«Das klingt so falsch, da mach ich mit» – wie ein japanischer Klarinettist zur Guggenmusik kam

Hiroki Ichikawa ist seit 30 Jahren ein begeisterter Fasnächtler. Bei der Spielfreude kennt der gebürtige Japaner keine Grenzen.

«Ich hab einfach ein Bier genommen und schon war alles okay.» So wird aus einem Orchestermusiker ein Fasnächtler.

Ein Fasnachtsabend vor zwei Jahren in der Beiz «Ysebähnli»: Ein Kostümierter kommt herein und stellt eine verbeulte Klarinette auf den Boden. Er gibt dem Instrument einen Tritt, sodass es quer über den von Räppli übersäten Fussboden gleitet. Keine Sorge, sagt er, die Klarinette sei abgehärtet. Ohnehin fehle dem Blasinstrument eine Klappe. «Irgendwo ist die – aber die brauch ich gar nicht», sagt Hiroki Ichikawa in Baseldeutsch mit japanischem Akzent – und lacht herzhaft.

Seine verbogene und farbig angemalte Klarinette ist so gut wie unzerstörbar. «Die stammt noch aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs», meint Ichikawa. Wie ein Maskottchen steht sie heute umgeben von vielen anderen Blasinstrumenten im Unterrichtsraum der Knaben- und Mädchenmusik (KMB), wo der 53-Jährige als Saxofon- und Klarinettenlehrer tätig ist.

«Mittlerweile spiele ich noch viel schräger als so mancher Guggenmusiker.»

Manch ein zart besaiteter Virtuose rümpft die Nase, wenn das Wort «Guggemuusig» fällt. Nicht so Hiroki Ichikawa. Er spielt schon seit Ende der Achtzigerjahre bei den «Baggemugge» mit. Alles begann, als er als 21-jähriger Student der Basler Musikakademie seine erste Fasnacht erlebte. Er spitzte sein geschultes Ohr, als die erste Gugge an ihm «vorbeischränzte».

Er erinnert sich noch gut, was ihm damals durch den Kopf ging: «Das klingt so falsch – da muss ich unbedingt mitmachen!» Lange musste er nicht suchen: Der Hausmeister der Musikakademie war nämlich bei den «Baggemugge». Er nahm den Gast aus Fernost mit zur Probe. Die rauen Klänge schockten den klassisch ausgebildeten Klarinettisten nicht. «Ich hab einfach ein Bier genommen und schon war alles okay», erinnert er sich mit einem schallenden Lachen. «Mittlerweile spiele ich noch viel schräger als so mancher Guggenmusiker.»

Eigentlich hätte Hiroki Ichikawa als Zwölfjähriger lieber Trompete gelernt.

Dabei gab es anfangs eine sprachliche Hürde. Ichikawa sprach damals weder Deutsch noch Englisch. «Zum Glück musizierte ich – dafür braucht es keine Worte.» Mundart ist aber seit vielen Jahren kein Hindernis mehr. Der Musiker, der gleich in der Nähe der «Fischerstube» daheim ist, fühlt sich längst als waschechter «Glaibasler».

Aufgewachsen ist er rund 10’000 Kilometer von der Rheingasse entfernt, im japanischen Nagano. Obschon Sohn eines Musiklehrers, nahm er erst als Zwölfjähriger ein Instrument zur Hand. Eigentlich wäre seine Wahl auf die Trompete gefallen. Da aber im Schülerorchester ein Klarinettist fehlte, überlegte sichs der Bub anders.

Damals dachte er nicht daran, eines Tages Profi-Musiker zu werden. Bewegt vom Interesse an der europäischen Klassik nahm er dennoch in Tokio ein Musikhochschulstudium in Angriff. Dort wurde er aber nicht ganz glücklich: «Mir war alles viel zu theoretisch.» Einer seiner Dozenten, der die Musikakademie Basel aus eigener Erfahrung kannte, empfahl ihm daher wärmstens, sein Glück dort zu versuchen.

Was zählt, ist die Spielfreude, sei es im Orchester, bei der KMB-Jazzband oder an der Fasnacht.

Als Schüler des letztes Jahr verstorbenen Klarinettisten Hans Rudolf Stalder blieb er schliesslich am Rheinknie hängen. Was nicht nur der Musik geschuldet ist: An der Musikakademie lernte er auch seine zukünftige Frau kennen, eine Pianistin, die ebenfalls aus Japan den Weg nach Basel gefunden hatte.

Nach seiner Anstellung beim Radiosinfonieorchester wurde er 1991 Lehrer bei der Knaben- und Mädchenmusik. Dort unterrichtet er nebst Klarinette auch Saxofon. Nicht nur die Kleinen sind von der fröhlichen und motivierenden Art des Instruktors begeistert: «Mein jüngster Schüler ist fünf Jahre alt, der älteste 84», sagt Hiroki Ichikawa.

Dass bei ihm alles andere als trockene Lektionen angesagt sind, beweist auch schon sein Unterrichtsraum an der Utengasse, der einem urchig-chaotischen Vintage-Laden gleicht. Von den «Schwyzer Ländler und Buuretänz» über den «Morgestraich» und allerlei Brassband-Partituren stapelt sich Musik aus allen Stil- und Himmelsrichtungen.

Wie in einem chaotischen Vintage-Laden: Hiroki Ichikawas Unterrichtsraum.

An der Wand hängen ein alter Polizeihut und eine antiquierte Knabenmusik-Uniform neben Posaunen und Alphörnern. Klobige Instrumentenkoffer, ein Grammofon, allerlei Mundstücke und Vinylplatten der Be-Bop-Legende Charlie Parker stehen ebenso im Zimmer.

Mit seiner Band, den Sugar Foot Stompers will er über Ostern eine musikalische Exkursion nach New Orleans unternehmen. Auch bei der Spalehill Brass Band, die beim «Bebbi sy Jazz» durch die Gassen schlendert, haut er kräftig in die Klappen.

Mit der viel gescholtenen «Jazzpolizei» hat Ichikawa nichts am Hut. Generell kennt er bei der Musik keinerlei Dünkel. Was zählt, ist die Spielfreude, sei es im Orchester, bei der von ihm geleiteten KMB-Jazzband oder an der Fasnacht.

Immer für einen Jam zu haben: Hiroki Ichikawa spielt auch mit Journis.

Ein weiterer Blick zurück zeigt das schön auf: An einem milden Herbstabend im Jahr 2014 wird gleich neben seinem Unterrichtsraum der Jazzcampus eingeweiht. Die Konzerthalle ist proppenvoll, viele Besucher müssen draussen bleiben. Der Campus ist da, wo aber bleibt nun der Jazz? Hiroki Ichikawa hat eine zündende Idee. Er holt ein paar Instrumente aus seinem Raum. Und zusammen mit zwei Gästen des «Ysebähnli» stellt er mitten auf der Strasse seine eigene Jam-Session auf die Beine.

Wer weiss: Vielleicht wird man den ungewöhnlichen Musiker auch an der bevorstehenden Fasnacht kostümiert in der Utengasse antreffen. Selbstverständlich wieder mit der unverkennbaren Gugge-Klarinette, der noch immer eine Klappe fehlt.

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