Christian Mueller: Der Mann, der keine Grenzen kennt

Unermüdlich und zuverlässig tritt Christian Mueller vom «freistaat unteres kleinbasel» an, wenn in Basel gewählt wird. Mit seinen originellen Ideen fällt er auf. Trotz Humor: Er meint es ernst.

Christian Mueller, Freistaat Unteres Kleinbasel, FUK

(Bild: Alexander Preobrajenski)

Unermüdlich und zuverlässig tritt Christian Mueller vom «freistaat unteres kleinbasel» an, wenn in Basel gewählt wird. Mit seinen originellen Ideen fällt er auf. Trotz Humor: Er meint es ernst.

Christian Mueller wählt seine Jobs danach aus, wie viel Freiheit sie ihm lassen. Der Präsident der Kleinstpartei «freistaat unteres kleinbasel», kurz f-u-k, ist gleichzeitig und in wechselnder Intensität Theaterpädagoge, Autor, Künstler, Organisator, Kurator. Ausserdem kümmert er sich im Materialmarkt Offcut auf dem Dreispitz um Transporte und Infrastruktur. Im Herbst bewirbt Mueller sich noch für einen weiteren Job: Er will Grossrat werden und kandidiert zum wiederholten Mal auch für den Regierungsrat und das Amt des Regierungspräsidenten.

Kleinteilig und bunt wie seine Vita ist auch der Ort unseres Treffens. Eine Lagerhalle auf dem Dreispitz voller Dinge, die Menschen ohne Fantasie und kreativen Willen als unnütz bezeichnen würden. Riesige Kartonplatten, Tischbeine ohne Tisch, Stoffresten, Farbpigmente in Plastiksäckchen, Körperteile von Porzellanpuppen und ein Sortiment von Apothekengläsern.

Ausrangiertes, ohne erkennbaren Zweck, doch mit dem Potenzial alles zu werden. Wir befinden uns im Offcut, dort wo Bastelwütige all die Dinge finden, die sie für ihre Projekte benötigen. Mueller passt gut in diese Halle und zum Konzept von Offcut.

Aus wenig oder nichts viel machen, das ist, was den 35-Jährigen antreibt. Als Künstler etwa. Oder wenn er als Theaterpädagoge Jugendliche, die sich gegenseitig nicht kennen, dazu bringt, sich zu hinterfragen, laut zu denken, zu einem Team zusammenzuwachsen und am Ende ein Stück aufzuführen.

Was nach allseits erwünschter Charakterbildung für junge Menschen klingt, kann durchaus subversiv sein. Zumindest dann, wenn es von erwachsenen Kulturhütern dazu ernannt wird. Als Mueller vor drei Jahren zusammen mit einer Schulklasse am Münsterplatz-Gymnasium ein Theaterstück erarbeitete, wurde der Text wenige Wochen vor Aufführung von der Schulleitung zurückgewiesen.

Das Vokabular gefiel nicht, es sei sexistisch und rassistisch. Mueller musste den Rotstift ansetzen und das von den Schülern mitverfasste Skript zensieren. Es war sein letzter Auftrag, in Basel ein Schultheater umzusetzen.



Christian Mueller, Freistaat Unteres Kleinbasel, FUK

Geht nicht gibt’s nicht: Christian Mueller lässt sich von ideologischen und politischen Grenzen nicht aufhalten. (Bild: Alexander Preobrajenski)

Die Episode zeigt auf, wie Mueller denkt und arbeitet: ergebnisoffen, überzeugt und ohne Scheu irgendwo anzuecken. «Theater zu spielen, heisst, sich konstant zu fragen: ‹Was wäre wenn?›», sagt Mueller. Kaum eine Kunstform erlaube es, aus so wenig so viel zu schaffen. Von diesem Spiel, diesem Ausloten neuer Grenzen, ist es ein kleiner Schritt zur Politik. Oder zumindest zu dem, was Mueller sich unter Politik vorstellt.

Er will seine Umwelt, sein Leben gestalten, ohne sich um Grenzen zu kümmern. Grenzen sind ihm egal. Er akzeptiert sie nicht, egal, ob sie ideologischer, politischer, praktischer oder wirtschaftlicher Natur sind. Für ihn sind Grenzen gedankliche Konstrukte. Hindernisse, die ebenso leicht umgestossen werden können, wie sie einst am Reissbrett gezogen wurden.

Mit diesem Politikverständnis stösst Mueller viele etablierte Politiker vor den Kopf. Seine Ideen werden oft belächelt und er selbst als Utopist, Politspinner oder Jux-Kandidat betitelt. Egal, ob er den Finanzausgleich abschaffen, die Region Basel von der Schweiz loslösen, sämtlichen Verkehr unter die Erde verlegen oder den gesamten Boden verstaatlichen will. Er nennt sich liberal-sozial, ist in manchen Fragen liberaler als die FDP und linker als die SP und will seine Ideen nicht als «radikal», sondern als «konsequent» verstanden wissen.

Mehr Politiker als Künstler

Für den Wahlkampf hat Mueller eine alte Idee aufgewärmt: eine Initiative, die eine Rutschbahn von der Johanniterbrücke in den Rhein in der Verfassung festschreiben will. Einen ersten Anlauf für diese Rutschbahn unternahm Mueller bereits 2013, doch die nötigen Unterschriften kamen damals nicht zusammen. «Die Idee ist immer noch gut», wehrt er die Frage ab, ob ihm die Ideen ausgegangen seien.

In der Rutschbahn-Initiative sieht Mueller das ideale Kampagnenvehikel. «Wenn wir abends am Rhein unterwegs sind, um Unterschriften zu sammeln, brechen die Leute regelmässig in Begeisterung aus.» So sei es sehr einfach, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. «Vielleicht gibt mir dann die eine oder der andere sogar noch seine Stimme», hofft Mueller.

Auch bei seiner Kampagne versucht er, aus nichts viel zu machen. Der f-u-k hat nur zwei reguläre Mitglieder und keinen Rappen auf dem Konto. «Das Einzige, was wir haben, sind gute Ideen», sagt Mueller. Der f-u-k ist arm und sexy.

In einem Punkt unterscheidet sich Mueller jedoch kaum von manchen gestandenen Politikern. Er hätte für seinen Wahlkampf einen gesellschaftskritischen Ton anschlagen können. Wie damals, als er die Ausschaffungsinitiative der SVP parodierte und mit seiner «Männer raus»-Initiative forderte, alle kriminellen Männer des Landes zu verweisen.

Es war sein grösster Hit. Kaum ein Medium in der Schweiz, dass nicht über die Initiative berichtete. «Männer raus» war brillante Politkunst, die sich gekonnt sämtlicher Aufmerksamkeitsmechanismen bediente. Unbequem, ätzend, ein böser Kommentar zur Lage der Nation.

«Ich fühlte mich nirgendwo vertreten, also habe ich selbst eine Partei, den f-u-k, gegründet.»

Doch im Herbst geht Mueller auf Stimmenfang, ist mehr Politiker als Künstler. Er setzt auf Gefälligkeit und sucht die Aufmerksamkeit. Er setzt im Wahlkampf auf die Idee, die bei den Leuten ankommt. Eine harmlose Rutschbahn. Ein lustiges Projekt, das Sympathien weckt und über das sich beim Bier am Rheinufer in Badehosen bequem plaudern lässt.

Denn bei allem Humor, den Mueller in der konventionellen politischen Diskussion so vermisst: Er meint es ernst, er will sich politisch einbringen und Grossrat werden. Er sieht Handlungsbedarf in Basel und glaubt daran, im Parlament die Stadt ein bisschen besser machen zu können. Die Regierungskandidatur nutzt er zur Profilierung: Wer Anspruch auf einen Sitz im Siebnergremium erhebt, erhält mehr Aufmerksamkeit als der gemeine Grossratskandidat.

Gegen den Regulierungswahn

Elias Schäfer (FDP) kennt Mueller von der Operation Libero, in der sie beide Mitglied sind. Schäfer, der als Grossrat vor zwei Jahren frühzeitig zurückgetreten ist, diesen Herbst jedoch erneut kandidiert, schätzt Mueller als kreativen Kopf und engagierten Diskutierer. «Er wäre bestimmt eine Bereicherung für den Grossen Rat.»

Doch einen Ratschlag gibt Schäfer Mueller mit: «Er wird sich die Frage stellen müssen, ob er pragmatischerweise von manchen seiner Prinzipien etwas Abstand nimmt, um im Parlament tatsächlich etwas bewirken zu können.» Damit spricht Schäfer etwa die Frage an, welcher Fraktion sich Mueller im Grossen Rat anschliessen könnte.



Christian Mueller, Freistaat Unteres Kleinbasel, FUK

Stadtentwicklung, Kantonsfinanzen, Solidarität, Paragrafendschungel sind die Themen, die Christian Mueller politisch umtreiben. (Bild: Alexander Preobrajenski)

In die Politik getrieben hat Mueller seine Unzufriedenheit mit dem bestehenden Parteiangebot, das er zu grossen Teilen als «verlogen und verkrustet» erlebt. «Ich fühlte mich nirgendwo vertreten, also habe ich selbst eine Partei, den f-u-k, gegründet.»

Unzufrieden ist er auch mit dem «Regulierungswahn» der Basler Behörden. «Es ist unverständlich, wie viele Auflagen ein Wirt einhalten muss, nur um ein paar Biere über die Theke zu reichen.» Einer seiner Lieblingsfeinde ist der Wirteverband, «eine Lobbygruppe, die sich selbst vor der Konkurrenz schützen will.»

Erfahrungen mit dem Staatsapparat machte Mueller auch als Mitorganisator und eifriger Besucher unbewilligter Partys. «Was soll schlecht daran sein, an einem Platz zu feiern, wo man niemanden stört und den man sauber aufgeräumt hinterlässt?» Er verstehe nicht, weshalb solche Veranstaltungen heute gleich polizeilich geräumt werden müssen, wenn es doch früher auch anders gegangen sei.

Parlamentsarbeit ist mühsam. Konsens kommt – wenn überhaupt – nur in sehr kleinen Schritten zustande und bedingt viele Zugeständnisse. Mueller wäre nicht der erste Grossrat, der mit hehren Zielen und voller Idealismus antritt und schon bald feststellen muss, dass die Gestaltungsmacht und der Einfluss eines Parlamentariers so gross nicht sind. «Ich habe eine grosse Frustrationstoleranz», sagt er.

Und mit ausreichend Flexibilität für politische Kompromisse sollte Mueller eigentlich gerüstet sein. Schliesslich gelingt es ihm auch, seine vielen Jobs unter einen Hut zu bringen.

Was beschäftigt die Bevölkerung aus Ihrer Sicht am meisten?
Dass die Gleise an der Klybeckstrasse gerade erneuert werden und eine grosse Baustelle mit viel Lärm und Dreck die Tramverbindung nach Weil unterbricht. Und der FCB.

Wieso sollte man ausgerechnet Sie wählen?
Ich bin der richtige Kandidat für alle die wollen, dass: Die Region Basel politisch neu geordnet, das Verkehrsnetz zu Gunsten der Lebensqualität unterirdisch geführt, der Finanzausgleich abgeschafft, Bodenspekulation unter demokratische Kontrolle gebracht wird und alle Einwohner ein Stimmrecht erhalten.

Welches Buch liegt auf Ihrem Nachttisch?
Ich lese keine Bücher, ich lese Zeitungen. Neben meinem Bett liegt mein Notizbuch.

Steckbrief:

Geboren: 1981.
Werdegang: 
Matura 2000 in Laufen. Abschluss in Basel als Eidg. dipl. Künstler 2006. Seither mal mehr oder weniger freischaffend als: Künstler, Autor, Theaterpädagoge, Kurator, Organisator, Performer und bei OFFCUT – dem Materialmarkt für kreative Wiederverwertung auf dem Dreispitz. 2015 wurde Mueller Team-Vizeweltmeister im KUBB-Spiel in Schweden.
Familiäres: Geborener Schwarzbube, wohnhaft seit 2001 in Basel. Mueller ist nicht verheiratet und hat «wahrscheinlich keine Kinder».

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Die TagesWoche porträtiert während dem Wahlkampf alle bisherigen Regierungsräte und neuen Kandidaten. Bereits erschienen: Eva Herzog, Conradin Cramer, Lukas Engelberger, Christoph Brutschin, Lorenz Nägelin, Heidi Mück.
Demnächst im Porträt: Hans-Peter Wessels (SP).

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