Rajeevan Rajasekaran kam mit 13 Jahren in die Schweiz und legte im Nu eine vorbildliche Akademikerkarriere hin. Heute ist «Dr. Raja» praktizierender Arzt in Rheinfelden.
Dass Dr. Rajasekaran – Schweizer dürfen Raja sagen – seinen Beruf mit Freude und Engagement ausübt, zeigt sich im Gespräch über kulturelle Unterschiede zwischen tamilischen und schweizerischen Patienten sofort. «Wenn ich den Schweizern eine Therapie erkläre oder Medikamente verschreibe, fragen sie ab und zu nach, aber sie haben grundsätzlich Vertrauen in meine Kompetenz und die medizinische Ausbildung. Tamilische Patienten hingegen sind immer skeptisch, stellen alles in Frage und gehen vielleicht sogar noch zu einem anderen Arzt.»
Dies sei besonders interessant, weil in der tamilischen Kultur die Autorität eines Arztes absolut sei: Was er verschreibt, wird eingenommen, und zwar ohne grosse Erklärung zu Diagnose oder Therapie. Warum dann das Misstrauen gegenüber ihm, dem tamilischen Hausarzt? Ist es für tamilische Patientinnen nicht eine grosse Erleichterung, über ihre Beschwerden in der Muttersprache reden zu können? «Ja, ganz sicher. Die Skepsis richtet sich auch nicht gegen mich persönlich, sondern ist wohl ein Zeichen dafür, wie sehr das Leben dieser Menschen durch die Kriegserlebnisse, die Flucht und den zuweilen schwierigen Start in der Schweiz durcheinandergeraten ist.» Man habe in Sri Lanka Schlimmes erlebt und später in der Schweiz immer wieder die Erfahrung gemacht, nicht verstanden oder nicht ernst genommen zu werden. «Da wird man wohl einfach misstrauisch.»
Gesundheit ein grosses Thema
Zusammen mit tamilischen Fachkolleginnen aus dem Gesundheitsbereich hat Dr. Raja einen Verein gegründet, der Beratung und Information zu Gesundheitsthemen in tamilischer Sprache anbietet. «Nach der Familie und der Politik ist die Gesundheit ein grosses Thema für die Tamilen hier in der Schweiz. Aufgrund ihrer Erfahrungen und Lebensbedingungen haben viele von ihnen auch psychische Probleme, was ihnen selbst aber oft nicht bewusst ist. In Sri Lanka wird kaum über psychische Beschwerden gesprochen.»
Doch Dr. Raja behandelt natürlich nicht nur tamilische Patienten, sondern alle Menschen, die ins Hausarztzentrum am Stadtweg in Rheinfelden kommen. Und das sind viele: Während des Gesprächs klingelt mehrmals das Telefon im Behandlungszimmer – ob Dr. Raja einen Notfall übernehmen könne, oder Patienten der Kollegen, die heute ausfallen?
Erst kein Wort Deutsch, dann eine Hausarztpraxis
Dr. Rajasekarans Weg zur Hausarztpraxis ist einerseits der unspektakuläre Werdegang eines Jungen mit naturwissenschaftlicher Begabung, der Medizin studiert, gleichzeitig aber auch eine Integrations-Erfolgsstory: Als er 1992 im Alter von 13 Jahren in die Schweiz – nach Wallbach (AG) – kommt, kann er kein Wort Deutsch. «Mein Onkel in Sri Lanka hatte ein Deutschlehrbuch und ich habe das auch ein paar Mal durchgeblättert, aber gelernt habe ich so natürlich überhaupt nichts.»
Rajeevan wird in die zweite Realklasse eingestuft, kann aber nach einigen Monaten einen sprachunabhängigen Intelligenztest machen. Darauf darf er zwischen Real-, Sekundar- und Bezirksschule wählen. Nachdem die Eltern vom Dolmetscher über die Unterschiede zwischen den Schultypen ins Bild gesetzt worden sind, ist ihr Wunsch klar: Bezirksschule, später Gymnasium. «In Sri Lanka gibt es keine AHV, keine Krankenkasse. Eine gute Ausbildung für die Kinder ist daher für sri-lankische Eltern das Wichtigste, es ist ihre Versicherung für alles. Dies galt natürlich auch für meine Eltern.» Rajeevan, inzwischen 14, beginnt noch einmal mit der ersten Bez – es gilt ja, Deutsch und Französisch gleichzeitig zu lernen.
Der Wunsch der Eltern
Die Schule fällt Rajeevan nicht schwer, Mathematik und Naturwissenschaften liegen ihm und im Deutsch erhält er intensiven Nachhilfeunterricht. «Es war gut für mich, dass ich das einzige Ausländerkind auf meiner Klassenstufe war. So erhielt ich Einzelunterricht im Deutsch.» Die Bez schliesst er mit einem guten Notenschnitt und einer guten Abschlussprüfung ab, es reicht fürs Gymnasium.
Die Deutsch-Nachhilfelehrerin empfiehlt trotzdem eine Lehre, da sie eine zu starke Belastung durch die sprachlichen Anforderungen des Gymnasiums und später der Universität fürchtet. Rajeevan, interessiert an Technik und Architektur, sucht und findet eine Lehrstelle als Hochbauzeichner in Laufenburg. Doch die Eltern sähen es immer noch lieber, er würde später studieren, und so geht er eben aufs Gymnasium in Muttenz und macht die Matur, ebenfalls ohne Probleme.
Wie beurteilt Dr. Raja seine erfolgreiche Schweizer Schulkarriere im Rückblick? Waren Bez und Gymnasium eine grosse Belastung? «Ich war ja schon in Sri Lanka zur Schule gegangen, und diese Schule war viel härter als die Schulen in der Schweiz. Dort herrscht vom ersten bis zum letzten Tag ein massiver Leistungsdruck und Wettbewerb, man muss unglaublich viel und diszipliniert lernen. Hier in der Schweiz war die Atmosphäre entspannter, und ich hatte ja Unterstützung im Deutsch.» Rajeevan schafft auch das Medizinstudium in Basel, arbeitet drei Jahre lang als Assistenzarzt in Wattwil und jetzt als Hausarzt in Rheinfelden.
Die perfekte Integration also? Nicht ganz, lacht Dr. Raja, Skifahren habe er in der Jugend nicht gelernt. «Jetzt muss ich aber: Meine Kinder wollen unbedingt in die Skiferien!»