Um Flüchtlingen auf dem Balkan zu helfen, tauschte Joel Sames die Kamera gegen den Kochlöffel. Nach einem Boxenstopp in der Region rollt der humanitäre Querdenker nun wieder mit dem Kochbus los.
Wo genau sie diesmal ihr Verpflegungszelt aufbauen, weiss Joel Sames noch nicht. Doch das bedeutet nicht, dass der 40-jährige Mitinitiator des privaten Hilfsprojektes Rastplatz zu wenig Ahnung von Planung hätte. Es ist der pragmatische Umgang von Amateuren mit der Notsituation auf der Fluchtroute.
«Die freiwilligen Helfer vor Ort sind ein anarchistischer Haufen unterschiedlichster Typen. Die einen haben Kleider, andere eine Küche oder nützliches Know-how. Irgendwie entsteht daraus ein organisches Netzwerk, das dank seiner Flexibilität sehr effizient ist.» Das Phänomen interessiert mittlerweile Sozialantropologen, die neben all den anderen auch noch auf dem Feld rumstiefeln.
Die grossen Hilfswerke sind teils zu schwerfällig oder müssen sich mangels Kapazitäten auf ihre langfristigen Projekte in den Herkunftsländern der Flüchtlinge konzentrieren. Staatliche Strukturen stören oder verhindern mit ihren mehr oder minder verkappten politischen Auflagen die Spontanhilfe. Schliesst wieder wo die Grenze, gibt es neue Hotspots, wo schnell Hilfe benötigt wird. «Über soziale Netzwerke und die Refugee Volunteer Map auf Google bekommen wir am schnellsten Info darüber, was wo fehlt.»
«Es braucht noch viel mehr helfende Hände.»
Denn obwohl mittlerweile viele Freiwillige aus allen Ländern Europas vor Ort sind, darunter auch einige Privatinitiativen aus der Region Basel: «Es braucht noch viel mehr helfende Hände.»
Die Hände von Sames und den anderen Rastplatz Helfern wurden bei ihrem ersten Einsatz Ende September gebraucht, um Essen zu kochen, Zelte aufzubauen oder für Versuche, verlorene Kinder wieder ihren Eltern zuzuführen. «Während vier Wochen waren wir ununterbrochen im Einsatz, schliefen anfangs gar hinter dem Kochzelt. Du kommst aus diesem Film nicht mehr raus.»
Dabei wollte das Vierer-Team die Gelegenheit bei ihrem Rastplatz nutzen, parallel zum Kochen mit der Kamera die Gesichter und Geschichten der Menschen auf der Flucht festzuhalten. Denn die zwei Frauen und Männer des ersten Teams sind wie Sames sonst mit Film- und Foto-Projekten beschäftigt.
«Machst du für ein paar Wochen ein soziales Projekt, bist du plötzlich der geile Siech. Das ist unfair gegenüber all den Freiwilligen, die lange Grosses leisten.»
Sames Fotoreportagen haben meist einen sozialen Hintergrund. Seien es die Skateboarder in Afghanistan, HipHopper in Uganda oder verlassene Kinder in Sri Lanka. «Die Kamera ist ein wunderbarer Türöffner, die den Zugang zu fremden Leuten und Welten erleichtert.» Als Schutzschild oder Filter, um das Fotografierte nicht zu nahe an sich heran zulassen, sieht er die Linse dagegen gar nicht. «Du fokussiert ja genau darauf, was du zeigen willst, achtest noch genauer auf Details und hast das Gesehene während der Nachbearbeitung ständig im Kopf.»
Seine Arbeiten sind eindrücklich und wurden schon mit Preisen ausgezeichnet. Sie verfolgten ihn jedoch nicht in den Schlaf. Und es nagt auch nicht an ihm, dass er mit Bildern von Elend sein Geld verdient. «Ich habe schon viel Armut auf der Welt gesehen und kein schlechtes Gewissen, darüber zu berichten. Im Gegenteil: Die Jobs sind meist total unterbezahlt und die Berichterstattung hilft, die nötige Aufmerksamkeit für die Situationen zu bekommen.»
Mehr Mühe hat Sames mit der Aufmerksamkeit, die ihm deswegen selbst zuteil wird. «Machst du für ein paar Wochen ein soziales Projekt, bist du plötzlich der geile Siech, auf den sich die Augen richten. Das ist unfair gegenüber all den Freiwilligen, die lange Grosses leisten, das nicht so spektakulär ist – etwa über Jahre Familienangehörige pflegen. Da hinterfragt man sich: Was ist nun meine Motivation für das nächste Projekt, Aufmerksamkeit für wen?»
Aus dem Bio-Labor nach Bangkok
Bei aller Selbstkritik findet er seine humanistischen Engagements auch hedonistisch: «Eigentlich mache ich nur, was mich interessiert und mir auch Spass macht. Ich bin selbst kinderlos und lebe sehr günstig. So bin ich jederzeit in der Lage, ein spannendes Projekt anzugehen.» Die Empathie hat er wohl vom Vater, einem Pfarrer. Der vermittelte seinen drei Kindern, dass der Mensch, nicht das Materielle im Mittelpunkt stehe. «Allerdings war auch bei uns der Umgang unter den Geschwistern in der Kindheit manchmal jäs.»
Sames bezeichnet sich eh als Spätzünder. Erst lernte er Agrar-Bio-Laborant und tüftelte drei Jahre bei einer Chemiefirma an Pflanzenschutzmitteln. «Ich folgte einfach dem vorgespurten Pfad der Gesellschaft. Als ich mir endlich Gedanken machte, merkte ich, wie die Arbeit meinen Prinzipien zuwider ist.» Er kündigte, machte mit Anfang 20 die Berufsmatur und ging im Anschluss auf Reisen. «Ich buchte Bangkok one-way und kehrte dann über den Landweg zurück. Indien, Pakistan, Iran – dies öffnete mir die Augen für andere Kulturen.»
Wieder daheim intensivierte Sames seine Leidenschaft für Film und Foto, jobbte als Landschaftsgärtner und engagierte sich für diverse Kultur- oder Kunst-Projekte. Anfang 30 startete er dann beim Hyperwerk. «Das war der Katalysator, was ich davor ausprobiert hatte, professionell anzugehen.»
«Ich sehe es als mein Mind Set, als Querdenker alles offen und interessiert angehen zu können.»
Bei seinen Projekten im Ausland konnte er auch den inneren Zwist, «das ständige Hinterfragen, wer ich bin, was ich will und warum tue ich das», beenden. «In anderen Städten wurde ich immer mit ‹he’s an artist› vorgestellt. Bei uns klingt ‹Er ist ein Künstler› sehr elitär. Dabei sagt es alles und lässt zugleich alles offen. Ich sehe es als mein Mind Set, als Querdenker alles offen und interessiert angehen zu können. So kann ich mich gut damit abfinden, nur zu machen, was mir Spass macht, mich fasziniert. Da entsteht auch Sinnvolles.»
Etwa das Projekt Rastplatz. Eigentlich wollte Sames mit seiner Freundin in die Ferien. Dann kam im August die Bilderflut von Menschen auf der Flucht und die zwei mobilisierten Freunde, Material und Geld um zu helfen. Das Team ist mittlerweile auf acht Leute angewachsen, so dass man sich auch abwechseln kann. Sames will sicher bis Weihnachten auf dem Balkan helfen.
Wie oft er das danach noch macht, weiss er selbst nicht. Die Kamera wird voraussichtlich wieder ruhen, obwohl Bilder von Menschen im Schnee das Bewusstsein für das Leid dort wohl wieder wachrütteln würden – und Nachhaltigkeit bei den Projekten von Sames sonst eine grosse Rolle spielt. «Vor Ort geht es um Soforthilfe. Nachhaltig wäre nur, die Konflikte in den Krisengebieten zu beenden. Aber das liegt nicht in unseren Händen.»