Sothy Uruthiralingam aus Sri Lanka wurde zufällig Schneiderin – was Tamilen in der Region freut. Sie wissen: Im Schneideratelier in Möhlin werden Träume war. Das Porträt ist Auftakt einer losen Serie über Tamilen in der Schweiz.
Dem Zufall ist es zu verdanken, dass Sothy Uruthiralingam vor 18 Jahren Schneiderin wurde. Im Gymnasium, Anfang der Neunzigerjahre in der Stadt Jaffna in Sri Lanka, war sie eine ehrgeizige Sportlerin, gewann die Schulmeisterschaften im Hochsprung und Sprint. Eine berufliche Laufbahn als Sportlehrerin oder Trainerin für Jugendliche hätte ihr gefallen, sagt sie. «Aber es herrschte Krieg, und es war schwierig, Pläne zu machen. Man wusste abends nicht, ob man am nächsten Morgen überhaupt noch leben würde. Ständig mussten wir umziehen, um der Gefahr zu entgehen. Alles war instabil und unsicher. Man tat meist nicht das, was man wollte, sondern das, was gerade möglich war.»
Zudem gab es nach dem Schulabschluss Wartefristen zu bestehen, bevor eine Ausbildung oder ein Studium in Angriff genommen werden konnte. Während dieser Wartezeit zog die Familie wieder einmal um, diesmal direkt neben eine Näherei. Sothy besuchte die Näherei aus Neugierde, fühlte sich auf Anhieb wohl – und liess sich zur Schneiderin ausbilden.
Werbung mit selbstgenähten Kleidern
Dieser zufällige Berufseinstieg hat sich als Glücksfall erwiesen: Als Sothy vor 15 Jahren in die Schweiz kam, konnte sie sehr bald wieder in ihrem qualifizierten Beruf arbeiten. Werbung war unnötig: «Ich habe an tamilischen Festen meine selbstgenähten schönen Kleider getragen, da haben die Leute gefragt, woher ich das habe – und schon hatte ich meine ersten Kundinnen.»
Aus diesem kleinen Anfang hat sich eine vielfältige und schöpferische Praxis entwickelt: Am grossen Tisch in ihrem Einfamilienhaus in Möhlin näht Sothy traditionelle Kleider für ihre tamilischen Kundinnen, führt Änderungen aus, gestaltet Dekorationen für hinduistische Tempelfeste, kreiert aber auch Fasnachtskostüme für ihre Kinder oder Mannschaftstrikots für die Fussballmannschaft ihres Sohnes.
Fasnachtskostüme? Gibt es in Sri Lanka auch so etwas wie Fasnacht? Sothy verneint, erklärt aber, dass Verkleidungen trotzdem nicht unbekannt seien: «Bei gewissen Tempelzeremonien werden Kostüme verwendet, um Tiere wie Pferde, Pfauen oder Tiger darzustellen, und am Umzug zum 1. Mai werden gesellschaftliche Missstände wie etwa Armut von kostümierten Darstellern auf der Strasse vorgespielt.» Ob die Inspiration nun vom Tempel oder vom Cortège kommt – auf jeden Fall scheint Sothys Fantasie keine Grenzen zu kennen: Kostüme von Super Mario bis Playboy-Häschen, Saris von einfach bis prunkvoll, Kissen, Tanzkostüme in immer neuen Farbkombinationen und mit immer neuen Dekorationen und Stickereien werden am grossen Tisch geschaffen.
Berufswunsch Vorhangnäherin
Zusätzlich arbeitet sie in einem Vorhangatelier und will sich in Kürze als Vorhangnäherin selbstständig machen. «Vorhänge nähen, das habe ich erst in der Schweiz gelernt», sagt sie – und lacht. «Sonst habe ich in der Ausbildung in Jaffna alles gelernt: Röcke, Blusen, Kleider, Hosen, Hemden.» Während die Leute in Sri Lanka oft auch Alltagskleider von der Schneiderin nähen lassen, bekommt Sothy in der Schweiz ihre Aufträge meist im Zusammenhang mit besonderen Anlässen wie Hochzeiten oder Tanzaufführungen.
Die fünf traditionellen Modelle sind besonders gefragt: Sari-Blouse, Half-Sari, Panjabi, «Bluse und Rock» sowie opulente Festkleider für Mädchen. «Panjabi ist besonders geeignet für jüngere Damen mit schlanker Statur», sagt sie mit einem Augenzwinkern. «Und wenn die Mädchen zum ersten Mal einen Sari anziehen, brauchen sie noch etwas Starthilfe durch mich oder ihre Mutter.»
Stoff aus Sri Lanka in Möhlin
Die Stoffe für ihre Kunstwerke bezieht Sothy von ihrem Bruder in Sri Lanka, der im grossen Stil Stoff von Indien nach Sri Lanka importiert – und auch Möhlin beliefert. Für einen Sari braucht es acht Meter Stoff, das kann je nach Material und Dekoration teuer werden. Zu tun hingegen gibt es bei einem Sari nicht viel. «In einer Stunde habe ich die Länge und Breite angepasst», sagt Sothy, «und auch die Bluse zum Sari schaffe ich in ein bis eineinhalb Stunden». Kompliziertere Kleider mit zahlreichen Schleifen und Rüschen dauern länger.
Ob kompliziert oder einfach, Sari oder Super Mario – wichtig ist für Sothy vor allem eines: «Ich bin zufrieden mit meiner zufälligen Berufswahl. Auch nach fast 20 Jahren macht mir das Schneidern immer noch Spass.» Und der Sport? «Natürlich, da bin ich immer noch vorne dabei. In Basel gibt es schliesslich auch Wettkämpfe.»