Vier Jahre war der Tierrechtsaktivist Jake Conroy in den USA inhaftiert – als Terrorist und Staatsfeind. Wie das Exempel einer rachsüchtigen amerikanischen Angstgesellschaft sein Leben beeinflusst hat, erzählt er seit zwei Jahren immer wieder auf Vorlesungsreisen durch Europa.
«Sind Sie radikal, Jake?» – Conroy wirkt mit seinem bis weit oben zugeknöpften Poloshirt, den grauen Stoffhosen und der schlichten Brille alles andere als das. Sein Auftreten ist schüchtern und konzentriert, als sei er woanders oder versuche krampfhaft, etwas nicht zu vergessen. Sieht es so aus, das moderne Gesicht des Terrorismus? Selbstvertrauen geht aufs erste Hinsehen nur wenig vom 39-jährigen Amerikaner aus – das zeigt sich erst im kalkulierenden Blick und in den perfekt formulierten Antworten.
«Wahrscheinlich bin ich das», sagt er. «Meine Ansichten sind radikal – aber der amerikanische Staat hat entschieden, dass Radikalität etwas Schlechtes ist.» Obwohl überzeugter Aktivist, ist der vegan lebende Conroy kein Öko-Hassprediger, zwingt niemandem sein Gedankengut auf. Er erweitert bloss humanistische Ideale auf Tiere: «Mir scheint es falsch, dass ein Tier ausgebeutet, eingesperrt, gefoltert und schliesslich getötet wird, nur damit ich mit meinen Freunden einen kleinen Snack geniessen kann.»
Aber für diese Ansicht sass Conroy vier Jahre in einem amerikanischen Mittelsicherheitsgefängnis – nach einem Urteil, das als Mahnmal für all jene gesetzt wurde, die den amerikanischen Kapitalismus bedrohen, wie er sagt.
Über Nacht zum Terroristen
Sommer 2001: Eine Zeit vor den Anschlägen vom 11. September, bevor die ganze amerikanische, wenn nicht internationale Gesellschaft begann, sich vor den Schattenmännern des Extremismus zu fürchten.
Conroy und die Umwelt- und Tierrechtsaktivisten von SHAC USA (Stop Huntington Animal Cruelty) hatten eben erst damit begonnen, das britische Tierversuchsunternehmen Huntington Life Sciences (HLS) von den USA aus zu bekämpfen. Durch öffentliche Proteste und systematischen Druck auf die Vertragspartner von HLS trieben sie das britische Unternehmen an den Rand des Ruins.
Aber noch während der Staub sich über den Trümmern der Twin Towers setzte, wurde das Label «Terrorist» jedem verpasst, der in den Augen des Staates extreme Ansichten vertrat. Conroy und die SHAC 7 wurden mitten in einer der allzeit erfolgreichsten Tierrechtskampagnen gebrandmarkt.
«Das FBI kam schliesslich 2003 mit einer Hausdurchsuchung. 2004 wurden wir verhaftet, 2006 vor Gericht gestellt.» Auf Basis des Animal Enterprise Protection Act (AEPA) – mittlerweile hochgestuft zum Animal Enterprise Terrorism Act (AETA) – wurden die SHAC 7 wegen Verschwörung, Stalking und Belästigung mittels Telekommunikationsmittel zu Freiheitsstrafen verurteilt.
Nüchtern rekapituliert Conroy seinen Kampf mit der Justiz. Nur selten bricht die Monotonie: «Zur Zeit unseres Prozesses waren wir die schlimmsten Menschen der USA – die grösste Gefahr für die nationale Sicherheit. In einer Linie neben al-Kaida und den Drogenkartellen.»
Kein Aktivismus ist keine Option
Staatsfeind Conroy – was passiert mit der Welt eines Aktivisten, der mit 13 Jahren über Hip-Hop und die US-Bürgerrechtsbewegung zur Politik findet, Kunst studiert und Gewalt nicht als Option sieht? Was passiert, wenn man von der Mühle der Staatsgewalt zerquetscht zu werden droht, missbraucht als Exempel für Nachahmer?
«Es war eine beängstigende Zeit und alles von viel grösserem Ausmass, als wir uns je gedacht hatten. Die Konsequenzen hätten auch Freiheitsstrafen von 10 bis 15 Jahren sein können. Was mir nun bleibt, ist ein auf Lebzeiten genommenes Wahlrecht sowie ständige Überwachung.» Die sozialen Auswirkungen seien zudem so prekär, dass viele ehemalige Strafgefangene zurück in die Kriminalität fallen würden. «Eine Arbeit und Wohnung zu finden ist beinahe unmöglich – nicht mal an der Kinokasse ist man erwünscht, wenn man gesessen hat.»
Conroys überwachte Schritte nimmt er behutsam – heute arbeitet er für das «Rainforest Action Network» als Grafik-Designer. Der Aktivismus bleibt, aber dezenter, weniger aggressiv. «Als Verurteilter wird man in den USA dämonisiert.» Sollte ihm erneut der Prozess gemacht werden, drohen ihm 10 oder 20 Jahre Haft.
Gebrochen habe ihn seine Haftstrafe nicht. Auf kritische Fragen antwortet Conroy moderat – kein Aufbrausen, keine dogmatischen Phrasen, keine enervierte Gestik. Der Amerikaner ist im Gespräch verhalten, wirkt sympathisch.
Nur macht dies Extremismus so schwierig: Er ist nicht öffentlich. Das Volumen der Überzeugung wird nur im geschlossenen Fass spürbar. Wie weit er für diese Überzeugungen gehen würde, will Conroy nicht beantworten. «Es gibt zwei Vorgehensweisen auf dem Weg in Richtung Veränderung: die ruhige und die aggressive. Man muss beide nehmen. Das ist meine Überzeugung.»