Anna Schmid hatte keinen einfachen Start in Basel. Als Direktorin des Museums der Kulturen Basel stiess sie viele alteingesessene Museumsbesucher vor den Kopf. Jetzt habe das Haus Tritt gefasst.
Anna Schmid hatte als Direktorin des Museums der Kulturen Basel keinen einfachen Start. Mit der Neuausrichtung des Hauses verunsicherte sie viele alteingesessene Museumsbesucherinnen und -besucher. Inzwischen hat das Haus aber Tritt gefasst, wie sie sagt. Und mit der aktuellen Ausstellung tritt sie den Beweis an, dass sich auch mit ungewöhnlichen Projekten auf sinnliche Art höchst aufschlussreiche Erkenntnisse vermitteln lassen.
In der aktuellen Ausstellung «Semiwild – or unlimited desire» konfrontiert Ania Soliman, eine in Polen geborene und in New York lebende Künstlerin, in Basel eigene Werke mit Sammlungsobjekten aus Ozeanien, Asien und Europa. Entspricht dieser Spagat über die Kulturen der Art und Weise, wie Sie das «neue» Museum der Kulturen positionieren möchten?
Ich kann noch ergänzen, dass Ania Soliman in Bagdad und Kairo aufgewachsen ist und in London, Paris und Cambridge, Massachusetts studiert hat. Es entspricht in jeder Hinsicht dem, was ich mir – auch – unter einem Museum vorstelle. Es ist aber nicht etwas, was das Museum ausschliesslich sein soll, sondern eine Facette davon. Man darf auch nicht vergessen, dass nicht wenige Menschen heute eine solch bunte geografische Mischung als Hintergrund mitbringen. Ich würde Ania Soliman als Künstlerin nicht darüber definieren. Es spielt für mich keine Rolle, wo sie geboren ist, wo sie aufgewachsen ist und wie viele verschiedene Kulturen sie kennengelernt hat. Für mich ist wichtig, was für Ziele sie als Künstlerin hat. Für das Museum ist es wichtig, eine Plattform zu bieten für Reflexion. In diesem Fall ist es eine künstlerische Reflexion.
Was kann die Künstlerin Ihnen als Ethnologin Neues über die Sammlung in Ihrem Museum, über den Umgang mit Objekten aus anderen Kulturen erzählen?
Sie stellt andere und subjektive Verbindungen und Bezüge her. Für mich ist es wichtig, dass das Museum über die Ausstellungen jeweils eine Verbindung zum Hier und Jetzt schafft. Das kann in irgendeiner Form geschehen, sei dies auf offensichtliche oder auf implizite Art, sei dies als Anregung für die Besucherinnen und Besucher, über ihr eigenes Leben nachzudenken. Es geht also immer um Verbindungen. Eine Künstlerin schafft neue Verbindungen, auf die ich als Ethnologin selber nicht komme. Sie kann neue Denkweisen andeuten oder gar beschwören. So schafft Ania Soliman im Angesicht von verschiedenen Figuren aus Papua-Neuguinea eine Verbindung zum Studierzimmer von Sigmund Freud. Auf so etwas würde ich selber nie kommen, wenn ich diese Verbindung dann aber erlebe, erscheint sie mir logisch nachvollziehbar und klar. Aber die Künstlerin muss sie mir präsentieren. Ich bin keine Künstlerin und habe als Ethnologin auch nicht die Freiheit, so assoziativ zu denken.
Was kann oder darf die Künstlerin mehr tun als Sie als Ethnologin?
Sie schafft eigene visuelle Werke, die zum zentralen Bestandteil der Ausstellung werden. Wenn wir Objekte in einer Ausstellung präsentieren, können wir sie auf unterschiedliche Weise miteinander in Verbindung bringen – hier nehmen wir uns relativ viele Freiheiten heraus, sie müssen zum Beispiel nicht mehr aus derselben Region stammen. Aber wir schaffen nicht zusätzlich ein eigenes Werk jenseits der Anordnung von Objekten aus unseren – und manchmal auch aus anderen – Sammlungen. Mit Werk meine ich dabei dezidiert die Arbeiten der Künstlerin, ihre Collagen, Malereien, Videoinstallationen – und nicht die Ausstellung selbst.
Vermittelt Ihnen diese spezielle Sicht der Künstlerin auch wissenschaftlich neue Erkenntnisse?
Das vermittelt es immer, nicht zuletzt, weil die Wissenschaft sich dadurch ein Stück ihrer Rigidität bewusst wird, sei es, dass eine Sinnlichkeit entsteht, dass sich neue Referenzen auftun oder dass man neue Dimensionen in den Dingen und in den Bezügen entdeckt. Das ist ein sehr schöner Aspekt. Für mich ist die Bezüglichkeit das Allerwichtigste. Es ist keine schlichte Gegenüberstellung, die Arbeiten von Ania Soliman sind im Bezug auf unsere Sammlung entstanden. Die Werke, die so entstanden sind, haben eine wissenschaftliche Relevanz, indem sie zu anderen Fragestellungen führen. Welche genau, kann ich jetzt noch nicht sagen, vielleicht weiss ich in zwei Monaten mehr.
Sie haben als Ethnologin nicht die Freiheit, Ihr eigenes Werk beizutragen, aber Sie haben als Museumsdirektorin die Freiheit, eine Künstlerin einzuladen, die dann genau dieses tut.
Ich bringe als Ethnologin kein künstlerisches Werk in dem vorher angedeuteten Sinn hervor, kann also auch keines beitragen. Und es ist nicht so, dass wir die Sammlung einfach zur Verfügung stellen und sagen: «Machen Sie damit, was Sie wollen.» Es geht letztlich schon um die Inhalte unseres Hauses, die Künstlerin muss eine Affinität zu diesen Inhalten mitbringen. In diesem Fall war es wichtig, dass sich Ania Soliman schon vor ihrer jetzt gezeigten Ausstellung als Stipendiatin der Laurenz-Stiftung mit unseren Sammlungen auseinandergesetzt hat. Aber wir nehmen uns gerne die Freiheit, Künstlerinnen und Künstler zur Auseinandersetzung mit unseren Sammlungen einzuladen, ob es sich nun um Musikerinnen und Musiker handelt, die eine Hommage an Objekte erbringen, oder um Menschen, die ein Gedicht an die Sammlung schreiben, oder eben bildende Künstlerinnen und Künstler. Das ist für mich tatsächlich ein Mehr an Zugang, an Verstehen.
Etwas, was auch über das rein sinnliche Erlebnis hinausgeht?
Was idealerweise auch über das Sinnliche hinausgehen sollte, damit wir eine Erkenntnis mitgeben können, die überdauert. Insofern haben wir nicht nur die Möglichkeit, sondern geradezu die Pflicht, solche Projekte zu machen, um letztlich den Besucherinnen und Besuchern neue Einblicke gewähren zu können.
An der Vernissage der Ausstellung fiel auf, dass ein junges Publikum anwesend war, darunter viele Menschen, die man mehr oder weniger mit der Kunstszene in Verbindung bringen könnte. Lag dies speziell an der Person von Ania Soliman oder ist es generell ein neues Publikum, das Sie an Ihr Museum binden konnten?
Es ist beides. Es liegt am Museum, an der Art, wie wir arbeiten, dass neue Leute ins Museum kommen. Und es liegt an Ania Soliman, dass Vertreterinnen und Vertreter aus der Kunstszene so zahlreich anwesend waren. Was mich besonders gefreut hat, dass ich auch von unserem Stammpublikum sehr viele, durchwegs positive Stimmen zur Ausstellung vernommen habe.
Handelt es sich um das Stammpublikum, das bereits vor Ihrer Direktion ins Museum kam, oder ist es ein neues? Ihre Ausstellungstätigkeit stiess ja nach der Neueröffnung bei nicht wenigen Menschen auf Unverständnis bis Ablehnung.
Es gibt Leute, die klar verkündet haben, dass sie nicht mehr ins Museum kommen werden. Aber das gibt es immer, wenn inhaltlich neue Wege beschritten werden. Es gibt aber sehr viel mehr Menschen, die sagen, dass sie jetzt sehr gerne wieder ins Museum kommen, dass sie mit der Zeit verstehen konnten, dass weniger gezeigte Objekte mehr sein können, dass sie die Ausstellungen geniessen. Und es gibt Menschen, die sich darüber freuen, dass wieder «mehr» Objekte zu sehen sind und dass das Museum sich auf seine bedeutenden Sammlungen bezieht.
Was stimmt nun? Sind es weniger Objekte oder gleich viele wie früher?
Beides. Ich denke, dass es bei der Diskussion um die Objektmenge in den Ausstellungen seit September 2011 nicht so sehr um die Quantität ging, als um die Frage, was haben die mit uns vor? Es war vieles nicht mehr so, wie es das Publikum gewohnt war. An der eingeschränkten Menge der Objekte war dies aber am einfachsten greifbar und auszudrücken. Wir haben ja auch gesagt, dass wir minimalistisch arbeiten, gleichzeitig haben wir aber die Kadenz der Ausstellung so erhöht, dass man seit 2011 genau so viele Objekte sehen konnte wie früher bei einem Museumsbesuch. Aber neu weiss man nach einem Ausstellungsbesuch, was man gesehen hat. Wir achten ganz anders auf einzelne Objekte, auf die Art, wie sie platziert werden und was sie aussagen. Früher wurde das Museum mehr als Kulisse wahrgenommen, durch die man sich bewegen konnte. Mir geht es darum, vom Museum als Kulisse wegzukommen. Ich denke, dass wir uns auf einem guten Weg befinden. Wir haben gewiss radikal begonnen, wir haben aber einiges dazugelernt, insbesondere, was den Umgang mit den neuen Räumen angeht.
Wenn Sie das Museum als Kulisse ansprechen, dann meinen Sie ja wahrscheinlich die Schatzkammer von früher, die viele exotische Objekte vereinte. Bei Ihrer Dauerausstellung «Expeditionen» präsentieren Sie nun doch eine neue Art von Schatzkammer. War das ein Entgegenkommen an das Publikum, oder war das von Anfang an so geplant?
Eine Ausstellung entwickelt sich immer. Es ist nicht alles von Anfang an geplant. Wenn Sie von Schatzkammer sprechen, dann spielen Sie wahrscheinlich darauf an, dass wir bei «Expedition» eine gewisse Fülle von Objekten zeigen. Aber auch das ist inhaltlich begründet, als Hinweis auf eine Zeit, in der wirklich ramassiert wurde, als neben der Qualität auch die Menge der Objekte eine Rolle spielte, um Vergleiche anstellen und Varietäten von Objekten präsentieren zu können.
Ihr Beginn als neue Direktorin in Basel war ja nicht wirklich einfach. Zuerst mussten Sie sich mit dem Neubau und den Einsprachen dagegen beschäftigen, dann sorgten Sie mit der Neueröffnung des Museums für einiges an Verunsicherung beim alten Stammpublikum und jetzt stehen Nachbesserungen wegen der Akustik an. Hätten Sie sich gedacht, dass Museumsarbeit in der Museumsstadt Basel so schwierig sein könnte?
Ich hatte keinen schwierigen Start in Basel. Mit den Einsprachen hatte ich kaum mehr etwas zu tun. Ein halbes Jahr nach meinem Amtsantritt kam bereits das Bundesgerichtsurteil aus Lausanne. Dann kam der Umzug in die neuen Depots, was eine wunderbare Sache war. Auch konnten wir von der Verzögerung beim Bau profitieren, denn ohne sie hätten wir die Sanierung der Zwischengeschosse nicht realisieren können. Wir haben also das Glück, dass wir letztlich dank der Verzögerung ein neues Haus haben. Die Neueröffnung des Museums würde ich heute allerdings mit anderen kommunikativen Massnahmen flankieren. Ich hatte falsch eingeschätzt, wie sehr die Neuausrichtung des Hauses die Leute brüskieren konnte. Brüskieren wollte ich nicht, provozieren aber durchaus. Es war nicht alles einfach bei der Neueröffnung, aber es hat sich letztlich gelohnt.
Würden Sie sagen, dass Sie angekommen sind mit «Ihrem» neuen Museum?
Ich möchte nicht von angekommen sprechen, weil sich das Museum ja stetig weiterentwickeln soll. Das wäre zu statisch gedacht.
Haben Sie demnach eher Tritt gefasst?
Dieser Ausdruck passt viel besser. Das, denke ich, haben wir. Wir haben so Tritt gefasst, dass wir uns, ohne zu stolpern, weiterbewegen können.
Ausser, was die nun anstehenden Nachrüstungen betrifft?
Zu den Nachrüstungen muss ich sagen oder besser betonen, dass wir bereits 2008 zwei Millionen Franken für Nachrüstungen ins Investitionsprogramm eingestellt haben. Und davon haben wir nun 1,6 Millionen beantragt, also nicht die volle Summe. Von einem Versäumnis während der Planungs- und Bauphase kann also nicht die Rede sein. Uns ging es explizit darum, das Museum zu eröffnen, um dann beim konkreten Betrieb bedarfsgerecht herausfinden zu können, welche Verbesserungen nötig werden. Das habe ich immer gesagt. Erstaunlicherweise lief die öffentliche Diskussion in eine ganz andere Richtung.
Sie sagen, dass Sie Tritt gefasst haben. Im ersten Jahr erreichten Sie rund 60’000 Besucherinnen und Besucher, im zweiten waren es nun gegen 68’000. Sind Sie zufrieden damit?
Zufrieden sein kann man nie, es wird immer darum gehen, sich zu steigern, aber über die Qualität und nicht nur mit Blick auf die Quantität. Mich freut im Moment besonders, dass es viele Menschen gibt, die das Museum im Jahr, die gleiche Ausstellung mehrmals besuchen. Von dieser Seite her gesehen, haben wir unser Ziel erreicht.
In der Leistungsvereinbarung mit dem Kanton war von 80’000 bis 100’000 Besucherinnen und Besuchern die Rede. Ist das realistisch?
Ich hoffe es doch, diese Zahlen habe ich für die Leistungsvereinbarung selber vorgegeben. Vielleicht habe ich sie für den Neubeginn etwas zu hoch gesteckt, vielleicht habe ich unterschätzt, dass wir erst einmal Aufbauarbeit leisten müssen. Aber natürlich würden wir dies gerne erreichen.
Sie arbeiten gerne mit Künstlerinnen und Künstlern zusammen. In einem Jahr werden Sie nun Holbein-Meisterwerken aus dem Kunstmuseum in Ihrem Haus Asyl gewähren. Hat dies auch einen inhaltlichen Bezug zu Ihrem Museum?
Ich gewähre den Werken kein Asyl, sie kommen gewissermassen auf einen Besuch vorbei, auf den ich mich übrigens sehr freue. Sie gucken, wie es ihnen hier ergeht und was sich daraus entwickeln lässt (lacht). Aber der eigentliche Grund ist ja, dass Kunstmuseumsdirektor Bernhard Mendes Bürgi während der Umbauzeit seines Museums einen Platz für diese Meisterwerke gesucht hat. Er fragte mich, ob das möglich sei, worauf ich sogleich zurückfragte, was er denn sonst noch alles zur Verfügung stellen könnte. Bei unserer nächsten Dauerausstellung «StrohGold» geht es darum zu zeigen, wie sich Menschen von Objekten zu neuen Ideen inspirieren lassen, wie es dadurch zu Transformationen und Wanderungen kommt. Alberto Giacometti war einst hier in diesem Haus und hat sich hier inspirieren lassen, also könnte ich mir vorstellen, dass auch seine Werke einmal hier auf Besuch vorbeikommen könnten. Ich hoffe, dass dies der Beginn «einer wunderbaren Freundschaft» der anderen Art unter den Museen ist und dereinst ein reges Hin- und Herwandern zwischen den Häusern stattfinden wird.