Eine Chefstatistikerin stellen sich die meisten wohl so vor: trocken, zahlenfokussiert, ein bisschen langweilig, konventionell. Doch wer Madeleine Imhofs Büro bei der Heuwaage betritt, wird eines Besseren belehrt. «Ah, hier sind Sie ja. Nehmen Sie doch Platz», sagt sie in einem Dialekt, der irgendwo zwischen Bern und Solothurn einzuordnen ist.
Auf dem runden Sitzungstischchen steht eine Schale mit Aprikosen, in den Regalen hat Imhof Steine deponiert. Sofort redet sie munter drauflos, erzählt offen aus ihrem Leben, lacht viel.
«Unsere Daten müssen hieb- und stichfest sein, anständig daherkommen und jederzeit nachvollziehbar sein.»
Seit 2005 ist Madeleine Imhof (58) Leiterin des Statistischen Amtes und somit die Hüterin der Daten von Basel-Stadt. Ob Bevölkerungsstatistik, Zahlen über Tierbestände oder ausländische Erwerbstätige – die Website des Statistischen Amtes ist eine wahre Fundgrube, und ohne Material von Imhof und ihren 35 Angestellten wären Verwaltungsstellen und Journalisten öfter mal aufgeschmissen.
An Imhofs Amt führt kein Weg vorbei, wenn man auch nur ein bisschen glaubwürdig sein möchte. Vergangenes Jahr hatte das Amt 13’600 Anfragen aller Art – eine Zahl, die Imhof sichtlich mit Stolz erfüllt.
Weiss sie denn, wie wertvoll die Arbeit ihres Amtes ist? Sie lächelt, nimmt einen Schluck Wasser und sagt: «Wir arbeiten jeden Tag daran, dass es so ist. Meine Grundhaltung ist, dass Fakten gerade in einer emotionalisierten Welt enorm wichtig sind.» Sie verstehe das Statistische Amt als Dienstleister. «Unsere Daten müssen hieb- und stichfest sein, anständig daherkommen und jederzeit nachvollziehbar sein.»
Von der Datenanfrage zum Jobangebot
Beim Statistischen Amt, das dem Präsidialdepartement angegliedert ist, landete Imhof nur durch Zufall. Auf dem zweiten Bildungsweg studierte sie an der Universität Basel Geografie – Nebenfächer Botanik, Erdwissenschaften, später Volkskunde und Meteorologie («Ich fand schon immer alles spannend») – und schrieb 1996 eine Dissertation über die Wohnverhältnisse von Migranten.
Dafür brauchte sie Daten vom Statistischen Amt – und wurde zuerst enttäuscht: «Daten zu einzelnen Strassenzügen hatten sie damals nicht», erinnert sich Imhof. Aus ihrer Anfrage ergab sich eine Verpflichtung. 1997 wurde sie vom Statistischen Amt angestellt. Seither sorgt sie dafür, dass solche Daten heute standardmässig zur Verfügung stehen. Acht Jahre nach der Datenanfrage wurde Imhof, die im St. Johann-Quartier wohnt, zur Chefin befördert.
Geprägt vom Bauernhof-Leben
Aufgewachsen ist Imhof auf einem Bauernhof im 400-Seelen-Dorf Iffwil im Berner Mittelland. «Das war extrem eindrücklich. Aber ich bin definitiv ein Stadtmensch», sagt sie. Schon früh lernte Imhof Verantwortung zu übernehmen. Als sie 14 Jahre alt war, starb ihr Vater an einem Herzinfarkt. Gemeinsam mit ihrer Mutter und ihren beiden Brüdern managte sie den Bauernhof. «Es war nötig, dass alle mit anpackten.»
Diesen Grundsatz versucht sie auch heute ihrem Team zu vermitteln, wenn sie sagt: «Es ist wie auf dem Bauernhof hier: Man muss einander helfen, nur gemeinsam schaffen wir es.»
In Imhofs Leben verlief manches nicht geradlinig. Auch zu ihrem Studium fand sie ungeplant. Eigentlich wollte sie – nachdem sie in Basel zwei Jahre in ihrem ersten Beruf als Chemielaborantin gearbeitet hatte – eine künstlerische Laufbahn einschlagen. «Ich habe den gestalterischen Vorkurs hier gemacht, bin dann aber nicht in die Fachklasse reingekommen. Dieser Kurs hilft mir heute aber immer noch enorm, wenn es darum geht, wie unsere Daten daherkommen sollen.»
Diese künstlerische Seite habe sie noch heute in sich, sagt Imhof bei einem Spaziergang im Nachtigallenwäldeli. So fotografiert sie in ihrer Freizeit «skurrile oder spezielle Situationen» und versucht diesen in der Bildbearbeitung Emotionen zu verleihen. Ein Ausgleich zu den starren Fakten? «Ich denke schon.» Ihre Arbeit fasziniere sie aber auch nach 21 Jahren noch. «Ich finde immer noch jede Statistik spannend – weil die Fragestellungen dahinter spannend sind.»
Nach 35 Jahren wilder Ehe geheiratet
Imhof entschied sich nach der Enttäuschung über ihre Nichtaufnahme in die Fachklasse, die Matur bei der Akad-Schule nachzuholen. Aus praktischen Gründen: «Die Matur machte ich dort, weil ich abends und samstags nicht in die Schule wollte. Ich wollte lieber in den Ausgang.» Und das intensiv. Ihre Stammlokale damals: «Grüner Heinrich» und «Hasenburg». In der «Hasenburg» lernte sie auch ihren heutigen Ehemann kennen. Daneben jobbte sie als Privatpflegerin.
Und wie sieht es heute mit der «Hasenburg» aus? «Dort bin ich nicht mehr oft.» Vor zweieinhalb Jahren veranstaltete Imhof allerdings ihren Hochzeitsapéro dort. So viel Nostalgie musste schon sein. 35 Jahre wartete sie, bis sie ihrem Mann das Jawort gab. Wieso erst so spät? Imhof zuckt mit den Schultern und lacht: «Nach 35 Jahren hat es einfach gepasst.»
Obwohl verheiratet, lebt das Paar in zwei separaten Wohnungen. Die Frau, die auf Fakten vertraut, scheint sich wohlzufühlen auf der unkonventionellen Seite des Lebens – oder wie sie es selbst ausdrückt: «I’m on my way.»