Er kommt in weissem Hemd und schwarzen Lackschuhen, die Haare mit Gel geformt. Der Händedruck ist fest, die blauen Augen halten Blickkontakt. Der Basler Nicolas Schotten ist 22 Jahre jung, Student und App-Entwickler. 48 Applikationen für Iphone und Ipad hat er in knapp vier Jahren programmiert. Allein, zu Hause, «so nebenbei halt». Sein jüngstes Baby: die Social-Media-App Stizzle.
Zwischenfrage: Kennen Sie Jodel? Das ist eine kostenlose App, in der mehrheitlich junge Menschen anonym posten, was ihnen gerade so durch den Kopf geht. Häufig sind es irgendwo aufgeschnappte Witze. Die poppen dann in verschiedenen Farben untereinander im Feed auf, der nur mit Posts aus der näheren Umgebung bespielt wird.
Entwickelt wurde Jodel von einer Hand voll deutscher Studenten. Oder besser: abgekupfert. Jodel hat nämlich ein amerikanisches Vorbild namens Yik Yak. Vor einem Jahr stellten die Macher den Betrieb von Yik Yak wegen rückläufigen Nutzerzahlen ein – während Jodel im August 2017 eineinhalb Millionen User verzeichnete.
Das bessere Jodel?
Was das mit Stizzle zu tun hat? Öffnet man die App, dann denkt man: Jodel. Die gleichen Farben, die gleichen abgekupferten Witze. Braucht das die Menschheit doppelt? Schotten findet: «Meine App hat einen komplett anderen Nutzen.» Klar war Jodel eine Inspiration, wie es eben auch Yik Yak für Jodel war. Er sei auch auf Jodel unterwegs gewesen.
«Die Sache ist: Die Jodel-Nutzer wollen privat miteinander kommunizieren – das liest man immer wieder in den Posts – aber sie können es nicht.» Es fehlt der Chat, in dem man sich fern vom Feed unterhalten kann, ohne dabei zwingend seine Anonymität aufgeben zu müssen. Diese Lücke will Stizzle schliessen.
2000 Menschen haben die kostenlose App laut Schotten schweizweit heruntergeladen. Nicht schlecht, wenn man bedenkt, dass Stizzle erst seit Anfang März im App-Store erhältlich ist. Drei Wochen hat er an der Grundversion gearbeitet, mit den Updates seien bisher ungefähr 100 Arbeitsstunden in die Entwicklung geflossen. Verglichen mit seinen 47 anderen Apps sei das tendenziell viel. «Mit der Zeit wird man immer schneller. Ich programmiere, seit ich 18 bin.»
Die erste App hiess Surebet Calculator. Sie verspricht Gewinn bei Sportwetten, indem bei zwei oder drei Wettanbietern auf alle Ausgänge desselben Spiels getippt wird. Egal, wie das Spiel ausgeht: Du gewinnst. Auf den Finanzmärkten sind solche sogenannten Arbitrage-Geschäfte Alltag. Die App sei komplett legal, betont Schotten. «Wenn die Wettanbieter allerdings realisieren, wie du vorgehst, lassen sie dich nur noch kleine Beträge setzen.»
Apps, die Reichtum versprechen
Wenn Schotten spricht, gibt es keine Pausen. Er nimmt Fragen vorweg, zeigt sich ambitioniert. Entrepreneur durch und durch, denkt sich die Zuhörerin. Man studiert ja nicht umsonst Finance, Controlling and Banking. Oder absolviert den Bachelor in fünf statt sechs Semestern. «Ich will vorwärts machen. Wieso unnötig Zeit vergeuden?», sagt der 22-Jährige und lächelt dabei.
Wenn man weiter durch Nicolas Schottens Sortiment scrollt, findet man Applikationen wie den «Flächen Rechner Pro», mit der sich – wie es der Name bereits verrät – Flächen berechnen lassen. Oder «Easy School – die Schüler App», mit der sich unter anderem die eigenen Schulnoten verwalten lassen.
Und dann sieht man die Apps «Reich werden! Wie werde ich zum Millionär?» und «Geld verdienen leicht gemacht!» – und hält als Volontärin inne, natürlich.
«Geld verdienen leicht gemacht!» aus dem Jahr 2015 will 50 Wege aufzeigen, um an Geld zu kommen. «Schnell und viel Geld», genauer gesagt. «Es werden also keine allgemeinen und sinnlosen Dinge beschrieben, wie man sie überall im Internet findet, sondern exakt, was du tun musst, um reich zu werden», heisst es in der Beschreibung. Da bezahlt man doch gerne einen Franken.
Danach kann man auswählen zwischen Oberkategorien wie «Investment» oder «Gute Idee». Tippt man auf «Normale Berufe», erscheinen 14 Jobs, vom Arzt bis zum Vermögensverwalter. Tippt man wieder – egal worauf – erscheint folgender Text:
«Ein guter Job, für welchen du eine hohe Ausbildung benötigst. Informiere dich am besten im Internet, welche Qualifikationen notwendig sind, um in diesem Job arbeiten zu können.»
Die Volontärin ist enttäuscht, das Bankkonto einen Franken leichter als zuvor. Das ist doch Beschiss! Schotten erklärt: «Es hat sehr wohl einige Tipps, mit denen sich ganz konkret Geld verdienen lässt. Zum Beispiel mit Surebetting. Aber die App war eine meiner ersten und ist nicht ansatzweise mit meinen heutigen Apps zu vergleichen.»
Zu gut, um wahr zu sein?
Trotzdem ist «Geld verdienen leicht gemacht!» im App-Store mit viereinhalb von fünf Sternen bewertet, wie fast alle 48 Produkte von Schotten. Zum Teil gibt es auch schriftliches Lob – immer von denselben vier, fünf Usern. «Jeder App-Entwickler bewertet seine eigenen Produkte, um sie zu pushen. Das ist nicht aussergewöhnlich. Ausserdem löschte das Apple-Betriebssystem bis vor Kurzem bei App-Updates die bestehenden Bewertungen – ausser, sie waren schriftlich kommentiert.»
Auch Stizzle hat viereinhalb Sterne, bei insgesamt 22 Bewertungen. «Die stammen natürlich nicht alle von mir.»
Nicolas Schotten will sich vermarkten. Das kann man ihm nicht verübeln, immerhin ist er jung und verdient mit diesen Apps sein Geld. «Aber Geld ist nicht das Einzige. Stizzle zum Beispiel ist kostenlos. Es soll den Leuten Freude bereiten, neue Bekanntschaften ermöglichen. Und wer weiss, vielleicht kommt irgendwann ein Stizzle-Baby zur Welt?»
Wer weiss.