Als Eric Weber vor der Clarapost Flyer verteilte, stellte sich Jürgen Saalfrank daneben und rief: «Das ist Eric Weber, er ist ein Nazi.» Dafür kassierte er einen Strafbefehl. Das Porträt eines Mannes, der von sich und anderen Zivilcourage verlangt.
Erst hat er sich auf den Prozess gefreut, es hat ihn noch einmal gekitzelt. Jetzt sehnt er sich nach dem Moment, wenn alles vorbei ist. Jürgen Saalfrank steht in den nächsten Monaten vor Gericht, weil er den rechtsextremen Grossrat Eric Weber einen Nazi genannt hat. Die Staatsanwaltschaft hat deshalb einen Strafbefehl gegen ihn ausgestellt, 600 Franken soll er bezahlen wegen Ehrverletzung und Beleidigung. Saalfrank hat Beschwerde eingelegt.
Tagelang sass Jürgen Saalfrank, den alle nur «Saali» rufen, vor dem Computer und trug Beweismaterial zusammen. 200 Seiten hat er bereits beisammen. Es werden noch viele mehr: Saalfrank ist erst im Jahr 2000 angekommen. «Es ist fürchterlich», sagt Saalfrank und lacht gequält, «was ich alles lesen muss, ist schlimmer als die Busse. Mein Kopf verwandelt sich in eine intellektuelle Einöde».
An der Wand, im Rechercheraum seiner eigenen Wohngenossenschaft, hat er die Kategorien definiert, in die er das Material einteilen will. «Sprache» steht da etwa und die passenden nationalsozialistischen Begriffe, die Weber benutzt: Umvolkung, Ungeziefer, Mischrasse. Darunter liegen paketgrosse Aktenbündel, die ihm Hans Stutz und Jürg Frischknecht, die seit Jahrzehnten die rechtsextreme Szene der Schweiz ausleuchten, zugestellt haben: Es sind die Dossiers zu Eric Weber.
Als Antifa-Aktivist war Saalfrank vor allem Beobachter. Nächtelang sass er in seinem Auto vor Wohnhäusern, die Rechtsextremen zugeschrieben wurden. Er beobachtete, wer rein und raus ging, fotografierte. Er protokollierte Treffen, sammelte Indizien, die in ein internes Archiv flossen. Manchmal machten sie Namen und Funktionen publik, enttarnten die Nazis. «Wir wollten sie isolieren, damit sie keine Leute einsammeln können», sagt Saalfrank.
So begegnete er Ende der 1980er-Jahre erstmals Eric Weber. Der tauchte plötzlich an den berüchtigten Schlageter-Treffen im südbadischen Schönau auf, wo Rechtsextreme den «ersten Soldaten Hitlers» feierten. Weber, stellte sich bald heraus, unterhielt auch enge Kontakte zum bekennenden Lörracher Neonazi Christoph Bauer. Weber und Bauer sorgten in Basel für einen Eklat, als sie Asyl für verfolgte deutsche Nazis beantragten. In die gleiche Zeit fällt ein weiterer Vorfall, als Weber den Ratskeller für Feierlichkeiten anlässlich von Hitlers Geburtstag reservieren wollte.
Sesshaft geworden
1992 trat Saalfrank dem Hirscheneck-Kollektiv bei: «Ich bin überzeugter Kollektivist und Anarchist und die Arbeit dort entspricht sehr meinen Vorstellungen.» Ohne die sture Trennung von Arbeit, Freizeit, Schlaf; ein Leben getragen von der antifaschistischen Überzeugung. «Ich dachte damals: Ich kann hier in Rente gehen, solange wir ein Kollektiv sind, selbstbestimmt arbeiten und uns als politische Menschen verstehen.»
In Rente ist Saalfrank noch nicht, im «Hirschi» arbeitet er noch immer. Er wohnt in einem Haus an der Hammerstrasse, das er mit langjährigen Freunden genossenschaftlich gekauft hat. Kinder kamen dazu, drei sind es mittlerweile, im Garten steht ein selbstgebauter Pizzaofen. Saalfrank, 49 Jahre alt, ist sesshaft geworden.
Beschwerliche Recherche: «Früher ging ich nach draussen, jetzt hänge ich den ganzen Tag vor dem Computer rum.» (Bild: Nils Fisch)
Mit der Antifa-Arbeit hat er aufgehört. «Bis 2000 haben wir die Szene sehr intensiv beobachtet. Aber die Arbeitsformen haben sich geändert. Wir alten Antifas sind ins Hintertreffen geraten, wir wurden von den Hackern abgelöst.» Linke Hacker legten unlängst das Netzwerk der «Kameradschaft Süd» frei, die Aktion führte zu Verhaftungen in der rechtsextremen Szene. «Die jungen Kollegen schafften in zwei, drei Monaten, wofür wir fünf Jahre lang vor irgendwelchen Wohnungen Observationen angestellt hätten», sagt Saalfrank. Es klingt anerkennend, aber auch wehmütig.
Ein Selfie mit dem Rechtsextremen
Die Recherche gegen Weber war deshalb auch eine Reise zurück. «Aber es ist nicht mehr das Gleiche. Früher ging ich nach draussen, jetzt hänge ich den ganzen Tag vor dem Computer rum.» Antifa sei eine Verpflichtung, sagt Saalfrank, dazu gehöre aufzustehen, wenn jemand rassistische oder sexistische Parolen von sich gebe, jemand eine gewalttätige Sprache pflege. Und da schliesst sich der Kreis zum Prozess, der ihn nun erwartet.
An einem Samstag im April sah er vor der Clarapost Eric Weber Flyer verteilen. «Ich war eigentlich am Renovieren des Zimmers meiner Tochter. Ich hatte keinen Bock, aber ich dachte: Das geht jetzt nicht, dass dem keiner widerspricht.» Weber rief: «Ausländische Männer vergewaltigen Schweizer Frauen!» Ein Jugendlicher posierte für ein Selfie mit dem rechtsextremen Politiker.
Die Polizisten verwiesen auf Webers Recht, seine Meinung frei zu äussern. Saalfrank erwiderte: «Und mein Recht, meine Meinung zu äussern?»
Saalfrank ging zu Weber hin, begrüsste ihn mit den Worten: «Hey Eric, du Nazi.» Weber ergriff die Flucht, alarmierte die Polizei. Er kannte Saalfrank von einer früheren Flyeraktion, als dieser den Passanten zurief: «Das ist Eric Weber, er ist ein Nazi.» Bis keiner mehr einen Flyer entgegennahm.
Die Polizisten sprachen gegen Saalfrank einen Platzverweis aus und wiesen auf Webers Recht hin, seine Meinung frei zu äussern. Saalfrank erwiderte: «Und mein Recht, meine Meinung zu äussern?»
«Ich verlange von allen Menschen Zivilcourage»
Ein paar Wochen später lag der Strafbefehl im Briefkasten. Ohne je angehört worden zu sein von der Staatsanwaltschaft. Das ärgert ihn. Was ihn schockiert, ist «die ganz grosse Gleichgültigkeit». «Keiner machts Maul auf, wenn einer hetzt, sondern man macht noch ein Selfie mit ihm.» Heute würde niemand mehr Position beziehen, jeder delegiere die Verantwortung weiter. «Wo sind all die Leute, wenn Zivilcourage gefragt ist?», fragt er.
Jürgen Saalfrank sagt: «Ich verlange von allen Menschen Zivilcourage.» Und darum nimmt er vor allen anderen sich selbst in die Pflicht: «Ich bin jeden Tag Antifa.»