Dieser Cello Inferno braucht keine tätowierten Unterarme, um Rock ’n‘ Roller zu sein. Schon sein raumgreifendes Stimmorgan prädestiniert den 37-Jährigen zum Sänger – wie sein bürgerlicher Name eigentlich auch: Marcello Palermo. Warum ein Künstlername? Als sein schallendes Lachen verhallt, kommt die simple Erklärung: «Mein richtiger Name wäre zu kitschig für meinen Sound; er klingt zu sehr nach italienischem Schlager.»
Aber in Palermo steckt eben ein Rock ’n‘ Roller. Statt dem Feuer der Liebe lodern bei Cello Infernos voluminös geröhrtem Rumpelblues Flammen aus einer zur Hi-Hat umfunktionierten Mokkakanne. «Ein wichtiger Effekt, um die Aufmerksamkeit der Menschen zu bekommen», kommentiert er seine Pyroshow.
Die zündende Mischung im Topf hat er selbst ausgetüftelt und er betreibt damit auch eine feuerspuckende Benzinkanister-Gitarre. Die hat er selbst gebaut, wie eigentlich alle seine Instrumente. Bis auf ein Banjo: «Eine wertvolle Rarität, die ich auf einem Flohmarkt in Lyon fand und wieder zwäg machte.»
Dieses Instrument zupft er in virtuoser Hillbilly-Manier. Mehr Charme und Charakter zeigt Cello Inferno jedoch, wenn er auf den zwei Saiten seiner ersten – aus einer Zigarrenschachtel und einem Besenstiel – selbst gebauten Gitarre spielt, während der rechte Fuss einen Plastikkanister tritt, «der über eine Anlage besser klingt als manche Bass Drum».
Das Tschäck zum Bumm, also den Snare-Ersatz daneben, kickt er mit einem Tennisball aus Filz, damit der blecherne Ölkanister nicht schon nach einer Show durchgetreten ist. Darauf prangt mit schwarzem Marker die musikalische Losung des Selfmade-Mannes: «100% no beauty, no talent – but 666% Rock ’n’ Roll».
Missionare alarmieren die Inquisition
Was viele Zuschauer begeistert, ist ein paar christlichen Missionaren ein Dorn im Auge, die Cello Inferno auf der Strasse immer mal wieder bekehren wollen. Weil er nicht willig ist, rufen sie jeweils die Inquisition in Form der Polizei.
Die Gesetzeshüter kommen ohnehin öfter zu seinen Strassenkonzerten. Sie stören sich weniger an der Aufschrift, dafür am kleinen Verstärker, der Cellos selbst gebaute Gitarren zum Klingen bringt. Lautsprecher sind auf der Strasse verboten, auch wenn der unverstärkte Gesang, das Boden-Geschepper und das Banjo gleich laut sind. «Ich hab das mal gemessen und landete bei einem Dezibel Unterschied», sagt er.
«In Basel mag mich offenbar nicht nur das Publikum, sondern auch die Polizei besser als in anderen Städten.»
Viele Polizisten drücken wegen der Verhältnismässigkeit denn auch gern ein Auge zu. «Gerade in Basel gibt es durchaus auch schöne Begegnungen. Hier mag mich offenbar nicht nur das Publikum, sondern sogar die Polizei besser als in anderen Städten», sagt Palermo, der seit acht Jahren als Strassenmusiker tourt.
Die Freie Strasse meidet er trotzdem – wegen der Ladenbesitzer, die sofort die Polizei rufen. «Im Kleinbasel kann ich meist in Frieden spielen. Die andere Seite meide ich mittlerweile, auch wenn der Bahnhof mit all den Menschen natürlich der beste Platz wäre.»
Doch erst kürzlich landete Palermos Verstärker nach einem Auftritt beim Bahnhof in der Asservatenkammer, während er mit einer Anzeige nach Hause geschickt wurde. Gegen die 340 Franken Busse inklusive Gebühren hat er Einspruch erhoben, weil laut dem amtlichen Merkblatt für Strassenmusik in Basel nur Ordnungsbussen von 80 Franken vorgesehen sind für Musiker, die sich nicht an die Regeln halten. «Doch bei Verstärkern geht es anscheinend um andere Paragrafen», sagt Palermo. Ausserdem ist er Wiederholungstäter.
Vermittlung statt Kampf auf den Barrikaden
Der Bussenstand seiner Karriere kletterte mittlerweile über die 3000-Franken-Marke. «Ich kann nicht für alle sprechen, aber für mich stimmen die Regeln so nicht.» Resignieren, also auf seine selbst gebauten Gitarren verzichten, will er aber nicht: «Die sind Teil meiner Kunst und das gefällt offensichtlich auch dem Publikum. Spiele ich nur mit dem Banjo, nehme ich deutlich weniger Geld ein.» Auch fotografieren die Passanten weitaus mehr, wenn er sein ganzes Instrumentarium einsetzt, woraus Palermo schliesst: «So bin ich eine Gratis-Touristenattraktion, welche die Städte aufwertet.»
Weil die zunehmend strengeren Strassenmusik-Reglemente ihn von seinem Arbeitsplatz fernhalten wollen, sucht er nun nach neuen Lösungen, um seinen geliebten Beruf weiter ausüben zu können. Obwohl er bei sich selbst ein Autoritätsproblem diagnostiziert, setzt er dafür auf Vermittlung statt Barrikadenkampf und gründete im Frühsommer den Verein Strassenkunst.
Palermo will eine politische Lobby aufbauen. Darum hofft er nebst der Handvoll professioneller Musiker und Gaukler aus der Schweiz, die er kennt, auch passive Mitglieder zu finden, die Kultur und Beruf der Strassenkünstler unterstützen, «schliesslich gehört das Handwerk der Gaukler und Troubadoure zu den ältesten unserer Breitengrade».
«Nur weil ich auf der Strasse spiele, mache ich nicht für 50 Franken den Geburtstagsparty-Clown.»
Die Musikszene seiner Heimatregion Luzern unterstützt ihn schon jetzt, auch mit Benefizabenden, damit er seine Bussen bezahlen kann. Letztes Jahr kamen 1600 Franken zusammen. Im August steigt der nächste Abend. Das freut Palermo ungemein. Doch lieber als Almosen ist ihm Arbeit.
Umso mehr nerven ihn bürgerliche Politiker, die von Traditionen und Werten schwärmen, Leuten wie ihm aber die Arbeit verunmöglichen. «Und dann schimpfen sie über Sozialhilfeschmarotzer. Das ist doch paradox! Nun werde ich zwar nicht reich, aber ich zahle AHV, Versicherungen und fülle brav meine Steuererklärung aus.» Er hat sich in den acht Jahren als Strassenmusiker eine Existenz aufgebaut.
«In der normalen Wirtschaftswelt bin ich zuvor gescheitert», urteilt Palermo über seine acht Jahre als Lastwagen-Chauffeur. «In der Logistikbranche herrschte ein stressiges Klima von Fressen oder Gefressenwerden. Das passte mir nicht.» Danach sträubte er sich gegen die Autorität des RAV. «So hab ich meine Arbeitslosenrente verspielt und alles verloren, sogar die Wohnung.»
Jetzt soll ein Debütalbum her
Darum begann Palermo vor acht Jahren mit dem Banjo auf der Strasse zu spielen. Das Instrument lernte er beim Kinderzirkus Pipistrello spielen, den er zwei Jahre durch die Schweiz fuhr. «Die Erfahrung mit der Truppe hat das Performative meiner eigenen Auftritte inspiriert», sagt er. «Mein Bühne ist die Strasse: Hier will ich bieten, was möglich ist. Mittlerweile bin ich da ja auf gutem Weg.»
Inzwischen wird er immer häufiger für Konzerte in Clubs und auf Festen angefragt. Auch in Basel hat er schon manche Bühne bespielt. Doch der Profi wird oft unterschätzt: «Nur weil ich auf der Strasse spiele, mache ich nicht für 50 Franken den Geburtstagsparty-Clown.» Bei Konzerten spielt er mehr eigene Songs als auf der Strasse, wo Hits halt ziehen – selbst wenn seine Cover-Versionen meist ziemlich weit weg vom Original sind.
Zu Hause hat er angefangen, Songs für ein Debütalbum aufzunehmen. Und er verspürt den Wunsch, nach den Teenagerbands auch heute wieder mal mit anderen Leuten zu spielen. Als Hobby, neben dem Beruf als One-Man-Show. Ausserdem hat er nun angefangen, erste Cigar-Box-Gitarren für Kunden zu bauen. Die coolen Klampfen gelten in hippen Kreisen gerade als chic.
Die Arbeit geht Cello Inferno nicht aus, wenn man ihn denn lässt.