Für ihn dreht sich alles um den Klang

Seit Urs Graf in den Siebzigerjahren seine ersten Boxen aus ein paar Schubladen bastelte, lebt der Inhaber des Hi-Fi-Ladens Gramophone 2010 für den perfekten Klang.

Urs Graf prüft jedes Gerät auf Herz und Nieren, bevor er es in den Laden stellt.

(Bild: Alexander Preobrajenski)

Seit Urs Graf in den Siebzigerjahren seine ersten Boxen aus ein paar Schubladen bastelte, lebt der Inhaber des Hi-Fi-Ladens Grammophone 2010 für den perfekten Klang.

Die Axt im Plattenteller ist ein echter Hingucker im Schaufenster des Gramophone 2010. Seit 30 Jahren führt Urs Graf das Hi-Fi-Geschäft für Kenner vis-à-vis des Theaters. Wie kommt es zur Gewalt an einem Gerät, um das sich sein Leben dreht? «Was heute an Plastikmüll auf den Markt geworfen wird, ist ein Verbrechen an der Umwelt, dem Käufer – und bei den Preisen bestimmt auch an demjenigen, der das zusammenbauen musste.»

Kurz verliert die Stimme des 60-Jährigen das angenehm Sonore, den wohltemperierten Klang.

Sein Stimmorgan trimmt der Genussmensch nur mit Zigarren und Wein. Wie ein Sommelier vom Traubensaft schwärmt Graf denn auch von den Klangfarben seiner Geräte. Als differenziert, kräftig, bauchig, unmittelbar, ja als berauschend beschreibt er ihre Charakteristika. Er bezieht nur Qualitätsprodukte, das volle Potenzial entfalten die Geräte aber erst in Grafs Keller.

Kostenloser Service

In der Werkstatt lagern in unzähligen Schubladen fein sortiert Kondensatoren, Widerstände und Transistoren aus allen Hi-Fi-Epochen. Mit ihren Lötstellen und Steckdrähten erinnern sie an die immense Insektensammlung des Naturhistorischen Museums. Vieles in den Regalen hat heute musealen Wert, die Bandspulengeräte, das DAT und ein paar wunderschöne Messgeräte auf Grafs Werkbank erinnern an Daniel Düsentrieb. Einige seiner Modifikationen und Entwicklungen belebten die Hi-Fi-Szene nachhaltig. «Hier verbrachte ich manche Nachtstunde mit Modifizieren oder Reparieren.» Und wie er das so sagt, scheint Graf über die geglückten Operationen genauso glücklich wie seine Kunden.

Die Werkstatt dient jedoch nicht nur zum Tüfteln und Tunen. Jedes Gerät wird dort auf Herz und Nieren geprüft, bevor es in den Laden kommt. Ist der Tonabnehmerarm eines Plattenspielers nicht sauber austariert, hilft ein Tropfen Lack an der richtigen Stelle. Ein kostenloser Service, selbst für Einsteigergeräte zum Preis von 400 Franken. «Während einer Sinnkrise wollte ich damit schon aufhören, doch meine Frau hat mich überzeugt, dass genau dieser Service mich von anderen unterscheidet.»

Ohne den obligaten Test wäre Graf noch unruhiger, wenn ein Gerät seinen Laden verlässt. «Ich bin immer kribbelig, bis ich vom Kunden daheim höre: Es klingt gut.» Kommt innerhalb einer Woche kein Feedback, telefoniert er auch mal nach.

Boxen für Frauen

Musiker scheinen seine Mühe zu schätzen. Davon zeugen hinter einer Boxenwand unzählige Dankeskarten von Klassikmusikern bis zu Anna Rossinelli. Auch die Lovebugs schwärmen: SO muss das tönen! Natürlich gibt es Ausnahmen, die den Sound nicht auf Anhieb verstehen: «Klassische Profis meckern gerne, dass die Interpretation zu schnell oder zu emotionslos gespielt wird, statt auf den Klang zu hören.» Auch seine Klavierlehrerinnen hatten erst kein Gehör für Grafs Hi-Fi-Welt. Allerdings aus anderen Gründen: «Die Musik ist zwar ihr Leben, daheim hörten sie aber auf kleinen Böxli, weil die praktisch sind.»

Ganz allgemein ist Graf, was seine Klangleidenschaft betrifft, kein Frauenversteher. «Die legen doch sonst viel mehr Wert auf Gefühle und mögen das Emotionale – und genau darum geht es bei der Musik, egal bei welchem Stil.» Seine jetzige Klavierlehrerin, Araksya Sargsyan, konnte er überzeugen, als er ihr eigenes Konzert in der Musikakademie aufnahm und auf seinem derzeitigen «Rolls Royce» abspielte. «Sie fühlte sich beim Anhören wieder in den Saal zurückversetzt und spürte, weshalb sie eine Passage weich intonierte, dort die Tasten hart anschlug.» 

Dass er seinen Lehrerinnen ein neues Klangerlebnis verschaffen konnte, freut Graf enorm, gerade weil ihr Klavierspiel Graf Glücksmomente beschert. Ein Konzert seiner ersten Lehrerin, Irina Georgieva, brachte den 60-Jährigen vor vier Jahren sogar dazu, erstmals ein Instrument zu lernen. An das Konzert war er nur gegangen, weil Georgieva ihm Freikarten gegeben hatte, damit sie im Laden Flyer dafür auflegen konnte: Zum Shoppen verirrt sich sonst kaum eine Frau hierher. Umso mehr freut es Graf, wenn ein Kunde zum zweiten oder dritten Hörtest eine Dame mitbringt und sie am Ende doch die grösseren Boxen mit nach Hause nehmen.

Doch Frauen sind nicht der einzige Grund, weshalb heute immer weniger grosse Boxen über die Theke gehen. «Mit der Digitalisierung haben die Leute das Gefühl, dass bei gleicher Leistung alles ständig schrumpft. Nur: Eine Geige wird nie wie ein Kontrabass klingen.» Das ist nicht seine einzige Sorge wegen der digitalen Welt: «Gerade junge Kunden testen hier Kopfhörer, Verstärker oder Boxen und schwärmen beim gemeinsamen Kaffee davon. Aber einige kaufen dann wohl im Internet.»

Doch Graf will nicht über die technische Entwicklung klagen. «Die Welt verändert sich. Das ist einfach so.» Er nutzt das Netz selbst gerne, streamt daheim im Garten auch Musik – natürlich vom eigenen Server in digitaler Topauflösung. Graf stört mehr die schwindende Wertschätzung von Musik als Klangerlebnis.

Diese Entwicklung ist unverständlich für jemanden, der seine ersten Boxen Anfang der 70er-Jahre aus gebrauchten Lautsprechern und den Schubladen einer Kommode bastelte. «In meiner Jugend verzichteten wir aufs Mittagessen, damit wir LPs kaufen konnten, die wir dann abends mit Freunden hörten.» Damals gerne auch Rock von Led Zeppelin oder Black Sabbath und gerne auch laut, bis die Eltern einschritten. «Was früher als Lärm bezeichnet wurde, gilt heute schon fast als romantisch.»

Ein kleines Revival

Das damalige Aufkommen von Hi-Fi für den Heimgebrauch vereinte seine beiden Leidenschaften: Musik und Elektronik. Der Beruf als Radio- und TV-Elektroniker war die perfekte Symbiose. «Rückblickend würde ich weniger Zeit in Töffli und Mädchen investieren, dafür hätte ich noch den Ingenieur studiert. So hätte ich von Anfang an Geräte entwickeln und nicht nur verkaufen können.» Denn für seinen Job hält er sich eigentlich nicht wirklich geeignet. «Ich weiss zu viel und bin zu ehrlich. Versicherungen würde mir keiner abkaufen.»

Trotzdem entwickelte er mit Gramophone 2010 in 30 Jahren einen Ruf, der seinem Klangverständnis entspricht. Die goldenen Zeiten mögen wie in anderen mit der Musik verwandten Geschäften vorbei sein. Doch wie die Labels spürt auch Graf dank dem Vinyl-Revival einen kleinen Aufschwung. Das freut ihn besonders. Zum einen geniesst Graf Musik am liebsten ab LP, zum anderen fragen wieder vermehrt Leute nach Plattenspielern.

So trifft das Fallbeil in seinem Laden weiterhin nur die Billigschwarte in der Auslage. Mit Blick auf die Räumungsverkauf-Schilder im Schaufenster des benachbarten Rägetropfe-Ladens hofft er, nie das nächste Traditionsgeschäft zu werden, das in der Innenstadt schliessen muss. «Solche Schilder an meinen Geräten brächen mir das Herz. Ich hoffe jemanden zu finden, der die Liebe und die Risikobereitschaft mitbringt, den Laden einmal zu übernehmen.»

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