Ob Bahnfahrer oder Zeitungsabonnent: Kommt der Vertragspartner seiner Verpflichtung nicht nach, hat der Konsument das Nachsehen. Dafür bekommt er automatisierte Entschuldigungen im Dutzendpack. Denn während die Manager die Grundlagen für die seriöse Leistungserbringung vernichten, investieren sie unablässig in die Perfektionierung ihrer «Publikumskommunikation».
«S 41/42: Wegen einer Signalstörung unregelmässiger Verkehr».
Elektronische Anzeigetafeln im S- und Fernbahnhof Südkreuz in Berlin-Schöneberg. Blauer Grund, weisse Schrift. Die weisse Schrift sagt: «S 41, Ring». Aber es fehlt die ansonsten in Minuten angegebene Zeit, bis der nächste Zug den S-Bahnhof erreichen respektive verlassen wird. Dafür läuft am unteren Ende der elektronischen Anzeige eine Mitteilung, schwarze Buchstaben auf schmalem weissen Band:
«S 41/42: Wegen einer Signalstörung unregelmässiger Verkehr».
Es kann sein, dass man an einer Bushaltestelle steht und auf den nächsten Bus wartet. Auch hier gibt es eine elektronische Anzeigetafel, und auf dieser steht zum Beispiel, schön untereinander gesetzt:
«M46 U Britz-Süd, 6
M46 U Britz-Süd 16».
Das bedeutet, dass der nächste Bus der Metrobuslinie M46 in 6, der übernächste in 16 Minuten die Haltestelle bedienen wird.
Das Warten wird, weil es diese Einrichtung nun mal gibt, von vielen Passagieren mit einem Schielen auf die Anzeigetafel begleitet. Und oft bemerkt man dabei Verwunderliches: Die oben stehende Information mit den 6 Minuten verändert sich minutenlang nicht, während sich die untere den oben stehenden 6 Minuten immer mehr annähert. Es steht also oben während vielleicht 3 oder mehr Minuten die 6, während auf der unteren Zeile in der Anzeige aus 16 Minuten 15, 14, schliesslich 5, 4 oder sogar 2 werden. Und dann verschwinden beide Minuten-Anzeigen von der Anzeigetafel, der Begriff «M46» aber blinkt auf und ab und auf und ab. Dies würde an sich bedeuten: Die Busse sind im Kommen, werden gleich eintreffen. Aber es ist oft kein Bus in Sicht.
Schau selber, Du dummer Passagier, der Du die S-Bahn nimmst, wie Du nun weiterkommst!
Bei der Berliner S-Bahn, bekannt für Ausfälle rund um die Uhr, für Verzögerungen, Verspätungen und so weiter, können die Fahrgäste mehr oder weniger meistens gerade dann, wenn sie die S-Bahn benutzen müssen – um zum Arbeitsort zu gelangen, um nach Hause zurückzukehren, um zum Fernbahnhof zu gelangen, um zu Besuch zu Freunden zu fahren oder ins Kino – häufig die folgende lakonische Mitteilung über die elektronischen Anzeigetafeln erfahren: «Störung im Betriebsablauf».
Und damit Basta. Schau selber, Du dummer Passagier, der Du die S-Bahn nimmst, wie Du nun weiterkommst! Wir, die Bahn, haben mit Dir kommuniziert. Wir haben in ein umfassendes Kommunikationsangebot an unsere Kunden, also auch an Dich, investiert. Nun sei mal ruhig und bereit, unsere Probleme zu entschuldigen.
Was zurückbleibt:
Ich, der Kunde, bin völlig hilflos willkürlichen Nichterfüllungsabläufen ausgeliefert. Die Bahn verlangt von mir den Fahrkartenpreis. Ich aber kann ihr ihre Versäumnisse kaum in Rechnung stellen.
Der hilflose Abonnent
Ein anderes Beispiel, welches ebenfalls von einer erzwungenen Hilflosigkeit erzählt:
Kürzlich, an einem Samstagmorgen, wollte ich die «Süddeutsche Zeitung», die ich abonniert habe, zum Frühstückskaffee holen. Die Zeitung wird mir als ihrem Abonnenten vor die Wohnungstüre gelegt – in Berlin ein häufiges Vorgehen, weil es bei Altbauten keine Briefkästen im Hauseingangsbereich gibt, sondern Briefschlitze in den Wohnungstüren. Nun, das Abonnement der «Süddeutschen Zeitung» kostet nicht wenig, und es wird mir regelmässig alle drei Monate per Lastschriftverfahren von meinem Bankkonto abgebucht. Dafür sollte die Zeitung aber am Morgen vor meiner Wohnungstüre liegen – was häufig auch der Fall ist.
Bevor ich am Kiosk eine «Süddeutsche» hole, weil das bereits bezahlte abonnierte Exemplar nicht vorhanden ist, rufe ich beim Aboservice der Zeitung in München an, denke ich mir. Nach der Durchwahl ertönt zuerst einmal fidele Musik. Dann, nach etwa 30 Sekunden, spricht eine freundlich tönende Stimme in etwa das Folgende:
«Wir freuen uns über ihren Anruf und sind gleich persönlich für sie da. Das folgende Gespräch kann aus internen Trainings- und Fortbildungsgründen aufgezeichnet werden. Wenn Sie damit nicht einverstanden sind, sagen Sie es bitte unserem Mitarbeiter.»
Dann musizierte es weiter aus dem Telefonhörer. Ungefähr 30 Sekunden später ertönte die Konservenstimme erneut: «Ihr Telefonanruf ist uns sehr wichtig. Haben Sie etwas Geduld, wir sind gleich persönlich für Sie da.»
Nach ungefähr einer Minute in der Leitung und dem nach wie vor fidelen Musikschwall aus dem Telefonhörer sagte mir die Stimme, eine Frauenstimme – eher Altlage, ging mir durch den Kopf –: «Sie können uns übrigens gerne auch online erreichen über süddeutsche de slash abo, wo wir Ihr Anliegen sofort bearbeiten werden und wo Sie zahlreiche interessante Angebote für unsere Abonnenten kennen lernen können.»
Musik.
Dann erneut:
«Ihr Telefonanruf ist uns sehr wichtig. Sobald ein Mitarbeiter frei ist, sind wir persönlich für sie da.»
Nach rund dreieinhalb Minuten Wartezeit verschwand die fidele Musik, es knackste es in der Leitung. Eine ferne Stimme begann einen offensichtlich vorgeschriebenen Dialog mit mir, indem sie mich aufforderte, ihr meine Kundennummer mitzuteilen. Da ich diese Kundennummer nicht zur Hand hatte – was sicherlich bei vielen Anrufern jeweils auch der Fall sein dürfte – wollte meine Gesprächspartnerin zuerst meinen Nachnamen, dann meinen Vornamen, dann die Postleitzahl, dann – nur zum Vergleich, sagte sie – die Strasse samt Hausnummer, an der ich wohne, wissen. Dann:
«Herr Hürlimann, Ihr Anliegen ist uns sehr wichtig.» Sie sagte diesen Satz offensichtlich nicht zum ersten Mal an diesem Tag. Sie sprach abgehackt, sehr rasch und drängend.
Mein Anliegen bestand darin, dass ich keine Zeitung erhalten hatte. Aber vor lauter «Dialog» über meinen Namen und der Mitteilungskaskade, wie ernst ich und mein Anliegen genommen würden, war ich kurz etwas sprachlos, dann zögerlich, was die Telefongesprächspartnerin veranlasste, mir zu sagen, ich könnte ja mein Anliegen auch auf süddeutsche de slash abo erörtern. Ich brachte dann aber meine Mitteilung, wonach ich am Morgen keine Zeitung vorgefunden hätte, in einen gesprochenen Satz. Sie sagte, sofort, ohne Pause, dass sie nun nachschaue, ob die Agentur, die für mein Abo zuständig sei, eine Meldung über den Vorfall habe.
Nun, mich wenig überraschend, hatte die Agentur keine Meldung über den von mir gemeldeten Vorfall ins geschäftsinterne Internet gestellt.
Da war für die Aboservice-Telefonistin dann halt nichts zu machen, und ich erhielt die Zeitung an diesem Samstag nicht, obwohl ich sie ja eigentlich durch die Lastschriftverfahrensweise der SZ auf mein Bankkonto längst bezahlt hatte, im Voraus, darauf vertrauend, dass ich die Zeitung auch jeden Tag am Morgen erhalte – denn so steht es in meinem Abonnementsvertrag.
Die Aboserviceangestellte sagte dafür unmittelbar und endgültig:
«Wir danken Ihnen sehr für Ihre Mitteilung und werden über die zuständige Agentur dafür sorgen, dass Sie am Montag Ihre Zeitung wie gewohnt und zuverlässig erhalten. Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende.» Und weg war sie samt ihrer Zuverlässigkeit. Dass es zwischen der Zeitung und mir nicht «zuverlässig» zu- und hergegangen ist, spielte in der Kommunikationssprache der Aboservice-Telefonistin keine Rolle.
Was mir als einem Abo-Kunden der SZ blieb: Momentane und selbstredend starke Verärgerung. Aber auch Hilflosigkeit. Durch das sehr professionell eingeübt wirkende Gesprächsverhalten der Aboservice-Telefonistin kam ich gar nicht wirklich zu Wort.
Als Sofortreaktion hätte ich am liebsten per Internetbanking unmittelbar die letzte Lastschriftabbuchung der Zeitung auf mein Konto zurückgenommen. Ich könnte das dank der deutschen Rechtslage ohne Probleme innerhalb von 8 Wochen nach der Abbuchung veranlassen. Das ginge dann unkompliziert und ganz rasch.
Ich war mir aber sofort auch sicher: Es würde sehr rasch gehen, dass der Aboservice der SZ sich an mich wenden würde, schriftlich, auf die Kündigungsfristen hinweisend, oder auf meine Vertragsverpflichtung, die nicht einfach unterbrochen werden könnten. Mit allerhand zivilrechtlichen Folgen, jaja.
(Am Montag lag die Zeitung auch nicht vor meiner Wohnungstüre. Und mein Reklamationsanruf beim Abodienst der Zeitung verlief ziemlich gleich wie jener vom Samstag).
Dasselbe würde passieren, wenn ich mir erlauben würde, einen nachfolgenden Zug eines ausgefallenen fahrplanmässigen Zuges inklusive Verspätung meiner Abfahrt ohne Fahrkarte zu benutzen, weil sich das Bahnunternehmen ja seinerseits nicht an den Vertrag, den es mit mir als seinem Kunden durch den Kaufvorgang einer Fahrkarte oder auch eines Abonnements abgeschlossen hat, hält.
Natürlich gibt es unbeeinflussbare, nicht durch Anbieter von Dienstleistungen verursachte Verzögerungen, Ausfälle, Unregelmässigkeiten.
Ein den bösen Blicken und drängenden Fragen von Passagieren ausgesetzter S-Bahnmitarbeiter der Deutschen Bahn, welche die Berliner S-Bahn betreibt, erklärte mir kürzlich, geradezu erlöst wirkend, weil ich ihn nicht beschimpft (obwohl ich in Schimpfstimmung war), sondern nach dem Grund für die Störung gefragt hatte:
«Es sind die Glasfaserkabel. Da gibt es bei geringster Erschütterung sofort Sicherheitsreaktionen. Das ist alles zwei- oder dreifach abgesichert, damit keine falschen Signale geschaltet werden. Und das dauert dann jedes Mal, bis eruiert ist, dass es eben keine Störung ist und die Signale wieder funktionieren können.»
Die Gründe liegen im Abbau
Was den Zeitungsabodienst betrifft, kann ich mir natürlich vorstellen, dass der Zeitungsbote, den ich kaum je sehe, weil er die Zeitung zwischen 5 und 6 Uhr am Morgen vor meine Wohnungstüre legt, vielleicht erkrankt ist, dass ihm vorübergehend unwohl geworden ist, dass er einfach ausnahmsweise einmal verhindert ist, seine Arbeit zu machen.
Aber: Die Berliner S-Bahnkrise dauert nun bereits über fünf Jahre an. Vollständig geklärt ist dabei die Hauptursache dieser Krise. Sie liegt darin, dass die Deutsche Bahn bei ihrer Tochter «S-Bahn Berlin» seit etwa 2005 massiv Mitarbeiter, auch und gerade Wartungspersonal für Züge und Strecken, abgebaut hat. Der Grund: Der damals geplante und lautstark angekündigte Gang der DB an die Börse – der dann allerdings wegen massiver Betriebsstörungen im gesamten Servicebereich und ebenfalls massiven Schäden im Hardwarebereich der DB von der Bundesregierung, also der Politik, abgeblasen wurde.
Im Börsenjargon: «Man», das heisst der Vorstand der DB und die Besitzerin der Bahn, nämlich die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die Bundesregierung, wollten die Nebenkosten der Bahn senken. Und die grössten Nebenkosten sind halt für die Börsen, die Spekulanten, die Banken, die so genannte Finanzwirtschaft die Mitarbeiterlöhne. Also senkt man als Manager einer Firma vor allem anderen, was man auch zu tun hat, zum Beispiel eine Forschung betreiben, Produkte entwickeln, eine Produktion aufbauen und so weiter, die Zahl der Mitarbeiter – wörtlich zu verstehen dabei, weil es ein Grundgesetz des Finanzkapitalismus und der Börse ist: Koste es qualitativ erst einmal, was es wolle.
Die Börse ist ein absolut kurzfristig handelndes Gebilde. Was heute am Morgen gilt, gilt heute am Abend nicht mehr, weil es Gerüchte gibt über …, was, wie uns Zeitgenossen ohne Börsenerfahrung, also der überwiegenden Mehrheit aller Menschen in unseren Breitengraden, von Massenmedien brav, unkritisch und am laufenden Band mitgeteilt wird, etwa die ständig wiederholte Mitteilung, die «Händler» seien nervös oder verunsichert und dergleichen mehr.
Der Berliner S-Bahn fehlte schliesslich, angefangen von Fachleuten jeglicher Berufsgattung, welche im Bahnverkehr notwendig sind (nicht zuletzt zum Beispiel Lokführerinnen und Lokführer), bis hin zu Werkstätten und Bahnwagen so ziemlich alles, was ihren Betrieb einigermassen befriedigend gewährleistet hätte.
Schwarzfahrer vs. Sozialstaatsverächter
Der Vergleich, den ich nun anstelle, ist natürlich weder «wissenschaftlich» begründet noch ist er «normal», «kommod» oder rechtlich abgesichert. Aber er geht mir immer wieder durch den Kopf:
Wird ein sichtbar besitzloser oder ein über komplizierte Zonenfahrpreiseinteilungen unwissender «Schwarzfahrer» von teilweise oft rotzig und unsensibel auftretenden Fahrkartenkontrolleuren «erwischt», kommt das Gesetz ohne wenn und aber zur Geltung.
Bahnvorstände, Minister, Aufsichtsräte aber, allesamt hochbezahlte Manager meist, die eine Dienstleistungsunternehmung leiten und deren Geschäftspolitik zu verantworten haben, welche für Millionen Menschen in Berlin oder in zahlreichen anderen grösseren Städten alltäglich Grundbedürfnisse abzudecken hat, nämlich die lokale innerregionale Mobilität, dürfen mit dem Unternehmen «spielen», dürfen die Interessen der Stadtregionsbewohner durchaus gesetzeswidrig vernachlässigen, weil die Bahn angeblich rentieren soll. Die Hintergründe dieser Renditeideologie will ich hier gar nicht weiter erläutern.
Man kann im Bereich aller gesellschaftlich notwendigen Dienstleistungsbereiche, angefangen von den Schulen über die Gesundheitspolitik bis hin zum Öffentlichen Verkehr jene Ideologie am Werk sehen, welche den «service» am liebsten ganz abschaffen oder dann nur noch für «Notfälle» oder für minimale Grundbedürfnisgrössen anbieten und deshalb sowohl das Personal ausdünnen und Kapazitäten als auch «die Angebote» einschränken will. Argumentiert wird mit der «Belastung» und handkehrum mit der «Freiheit» der Bürger. Dabei wird von diesen Ideologen der verfasste Sozialstaat und damit eine der wesentlichen Grundlagen eines demokratisch verfassten Rechtsstaates, nämlich die Gerechtigkeitsgarantieerklärungen für alle, in Frage gestellt.
Der «service» an sich wird unter dem Druck dieser politischen Sozialstaatsverächter qualitativ ständig verändert: Einerseits hin in das «Private», welches kaum jemand bezahlen kann, also in kolossal bequeme, luxuriöse Angebote, gesteigerte «Anreize», welche viel Personal binden und eine Zweiklassengesellschaft schlicht zur Voraussetzung haben.
Und anderseits in jene «Service»-Wüsten, in denen sich der Normalsterbliche als mindestes am laufenden Band in Warteschlangen einzureihen hat und ihm zu verstehen gegeben wird, dass er allerhöchstens geduldet, aber sicher mangels «Geldbesitz» nicht ernst genommen wird.
Das ist der Grund des Outsourcings: Lohndumping
In diesem Zusammenhang zurück zur «Süddeutschen Zeitung», deren Abonnent ich bin: Da existieren, habe ich gelernt, Zeitungsverteilungsunternehmen, vom Aboservice der Zeitung Agenturen genannt. Diese Unternehmen sind die Folge von Outsourcing. Früher erhielt man die Tageszeitung entweder durch eine zeitungsbetriebseigene Zustellungsorganisation oder per Post.
Heute ist solcherlei Einfachheit und Klarheit abgeschafft. Outsourcing verbessert in den Viertjahresbilanzen die so genannte Leistungsbilanz eines Verlagsunternehmens kurzfristig, weil Nebenkosten «wegfallen» – natürlich nur einmalig, nämlich für das Jahr (oder das Bilanz-Vierteljahr), in dem das Outsourcing vorgenommen wird. Aber solcherlei wird natürlich medial nicht erörtert. Stattdessen wird fortlaufend von «Straffung des Betriebs» oder von «Strukturanpassung», ja von «Modernisierung» geschwatzt – inhaltsleer, versteht sich.
Konkret geht es mit all diesen Begriffen als Titelgeber wie folgt vor sich: Die so genannte «Agentur» bezahlt dem Zeitungsboten selbstredend einen äusserst geringen Lohn. Denn das ist der Grund des Outsoucings: Lohndumping.
Die Personaldecken dieser Agenturen sind aus «Renditegründen» immer derart dürftig ausgebaut, dass ein krankheitshalber Ausfall eines Boten für Dutzende oder Hunderte von Zeitungskunden, die ihre Abos vorbezahlt und deshalb – durchaus auch zivilrechtlich betrachtet – Anrecht auf ständige und ungestörte Belieferung haben, die Folge hat, ohne Zeitung den Tag beginnen zu müssen.
Es war im übrigen auffallend, dass vor allem die Sprecher von Tochterfirmen deutscher Zeitungsverlage, insbesondere von Springer, welche das Geschäft der Distribution von Verlagserzeugnissen betreiben, massiv gegen einen gesetzlichen Mindestlohn angetreten waren und dank direktem Kampagnenjournalismus in den Printtiteln ihrer Mutterhäuser von der Politik langfristige «Übergangszeiten» zugesprochen erhalten haben.
Entschuldigungen im Dutzendpack
Der Begriff «Signalstörung» steht mehr als nur sinnbildlich für «Kommunikationsstörung». «Kommunikation» bedeutet: Gespräch, Frage-Antwort, Meinung-Gegenmeinung, Diskussion, Zuhören, Sprechen … Kommunikation ist keine statische, schon gar keine automatisierte Verkündigung. Wenn Bahnchefs, Politiker, Autowerbestrategen, Pillendreher oder Zeitungsaboangestellte von «Kommunikation» reden, meinen Sie aber nie «Gespräch». Vielmehr meinen Sie Verkündigung und damit einhergehend Beschwichtigung der gesprächssuchenden Person. Zu verkünden haben diese Kommunikationsangestellten oder die elektronischen Kommunikationseinrichtungen, was die Adressaten gefälligst entgegenzunehmen haben: Zum Beispiel «Entschuldigungen» für Vertragsverletzungen täglich gleich im Dutzend.
Nachdem die verheerenden Auswirkungen einer Übernahme von finanzkapitalistischen Vorstellungen für eine Teil-Finanzierung der Bahn mit zwischen 15 und 25 Prozent Rentabilitätserwartung pro Vierteljahr dort, wo solcherlei durchgeführt wurde (Niederlande, Grossbritannien, Deutschland in Ansätzen), nicht mehr zu übersehen waren, haben die jeweiligen Unternehmensleitungen viel Geld in die Herstellung von publizierten, verkündeten Ausreden und Beschwichtigungsversuchen gesteckt. Es sollten auf keinen Fall öffentliche Diskussionen über verfehlte Geschäftstätigkeiten auf Kosten der Betriebsabläufe, auf Kosten der Mitarbeiter und vor allem auf Kosten der Kunden entstehen.
In Deutschland betreibt «die Bahn» inzwischen einen regelrechten Schwall von «Entschuldigungsansprachen» an das «Publikum». Das nennt sie «Kommunikation».
Mit der diesem Schwall vorgängig ausgebrüteten so genannten Kommunikations-Strategie wird allerdings in der öffentlichen Alltagssprache systematisch Glaubwürdigkeit untergraben. Kein Mensch glaubt der Bahn, dass sie sich für einen Zugausfall oder wegen ihren alltäglichen, zeitverschwendenden, Freizeit stehlenden Verspätungen bei ihren Kunden wirklich «entschuldigen» will. Das Nichterfüllen ihrer ureigensten Aufgabe ist «der Bahn» nach wie vor ziemlich egal. Wäre es ihr nicht egal, würde sie ernsthafte, vor allem auch sicht- und erfahrbare Anstrengungen unternehmen, um die zahlreichen von ihr selber eingerichteten Hemmnisse gegen einen vernünftigen Zuglauf zu korrigieren.
In den Bahnhofhallen ertönt aber bloss: «Wir bitten Sie um Entschuldigung».
Auch die Telefonistin des Abodienstes bei der «Süddeutschen» bittet mich mehrmals während des kurzen Telefongesprächs um Entschuldigung. Inzwischen ist es sprachlich gesehen in Deutschland Mode, um Entschuldigung zu bitten. Dieses Bitten ist durchaus eine gewollte, also bewusst inszenierte Steigerung gegenüber der aktiveren Form, wonach sich jemand «entschuldigt». Die Bahnhoflautsprecher sagen seit einiger Zeit nicht mehr: «Wir entschuldigen uns für die Verspätung». Sie sagen «Wir bitten für die Verspätung um Entschuldigung».
Kommunikation als Verhöhnung
Die angeblich perfekte Welt, in der wir angeblich leben: Sie existiert in der Realität natürlich nicht. Aber sie ist das A und O jener Lüge, welche uns per allgegenwärtige Werbung ununterbrochen und ungefragt verfolgt und zumüllt.
Weil diese systemisch scheinbar unverzichtbare Lüge im Alltag ständig quasi automatisch offenkundig wird, da es das Perfekte nicht gibt und das werbeversprochene sorgenfreie Leben nicht existiert, ist von Dienstleistungsunternehmen das Entschuldigungsbitten bis hin in perfektionierte sprachliche Details ritualisiert worden.
Aber: Irgendwann wird solches Entschuldigungsbitten nicht nur unglaubwürdig, sondern es wird als Verhöhnung wahrgenommen. «Kommunikation» als Verballhornung, als Verhöhnung, als «Für-dumm verkaufen»-Wollen. Eine Entwicklung, die einem vor allem wegen der Allgegenwart der elektronischen Kommunikationstechnologien Sorgen bereiten kann – eigentlich Sorgen bereiten müsste.