Rechte treten nicht an, um zu diskutieren – Antikommunikation in TV-Debatten

In TV-Diskussionen werden möglichst starke Pole aufeinander losgelassen. Das soll spannende Diskussionen ermöglichen, doch meist brüllen die Rechten alles nieder. Einige Gedanken zum Elend der öffentlichen Debatte.

(Bild: Hansjörg Walter)

In TV-Diskussionen werden möglichst starke Pole aufeinander losgelassen. Das soll spannende Diskussionen ermöglichen, doch meist brüllen die Rechten alles nieder. Einige Gedanken zum Elend der öffentlichen Debatte.

1.
Im Alltag treten am laufenden Band Phänomene auf, welche in sich Widersprüche mitführen. Ein völlig ausgeglichenes «Ganzes», beispielsweise «Normalität» genannt, innerhalb einer «nationalen Identität» als eindeutig oder endgültig Definiertes existiert bloss als PR-Darstellung.

Weder das Geschlecht noch die Hautfarbe, weder eine alleinige sprachliche Identität noch eine behauptete «naturrechtlich» vorhandene Eindeutigkeit in Fragen sexueller Präferenz können die Grundlage für eine eingeschränkte Gültigkeit von so etwas wie «der Amerikaner», «die Britin», schon gar nicht «der Schweizer» bilden – es existiert solcherlei einfach nicht und nirgendwo.

Nehmen wir die «Nation Schweiz»: Es spielt die angebliche sprachliche Identität («die» sollen erst «Deutsch» lernen, bevor sie «hier» ansässig sein dürfen) für den Staat, für die Staatsbürgerschaft und für die Rechtssituation des Individuums innerhalb des Rechtsstaates keine Rolle.

Ein Nebeneinander zahlreicher Faktoren

Eine homogen einsprachige «Identität» kann innerhalb der Staatskonstruktion der Schweiz gar keine Rolle spielen: Es gibt immerhin vier offizielle Landessprachen und es wird das Alltags-Englisch als Geschäftssprache gesprochen, ohne die «die Schweiz» als ökonomische, auch beispielsweise als Forschungs- oder als Finanzzentrums-Grösse nicht existieren könnte.

Tatsächlich existiert das Nebeneinander zahlreicher Faktoren innerhalb des Alltags in allen sogenannt «entwickelten» Verhältnissen (Staatsbildung, Stadtentwicklung, Technologieschübe, Kriegszustände usw.) seit Menschengedenken. Das, was sich in der Jetztzeit neu manifestiert, ist vermutlich vor allem das Tempo, in welchem sich sowohl das Geschehen als auch das Wissen oder die Nachrichten darüber ereignen. Dieses Tempo schafft sowohl Ungleichheiten als auch Ungleichzeitigkeiten. Kein Individuum kann «alles» antizipieren, was für Antizipierbarkeit quasi zur momentanen Auswahl steht.

Fest steht:
Es existiert ein alltägliches Nebeneinander von verschiedenen Denkweisen, verschiedenen wirtschaftlichen, sozialen, wissenschaftlichen wie sportlichen Grössenordnungen, von verschiedenem Aussehen, verschiedener Sprachen, von einander manchmal zutiefst fremden, manchmal verwandten Kulturen, Religionen und, weil als am laufenden Band veröffentlichte Divergenz an sich, von unterschiedlichen politischen Vorstellungen.

Das muss eine staatlich organisierte Gesellschaft aushalten, soll nicht Gewalt als «Lösung» von Problemen die Oberhand gewinnen.

Zudem:
Es gibt weder «den» Deutschen noch «die» Französin. In welcher Sprache muss sich «der Schweizer» in der einzig geltenden «Nationalität» ausdrücken, damit er ein «echter Schweizer» ist? Wenn schon, müsste dieser echte Schweizer doch die vier Landessprachen beherrschen, um der «echten» Nationalität gerecht zu werden.

Es existieren allein in Europa Dutzende von sprachlichen Nicht-Identitäten innerhalb einzelner Staaten. Ans Existenzielle des Staates geht es diesbezüglich beispielsweise in Spanien, in Belgien, neuerdings wieder, von aussen (FPÖ) herangetragen, in Italien, geradezu paradigmatisch auf Bürgerkrieg ausgeweitet in der Ukraine.

Oder soll man an Ungarn und an Rumänien erinnern, wo der jeweils «anderen» Minderheit mindestens Vaterlandlosigkeit, wenn nicht Verrat in «fünften Kolonnen» am «nationalen Volk» vorgeworfen wird? Einig ist man sich dann allerdings in beiden Staaten, wenn es um die Minderheit der Roma geht. Die gehören auf keinen Fall dazu, sie seien, sagt Orban, genauso wie die korrupten angeblichen Sozialisten in Rumäniens Machtbunker, Fremdkörper und deshalb unhaltbar.

2.
Selbstredend:
Das eben Geschriebene ist hinlänglich formuliert und im Zeitalter der sprachlichen Schlaumeiereien von Trump, Blocher, Köppel, Gauland oder Höcke ständiger Beschuldigung, es handle sich um ein Meinungsdiktat des «linken Mainstreams», ausgesetzt.

Fakten der sozialen Strukturen in einer Gesellschaft werden zunehmend in den Bereich der Beliebigkeit von «Meinungen» transferiert. Das böse Wort von den «alternativen Fakten» drückt aus, worum es den Rechtsnationalisten und Neofaschisten geht: Sie wollen ihre Meinung den faktischen Gegebenheiten gleichgesetzt wissen. Widerspricht man ihren offensichtlichen Lügen, das heisst: beweist man, dass sie eine Lüge in die Welt gesetzt haben, indem man die reale Faktizität belegt, behindert man angeblich die «freie Meinungsäusserung».

Es ist durchaus an der Zeit, vermehrt und deutlicher werdend über die Darstellung gesellschaftlicher Prozesse in der TV-Öffentlichkeit gerade von öffentlich-rechtlichen Sendern etwa in Deutschland oder in der Deutschschweiz zu sprechen.

Das Nebeneinander am Fernsehen

TV-medial wird über dieses oben skizzierte Nebeneinander immer wieder auf «Pol-Feststellung» eingeschränkt geredet: Da seien die «Linken», zu denen auch die «Linksliberalen» zählen, eigentlich alle, welche eben nicht «rechts» oder «mittig» seien.

Die «Rechten» wiederum sind in vielen Beschreibungen und in zahlreich publizierten Verständnisberichten jene, welche «konservativ» seien, welche für die christlichen Werte eintreten und natürlich vaterlandsliebend oder die Nation bejahend gegen eben «die Linken», gegen die Überfremdung durch den Weltislam, aber immer «mit dem Volk» für Normalität eintreten würden.

Dann existiert in der medialen Sprachgewöhnung auch noch die sogenannte «Mitte». Diese (als bürgerlich apostrophierte) Mitte wird vor allem gebraucht, um von den angeblichen «Polen» schreiben und reden zu können.

Was soll dieses Dreiergebilde inhaltlich aussagen?

Man kann den Eindruck bekommen, dass die Gesamtgesellschaft in eine TV-Talk-Sitzordnung gepresst werden soll, in deren Mitte immer ein Moderator oder eine Diskussionsleiterin sitzt. Man könnte gerade im Hinblick auf TV-Talkrunden nachfragen, wie sich denn «Mitte» innerhalb einer Wertediskussion entfalten soll, wenn sowohl bildlich als auch gesprächsführend eine Mitte zwischen den «Polarisierenden» durch die Moderation besetzt gehalten wird.

Sie, die «dialektisch» erfasste Mitte, kann sich neben den Polen und dem moderierenden «Dompteur» während eines verbalen Schlagabtauschs, den zahlreiche TV-Sendungen immer dann darstellen, wenn es um Politisches geht, gar nicht entwickeln.

Nicht, weil die «Pole» real als klar erkennbare Gesellschaftsmodelle existieren würden, sondern weil die Fernsehmacher bereits alles derart vorgespurt, also eingeschränkt und «sendegefässtauglich» gemacht haben, dass «Dialektik» im klassischen Sinn mit These, Antithese und Synthese gar nicht entstehen kann.

Argumente vorzutragen braucht Raum, braucht Aufmerksamkeit, braucht eine Syntax.

Grund dafür ist unter anderem auch, dass die durch mediales Gerede zur «Linken» zusammengedrückten Positionen real zu vielseitig, zu individuell, zu verschiedenartig, oft in Details zu widersprüchlich und zu sehr auf genauere Differenzierung Wert legend auf definitorisch ausgerüstete Argumente als Begleiter ihres sprachlichen und begrifflichen Tuns angewiesen sind. Argumente vorzutragen braucht Raum, braucht Aufmerksamkeit, braucht eine Syntax.

Die «modernen» Rechten brauchen solcherlei nicht. Sie beschimpfen alles, sie beschuldigen «die anderen», sie lügen ungeniert und am laufenden Band. Das genügt, damit sie von der «Moderation» seit Jahr und Tag im Interesse der Einschaltquoten in ihre Runden geladen werden.

Ob all die Moderatorendarsteller und ihre Zuflüsterer und die im Hintergrund wirkenden Redaktionsteams diese Methoden der Rechten und die Komplexität dessen, was man «links» nennt – komplex deshalb, weil es in der Realität mehr als Ja und Nein gibt – endlich begreifen?

Gibt es eine «Linke»?

Die Linke in Westeuropa bedeutet vornehmlich Diskurs. Und zwar Diskurs unter allem, was Leben ausmacht. Und da ist eben nicht alles Politik. (Ich weiss schon, da habe ich eben einen Satz geschrieben, der vielen «korrekt» auftretenden «Linken» nicht passt.)

Ob es «eine Linke» gibt ? Als Ideologien existieren viele «Links»-Momente. Aber als stets im Sinne dieser Ideologien handelnde Menschen existiert «die Linke» als Gemeinsamkeit oder als Definition gesellschaftlichen Tuns eher nicht.

Die Rechte ist, sehr wohlmeinend ausgedrückt, immer nur Predigt zugunsten des Gottes namens Macht. Macht an sich, keine Macht für oder gegen etwas. Vielmehr: Macht für einen Führer oder eine Führungsgruppe, mit denen «man» sich aufgrund propagandistischer Einfachheiten und Primitivitäten identifiziert.

Die «Wutschreier» sind bildungsferne Leute – Bildung verstanden als Lernprozess eines ganzen Lebens.

Die Rechte existiert, indem sie inhaltsleer ist. Man kann mit ein paar Beschimpfungen der Bequemlichkeit von Menschen, welche weder etwas lernen, sich für ein Anliegen wirklich einsetzen noch eine erarbeitete Position wirklich vertreten, sondern bloss zu allem ihren «Senf» abgeben wollen, einen Raum geben.

Und siehe da: Der Raum wird medial sofort aufgenommen, verbreitet und als «Wut» oder als «verständliche Reaktion auf die Globalisierung» und dergleichen mehr erklärt. Dies, obwohl schon seit längerer Zeit offensichtlich geworden ist, dass die «Wutschreier» samt ihren Anführern keineswegs «Verlierer» der Globalisierung sind. Es sind bildungsferne Leute – Bildung verstanden als Lernprozess eines ganzen Lebens.

Die «Wutschreier» wollen keine Prozesse, sondern «Sicherheit», und zwar eine, welche von ihnen rein gar nichts abverlangt. Ausser vielleicht untertänigen Gehorsam gegenüber den Führern oder gegenüber den Autofirmen, den Banken, den Lieferanten ihrer angehäuften Wohlstandsgüter, denen sie durch Leasingverträge lebenslang «verbunden» sind.

Auf Argumente angewiesen

Es gibt Verlierer der Globalisierung. Aber die schreien kaum, meistens gar nicht. Viele dieser Verlierer befinden sich zurzeit auf der Flucht vor ihrem Elend.

Die Mitte gibt es übrigens als definierte Grösse auch nicht. Sie wird, wenn schon, in der als «links» definierten Vielfältigkeit beheimatet sein, sollte es sie wirklich von Frage zu Frage hie und da geben. Mitte wäre auf Differenzierung und damit auf Argumente angewiesen. Und genau das passt nicht in die Skandal-Inszenierungen, welche Einschaltquoten und damit Werbeeinnahmen generieren.

Nebenbei bemerkt: Aufgrund der Entwicklung der Sozialen Medien wird dieses Vorgehen weder global noch lokal ein Zukunftsmodell mit Renditegarantien bleiben.

3.
Einer der Gründe für das, was die «Linken» kompliziert macht und damit «unverständlich» oder auch «elitär» im Sinne der rechten Prediger:

Wer gewohnt ist, differenziert zu denken, offen zu diskutieren, Einwände ernst zu nehmen, Schlüsse auch aus Gegenansichten ziehen zu können, weiss oft nicht, was irgendwann durch einen begonnen Prozess herauskommen wird. Man beobachtet. Man wägt ab. Man entscheidet sich nicht für Ewigkeiten, sondern für eine überschaubare Periode.

Das gilt besonders auch für wissenschaftliche Tätigkeiten, vor allem naturwissenschaftliche. Es existiert praktischerweise eine Ergebnisoffenheit, ohne die Weiterentwicklungen gegebener, gegenwärtiger Verhältnisse nicht möglich wären. Vor allem: Es existieren keine ewig gültigen Antworten auf Fragen zukünftiger Entwicklungen.

Anzumerken ist, dass Zukunft wohl häufig sowieso in der Vergangenheit beginnt. Vergangenheit ist interpretierbar. Daraus kann sich rasch ein grundsätzlicher Irrtum entwickeln, wonach «es» schon immer «so» gewesen sei und deshalb auch «so» bleibe.

Der Gegner wird immer voll attackiert, meistens wird ihm «Lüge» vorgeworfen – allerdings nie mit einer Beweisführung.

Die «Rechten» – hier gebrauche ich jene Begriffseinengung, welche der TV-Talk vor allem in Europa gebildet hat, damit «die Linken» und «die Rechten» auf dem Niveau von ziemlich dreist vorgeführter Dummheit medial stigmatisiert werden konnten –, die Rechten behaupten ohne Unterlass, dass Veränderungen sozialer oder auch produktionstechnologischer Art für das «Normale», für «das Volk» ausschliesslich gefährlich seien und eine existenzielle Bedrohung darstellen.

Sie treten auch aus diesem Grund nie auf, um zu diskutieren. Sie stellen dar, dass nur sie recht haben. Wie es sich Prediger gewohnt sind, übertreiben sie ein beliebiges soziales oder auch finanzielles Problem zu einem Absolutum. Es bringen in ihrer Rede gut eingeführte Vorurteilsprodukte in eine sprachlich und begrifflich meistens äusserst primitiv aufgebaute Szenerie ein:

Das angeblich durch die Medien falsch informierte «Volk», in dessen Namen sie auftreten, verdiene Jaja oder Neinnein, mehr sei nicht wahr, sondern Lüge. Beispiel gefällig? Hier ein Link zu einem Beispiel, wie so etwas «lebendig» vorgeführt wird:

Auf der wichtigsten Kanzel dieser Prediger, dem TV-Bildschirm, passiert in der Regel das Folgende:
Der Gegner wird immer gleich von Beginn weg voll attackiert, meistens wird ihm «Lüge» vorgeworfen – nie mit konkreter Beweisaufnahme oder gar Beweisführung, sondern einfach als Wortmonstrum, um von an sich zu besprechenden Inhalten abzulenken.

Inhaltsleere ist für Rechte kein Problem, weil sie darauf vorbereitet sind, Diskussionen gar nicht erst aufkommen zu lassen.

Man hört als Rechter oder als Rechte nicht zu, man lässt «die Linken» auch nicht zu Wort kommen. Was man dabei ausruft? «Das Volk!» Oder: «die Eliten!» Stichwörter der Hetzprediger in den Talkrunden in Europa sind auch: «Asylanten», «Scheinasylanten», das «Monster» namens EU und «der Islam» respektive «die Burka». Mehr als ein paar Nomen (Substantive) kommen in der rechten Rede kaum vor.

Für diese Rechten ist ihre Inhaltsleere kein Problem, weil sie eben darauf vorbereitet sind, Diskussionen gar nicht erst aufkommen zu lassen. Inhalte irgendwelcher Art, namentlich solche von sozialem Charakter, stören die Ideologie der Feindschaft gegen «die Anderen», welche den Kern der rechten Verkündigung bildet.

Es ist immer wieder peinlich festzustellen, wie sich Moderatorinnen oder Moderatoren gerade im «öffentlich rechtlichen» Fernsehen von Leuten wie – um deutschschweizerische Grössen anzuführen – Blocher, Gut, Köppel, Amstutz, Rutz oder neuerdings immer wieder dieser SVP-Nationalrat Glarner an der Nase herumführen lassen und um den Inhalt, den sie für ihre Talkrunde eigentlich vorgesehen haben, betrogen werden.
So weit, so bekannt.

4.
Die Frage stellt sich allerdings schon, und manchmal, scheint mir, stellt sie sich sehr eindringlich:
Ist in diesem TV-Politdarstellungsmodell von so etwas wie einer alltäglich zu erfahrenden Realität der meisten oder mindestens einer Vielzahl von Menschen in einem westeuropäischen Staat die Rede?

Was ohne Weiteres festgestellt werden kann:
Die meisten Menschen erleben nicht «eine» Lebensrealität. Sie erleben eine Vielzahl von Einzelheiten, welche ihr alltägliches Leben ausmachen. Viele dieser Einzelheiten haben den Charakter einer Wiederholung und ergeben schliesslich jenen einer Gewöhnung.

Gewohntes versammelt sich im Laufe eines Lebens zu dem, was viele als Erfahrungen verstehen. Erfahrungen bilden einen Hintergrund für die Beurteilung von Bekanntem, aber natürlich auch einen Hintergrund für die Erfahrungsverarbeitung mit Neuem, mit dem man konfrontiert wird.

Mit «Rechts» und «Links» und dem moderierenden Zampano in der Mitte wird man dem Leben in den westeuropäischen Gesellschaften nicht nur nicht gerecht, man zerstört zudem das, was dieses Leben vor allem braucht: die Kommunikationsfähigkeit.

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