]
- hiesig, in der welt befindlich, irdisch, im gegensatz zum himmel […]
- in quellen des 17. Jahrh. wird hiesig auch auf eine sache bezogen, und steht in dem sinne unseres vorliegend, folgend […]
- hiesig von der zeit, jetzig […], auch nur in quellen des 17. jahrh. […]»
(Zitat aus: Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Band 10, H-Juzen, München 1984, Spalte 1320.)
Es ist etwas aus der Mode gekommen, dass Politiker, vor allem solche, die ihre humanistische Bildung vorzeigen wollten, sich in lateinischen Sätzen äussern. Dies, obwohl viele Propagandaverkünderinnen und Retter «unserer» Welt vor allem das «christliche Abendland» beschwören.
Eigentlich würde diesen Leuten deshalb etwas Latein im Munde ganz gut tun. Das Abendland ist schliesslich jenes Gebilde, welches von den Griechen, den Römern – unseren antiken Vorgängerinnen und vor allem Vorgängern – über das latinisierende Mittelalter, den Humanismus der Renaissance bis in die heutigen eher ins Vergangene gerichteten Lehrplanwünsche mancher so genannter «Wertekonservativer» hinein manchmal im Detail, vor allem aber sehr verallgemeinert beschworen wird.
Und da passt es halt, dieses «quod hujus loci est», also das «was hier des Ortes ist».
Geschmacklos, rechtsverletzend und lächerlich
Hätte Monica Gschwind doch das Lateinische gewählt!
Aus dem «hiesig» wäre dann eben «des Ortes» geworden. Der Ort, also Liestal, Hölstein, nun, vielleicht auch noch die Dörflerinnen und Dörfler – nicht alle, aber die massgebenden, die tonangebenden – der Bezirke Sissach, Waldenburg und einige im Bezirk Liestal hätten das als «mein Ort» verstanden.
Und andere Dörflerinnen und Dörfler, weniger medial massgebende, hätten allenfalls augenzwinkernd erzählt, wie schlau der Bauernjunge im Sennenkutteli oder das gezopfte Lisbethli, Tochter des Kirchensiegristen aus – nun ja, nennen wir es paradigmatisch – Hölstein, es doch angestellt hätten, um dem übermächtigen Händedruck des Lehrers Meier oder Müller oder jenem feuchten, aber eiskalten Handschlag der Lehrerin Meier oder Müller zu entgehen.
Ich weiss: Was ich hier gerade eben geschrieben habe, ist schlechter Stil und keineswegs gelungene Ironie oder gar Satire.
Nur: Der Gegenstand oder die Sache, über die ich hier schreibe, ist in sich dreierlei: Geschmacklos, rechtsverletzend und lächerlich.
Eine sehr lokale Angelegenheit
Der angeblich gängige hiesige Handschlag an Schulen ist eine sehr lokale Angelegenheit. Man stelle sich vor, jede diesbezügliche «Verweigerung» – von welchem Beteiligten immer in Szene gesetzt – würde eine Regierung und ein Parlament zu weiterführender Gesetzesverabschiedung zwingen! Die basellandschaftliche Erziehungsdirektorin hat mit ihren Gesetzesplänen eine Ebene betreten, welche Gegenreaktionen von Seiten der politischen Vernunft geradezu herausfordert.
Lateinisch ausgesprochen wäre ihr Handschlag auf «des Ortes», auf «ihres Ortes» beschränkt geblieben. Eine Verordnung, in den verglasten Gemeinde-Infokästen ausgehängt, wäre bald von sich aus ins Vergilbte transformiert und schliesslich als unleserlich entfernt worden. Nach kürzester Zeit hätte sich niemand mehr an die Verordnung über den Handschlag in der Schule erinnert. Die Verordnung wäre aus den Augen und damit aus dem Sinn geraten. Ein typisches Vorkommnis im Rahmen von «quod hujus loci est».
Aber jetzt: Sie, Frau Gschwind, steht vor der globalisierten Öffentlichkeit und muss auf der von ihr betretenen Ebene vertreten, was da angeblich «hiesig» ist, und das erst noch «gängig». Deutsch geschrieben liest man also in der basellandschaftlichen Regierungspost an den basellandschaftlichen Landrat den Gesetzesentwurf, den die Erziehungsdirektorin in ihrem Departement hat ausreifen lassen.
Anbiederung an die «Volkswut»
Sprachlich geschah dies – selbstredend ohne Bezugnahme auf das abendländische «Kulturgut», denn «hiesig» und «gängig» reicht der Gesetzesmacherin – in deutscher, genauer in aktueller basellandschaftlich-deutscher Amtssprache und damit durchsichtig anbiedernd an die «Volkswut», die vor allem die lokalen Medien wochenlang skandalisiert haben.
Was liest man da?
Nun, unter anderem:
«1 Die Schülerinnen und Schüler
b. (geändert) tragen mit ihrem Verhalten zum Erfolg des Unterrichts sowie der Klassen- und Schulgemeinschaft bei und achten dabei die hiesigen gesellschaftlichen Werte;
d. (geändert) halten die Weisungen der Lehrerinnen und Lehrer sowie der Schulbehörden ein, nehmen an hiesig gängigen Ritualen wie namentlich dem Handschlag, sofern er eingefordert wird, teil und tragen zu Material und Einrichtung Sorge.»
Und, natürlich an die Adresse der (ausländischen) Erziehungsberechtigten:
«d. halten ihre Kinder an, die Regeln und Weisungen der Schule unter Berücksichtigung der hiesigen gesellschaftlichen Werte und Rituale einzuhalten und den Unterricht lückenlos zu besuchen.»
Mein Urteil über diese «Gesetzesarbeit»: ein Pfusch sondergleichen.
Einige Teilbegründungen für mein Urteil:
Die hier zitierten Sätze sind verfassungsrechtlich auch für einen juristischen Laien klar erkennbar unhaltbar. Dass sie der Verfassung des Kantons Basel-Landschaft nicht entsprechen, hat offensichtlich auch die Erziehungsdirektorin gemerkt und deshalb schickt sie dem Handschlag-Gesetz gleich auch noch eine Vernehmlassung über eine Verfassungsänderung hinterher.
«I.
§ 20 Abs. 2 (neu)
2 Weltanschauliche Auffassungen und religiöse Vorschriften entbinden nicht von der Erfüllung bürgerlicher Pflichten.»
Zum Vergleich: Heute besteht der sehr kurz gehaltene § 20 der Kantonsverfassung über «bürgerliche Pflichten» aus folgendem Satz:
«§ 20 Persönliche Pflichten
Jeder hat die Pflichten zu erfüllen, die ihm die Rechtsordnung des Bundes, des Kantons und der Gemeinde auferlegt.»
Sehr ausführlich wird in dieser Verfassung über die Grundrechte der Individuen und deren Schutz durch den Staat – verpflichtend selbstredend – gesprochen.
Ein Auszug:
«2. Grundrechte
§ 6 Freiheitsrechte
1 Der Staat schützt die Freiheitsrechte.
2 Gewährleistet sind insbesondere:
a. das Recht auf Leben, körperliche und geistige Unversehrtheit und Bewegungsfreiheit;
b. Glaubens- und Gewissensfreiheit;
c. Informations-, Meinungs- und Pressefreiheit;
d. Vereinigungs-, Versammlungs- und Kundgebungsfreiheit;
e. die Freiheit der wissenschaftlichen Lehre und Forschung sowie der künstlerischen Betätigung; […]»
Geschützt ist also die «Glaubens- und Gewissensfreiheit», was für die «hiesigen», angeblich «gängigen» Handschlag-Gebräuche in den Volksschulen offensichtlich den Durchsetzungsweg behindert, stört, ja unmöglich macht. Vor allem aber, was eine «bürgerliche» Regierung natürlich leicht übersehen kann, wenn sie niemand darauf hinweist, der Begriff «Kundgebungsfreiheit».
Wenn schon müsste die Glaubens- und Gewissensfreiheit eingeschränkt werden.
Wenn man schon für das «hiesig gängige» Ritual der Handschlagspflicht der Schülerinnen und Schüler, sofern dafür eine «Weisung» von Lehrpersonen oder Schulbehörden vorliegt, eintritt, müsste man nicht § 20 der Kantonsverfassung ändern, sondern § 6:
Abschnitt a:
«Bewegungsfreiheit» müsste gestrichen werden.
Abschnitt b:
«Glaubens- und Gewissenfreiheit» müsste dergestalt eingeschränkt werden, dass sie nur gilt, wenn sie mit «hiesig gängigen Ritualen wie namentlich dem Handschlag» übereinstimmen. Stimmen sie nicht überein, trägt also beispielsweise ein jüdischer Junge aus religiösen Gründen eine Kipa, dagegen aber die Lehrerweisung besteht, im Schulzimmer keine Mützen oder dergleichen tragen zu dürfen – solcherlei existiert zuhauf – ist das Tragen einer Kipa logischerweise Gesetzesbruch. Dieser kann aber nur festgestellt werden, wenn die Verfassung nicht etwas anderes sagt.
Also müsste, will man diese gschwindsche «Schulordnung» handfest machen, also mit Strafen bis hin zu Landesverweis, mit der «Durchsetzung» gegen «die» Fremden, die Verfassung, § 6 Abschnitt b, angepasst werden.
Abschnitt c:
«Meinungsfreiheit» müsste eingeschränkt werden, und zwar so, dass niemand mehr aus religiösen Motiven oder Regeln oder aus «weltanschaulichen» Gründen einfach so eine Ansicht oder eine Absicht als seine Meinung vertreten darf, wenn es dabei darum gehen würde, das «hiesige Rituale», also etwa der Schulhandschlag, in Frage gestellt würden.
Abschnitt d:
«Kundgebungsfreiheit» müsste ersatzlos aus der Kantonsverfassung gestrichen werden, vor allem für Kinder und Jugendliche und deren Eltern, vermutlich auch deren Grosseltern oder Geschwister, sofern sie kundgeben würden, dass sie den Handschlag in der Schule für überflüssig ansehen, für ungesund halten – was er sehr wohl sein kann, Stichwort: Tröpfchenübertragung, was in zahlreichen Altersheimen, Pflegestationen oder Firmen und Schulen (sic!) zu Handschuhpflichterklärungen führt – oder für ihren Glauben, ihre Meinungen, ihr Wissen über Gesundheitliches nicht massgebend und dogmatisch gültig sein darf.
Der Höhepunkt in der «Qualität» der gschwindschen Gesetzgebungsarbeit aber besteht wohl doch im folgenden Satz ihres Gesetzentwurfs:
«1 Die Schülerinnen und Schüler […] halten die Weisungen der Lehrerinnen und Lehrer sowie der Schulbehörden ein, nehmen an hiesig gängigen Ritualen wie namentlich dem Handschlag, sofern er eingefordert wird, teil und tragen zu Material und Einrichtung Sorge.»
Hier wird einfach zum Gesetz erklärt, dass Rechtsgleichheit nicht existiert, sobald es um den gängigen hiesigen Handschlag an Schulen geht. Der Verfassungsbruch – ein momentan reichlich verwendetes Lieblingswort der SVP und der Rechtsnationalen, wenn es um MEI-Verarbeitungen geht – ist hier geradezu offensichtlich. Die Kantonsverfassung spricht nämlich bezüglich der Rechtsgleichheit sehr konkret und eindeutig:
Ǥ 7 Rechtsgleichheit
1 Alle Menschen sind vor dem Gesetze gleich.
2 Insbesondere darf niemand wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Herkunft, seiner Rasse, seiner sozialen Stellung, seiner weltanschaulichen, politischen oder religiösen Überzeugung benachteiligt oder bevorzugt werden.»
Benachteiligt oder bevorzugt. Indem Gschwind dieses «sofern er (der Handschlag) eingefordert wird» legiferiert, bevorzugt sie die Weisungsgeberinnen und Weisungsgeber für den «Handschlag in Schulen» im Gesetzestext.
Der «hiesig gängige Handschlag», für dessen Durchsetzung man im Kanton Basel-Landschaft und da vor allem in der Erziehungsdirektion unter Regierungsrätin Gschwind extra eine Verfassungsänderung sowie Gesetzesveränderungen erarbeitet, erklärt so ganz nebenbei, dass die Verfolgung des nicht erfüllten Handschlags als Lust und Laune in den Händen von Lehrpersonen, von Schulvorstehern, von Schulbehörden im Kanton und in den Gemeinden liegt.
Rechtsgleichheit ist die Grundlage eines jeden Rechtsstaates. Hier wird diese Grundlage einfach abgeschafft.
Wenn der Handschlag denn gefordert wird, ist seine Verweigerung strafbar. Wenn er nicht gefordert wird? Wenn eine Gemeindebehörde oder eine Gemeindeversammlung erklärt, diesen Unsinn nicht mitmachen zu wollen, und dies lokal durchsetzt, ist das also nach Gschwind deshalb «wahlweise» und von gesetzlich bevorzugt behandelten Berechtigten geschaffen auch rechtens, weil er ja vor Ort nicht eingefordert wird.
«Hiesig» und «gängig», sonst ein Absolutum in ihrem Gesetzesentwurf, gilt da plötzlich nicht mehr, weil «nicht eingefordert». Obwohl man doch solch «hiesigen» und erst noch «gängigen» Handschlag an Schulen flugs oder «gschwind» mal eben gesetzlich einfordern will.
Aber: Ohne Einforderungszwang im ganzen Kanton macht ein Gesetz für den ganzen Kanton keinen Sinn.
Allerdings: Garantierte – hier kantonale – Rechtsgleichheit ist die Grundlage eines jeden Rechtsstaates. Hier wird diese Grundlage einfach abgeschafft.
Diese Abschaffung besitzt wohl durchaus einen Hintergrund, welcher der Person Gschwind immer wieder mal nützen könnte, wenn es um ihre mediale Selbstdarstellung geht. Sollte es wieder einen Medienhype geben, weil irgend jemand irgend jemandem den hiesig gängigen Handschlag verweigert hat; vielleicht eine Lehrperson einem renitenten Schüler oder ein Vater, es kann ja auch ein Schweizer sein, der gegenüber einer Lehrperson aus emotionalen Augenblicksgründen einen verlangten Handschlag nicht erfüllt? Nun, kommt das an die Öffentlichkeit, kann die Erziehungsdirektorin Gschwind so richtig öffentlich auffallend und medial verbreitet eingreifen.
Hauptsache Frau Gschwind kann demonstrieren, wie nahe sie sich doch «beim Volk» befindet.
Sie kann anzeigen. Sie kann die «Anzeige» zeitnah kommunizieren. Dass solche Anzeigen in den meisten Fällen aufgrund gewöhnlicher Denunziation auf einer Aussagewahrheitskraft im Sinn von «habe ich sagen gehört» oder «weiss man doch von denen schon lange» und dergleichen Genauigkeiten mehr zustande kommen werden, aber auch auf massiver Übertreibung oder schlicht auf Lügen beruhen könnten, spielt für sie keine Rolle.
Sie ist schliesslich «kantonsexekutiv» geworden. Also muss sie medialer Selbstdarstellungssucht entsprechend handeln, um nicht wieder, wie bei diesem Therwiler Hype, vorerst schweigen zu müssen, weil sie über das, was ihr amtsrechtlich zustehen würde, erst Erkundigungen einsammeln musste. Und die waren wohl in sich total widersprüchlich. Wäre es anders gewesen, hätte sie nicht als Gesetzesschöpferin tätig werden müssen.
Nun hat sie ihren Gesetzestext. Und durch seine Begriffswahl entsteht für sie der nette Populisteneffekt, dass sie die allzeit schreibbereiten Wutbürgerinnen und die lügenbereiten Xenophoben mit ihrer «Handlungsentschlossenheit», welche ihr diese ihre Gesetzesergänzung möglich macht, nämlich mit «gängig Hiesigem» beeindrucken kann.
Bundesgerichtsentscheidungen gegen den Kanton Basel-Landschaft können erwartet werden.
Bis das Ganze dann vor einer höheren Gerichtsebene in ein lautes Nichts zerfällt. Aber solcherlei dauert bekanntlich seine Zeit. Hauptsache für Frau Gschwind: Sie hat – bei Bedarf, den es ja immer wieder gibt – mal kurz demonstrieren können, wie nahe sie sich doch bitte sehr «beim Volk» befindet, dieser konkret nie erfassbaren Singularwortschöpfung.
Klar: Diese Gesetzesänderung ist nicht kantonsverfassungskonform. Sie ist auch nicht bundesverfassungskonform. Bundesgerichtsentscheidungen gegen den Kanton Basel-Landschaft können diesbezüglich erwartet werden.
Um auf den Begriff der Ebene, auf der man sich bewegt, zurückzukommen: Wer schreibt in der Erziehungsdirektion des Kantons Basel-Landschaft solche Pfuscharbeit? Wie kommt es, dass der Gesamtregierungsrat offensichtlich einen Gesetzes-Satz wie «sofern er eingefordert wird», der unverblümt die Rechtsgleichheitsgarantie der Kantonsverfassung sowie die Garantie, dass niemand rechtlich, in den Gesetzen also, benachteiligt oder bevorzugt werden darf, verletzt, weder verfassungsrechtlich noch juristisch analysieren kann?
Hat dieses Gremium keinen Kontakt zu Rechtssachverständigen?