Filmemacher Roland Achini fand seine Protagonistin in der TagesWoche

Vor rund einem Jahr las Roland Achini in der TagesWoche ein Porträt über Mariann Widmer. Jetzt zeigt er seinen Film über ihre Kreativwerkstatt im Stadtkino.

Der Filmemacher Roland Achini in seinem Lieblingscafé «Rio Coffee Shop» an der Weissen Gasse in Basel.

(Bild: Eleni Kougionis)

Vor rund einem Jahr las Roland Achini in der TagesWoche ein Porträt über Mariann Widmer. Jetzt zeigt er seinen Film über ihre Kreativwerkstatt im Stadtkino.

Vor ziemlich genau einem Jahr und zwei Monaten sass Roland Achini in seinem Einfamilienhaus in Therwil, trank Kaffee mit viel Milch und las die TagesWoche. Auf der zweiten Seite lachte ihm eine fröhliche blonde Frau vor einer mit Farbklecksern besudelten Wand entgegen.

Achini stellte die Tasse ab, griff nach seinem Kugelschreiber und setzte ein kleines Kreuz neben den Titel. Daneben notierte er «Aufbewahren. Filmidee?»

Der Artikel zu Mariann Widmers Kreativwerkstatt, vom September 2015.

Der Artikel zu Mariann Widmers Kreativwerkstatt von September 2015.

Danach las wie immer seine Frau die Zeitung. Und stimmte zu, als sie auf die Notiz neben der blonden Frau stiess. Ein Porträt über den bunten Mikrokosmos in der Offenburgerstrasse, in der Widmer mit Kindern und Menschen mit Handicap kleine Kunstwerke baut – das passte zu ihrem Ehemann, der in seinen Filmen stets interessante Menschen aus der Umgebung begleitet und dokumentiert.

Reger Briefwechsel vor Drehbeginn

Der Artikel wurde also aufbewahrt, und kurze Zeit später traf in Mariann Widmers Kreativwerkstatt ein Brief von Roland Achini ein: «Liebe Frau Widmer, ich habe den Artikel über Sie in der TagesWoche gelesen und wäre interessiert an einem filmischen Porträt über die Kreativwerkstatt.» Sie solle sich bei ihm melden, falls Interesse bestünde.

Seine Idee kam an: Mariann Widmer war sofort mit im Boot, lud Achini zu sich nach Hause ein und informierte ihre Werkstattbesucher über dessen Projekt. Fünf davon stimmten zu, einer sogar schriftlich, wie Achini erzählt, als wir ein gutes Jahr später in seinem Lieblingscafé «Rio Coffee Shop» in der Weissen Gasse bei einem – genau – Kaffee mit viel Milch sitzen. Der kleine Luc habe ihm vor den Dreharbeiten einen Brief geschickt. «Warten Sie!» – er kramt in der mitgebrachten Mappe – «Hier.»

Achini zeigt ein mit krakeligen Buchstaben beschriebenes Blatt: «Lieber Roland, ich freue mich auf den Film! Liebe Grüsse von Luc» Der Filmemacher lacht. Er habe den Brief natürlich aufbewahrt.



Vorfreudige Zeilen: Protagonist Luc schrieb Roland Achini vor den Dreharbeiten einen Brief.

Vorfreudige Zeilen: Protagonist Luc schrieb Roland Achini vor den Dreharbeiten einen Brief. (Bild: Eleni Kougionis)

Achini hat den Film dabei, auf einer externen Harddisk, für uns zum Ausleihen. Ein Retourcouvert hat er auch mitgebracht. «Dann können Sie mir den Film nach dem Anschauen gleich zurückschicken.» Der Filmemacher lächelt freundlich. Er ist gut organisiert.

Entsprechend problemlos ging auch der Dreh über die Bühne: Nach nur wenigen Wochen konnte begonnen werden. Dazu führte Widmer ihren Unterricht wie gehabt weiter. Die Kinder bedruckten Stoff mit verschiedensten Stempeln, bespritzten Leinwände, bastelten Schiffe und Lampen, klebten Miesmuscheln auf Leinwände oder rührten Farbpigmente an. Ganz normale Wochen in der Kreativwerkstatt, bei denen dieses Mal halt ein unauffälliger Herr mit Kamera dabei war.

Zurückhaltung ist oberste Devise

Achinis Arbeitsphilosophie ist «Direct Cinema», eine Form des Dokumentarfilms, bei dem der Filmemacher so wenig wie möglich ins Geschehen eingreift. Achini steht also rein beobachtend neben den arbeitenden Besuchern der Werkstatt, lässt sie für sich selbst sprechen, stellt kaum Fragen.

Nur einmal fragt er den kleinen Marius, in welcher Klasse er in dem Schiff reisen würde, an dem er gerade baut: «1. Klasse?» «Ja!», ruft Marius und widmet sich dann selbstversunken wieder seiner Arbeit. Dass ihn jemand dabei filmt, stört ihn überhaupt nicht.

 

Bei den anderen Porträtierten ist es ähnlich: Giulia, Luc, Maria Luisa, Stefan, Antonio und Laysla zeigen keine Kamerascheu und lassen sich von ihrer Arbeit mit Widmer in keinster Weise ablenken. So entsteht mit «Labor für schöpferische Gestaltung», wie Achini seinen Film genannt hat, ein feinfühliges Porträt über diesen einzigartigen Ort im Kleinbasel, wo eine resolute Frau mit einer Engelsgeduld Kindern und Menschen mit Handicap ihre Zeit und das prall gefüllte Bastelregal zur Verfügung stellt.



Mariann Widmer hätte ihn vom ersten Augenblick an beeindruckt, meint Achini. Seine «Meine Filme sind Personen gewidmet, die durch ihre Originalität oder ihre bemerkenswerte Lebenshaltung mein Interesse wecken – wie Mariann Widmer»: Roland Achini.

Mariann Widmer habe ihn vom ersten Augenblick an beeindruckt, meint Achini: «Meine Filme sind Personen gewidmet, die durch ihre Originalität oder ihre bemerkenswerte Lebenshaltung mein Interesse wecken – wie Mariann Widmer.» (Bild: Eleni Kougionis)

Vom Labor hinter die Linse

Mit dem Filmen fing Achini früh an, bereits Ende der sechziger Jahre, als er für seinen Postdoc in Chemie in Stanford weilte. In dieser Zeit drehte der Chemiker neben dem Studium kurze Filme über das Leben dort, die Demonstrationen und Anti-Vietnam-Proteste. «Nichts Grosses, aber es interessierte mich halt», meint er heute bescheiden.

Zurück in der Schweiz folgten Filme über Surprise-Verkäufer, über den Neuaufbau des Sarajevski Balletts oder «Der florale Anarchist» über den Zürcher Guerilla-Gärtner Maurice Maggi. Stets waren es Filme über Individuen, die Achini interessierten – wie jetzt auch Mariann Widmer, ab dem ersten Tag, an dem er das Porträt über sie in der TagesWoche gelesen hatte.

Den Film über ihre Kreativwerkstatt zeigt Achini wie immer im Stadtkino – seinem Lieblingskino in Basel. «Weil es so schwarz ist, da fühlt man sich wie direkt im Film.» Dieses Mal soll es sogar zwei Vorstellungen geben. «Es haben bereits so viele Leute Interesse bekundet, da muss genug Platz für alle sein», sagt Achini, trinkt den letzten Schluck Milchkaffee und schliesst seine Mappe. Bis Samstag!

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«Labor für schöpferische Gestaltung (Mariann Widmers Kreativwerkstatt)», Screening im Stadtkino, Samstag, 5. November 2016, 11 Uhr.

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