Kati Rickenbach zeichnet das wahre Stillleben

Kati Rickenbach zeichnet, was sie erlebt. Als zweifache Mutter hat sie einen Comic über das Stillen herausgebracht, der aufräumt mit den sterilen Klischees über frischgebackene Eltern.

Kati Rickenbach ist Illustratorin und Comiczeichnerin. (Bild: Christian Schnur)

Kati Rickenbach zeichnet, was sie erlebt. Als zweifache Mutter hat sie einen Comic über das Stillen herausgebracht, der aufräumt mit den sterilen Klischees über frischgebackene Eltern.

Zugegeben: In den Kindergärten wird dieser Comic nur schwer mit Revolverhelden wie Lucky Luke oder den Abenteurern Tim und Struppi konkurrieren können. Bei jungen Eltern dagegen könnte «Neuland» durchaus bald zum Klassiker avancieren.

Als der Comic im März 2015 auf den Markt kam, war sein Inhalt für die Autorin Kati Rickenbach selber kein Neuland mehr, sondern gesichertes Terrain. Die Zeichnerin ist bereits zweifache Mutter, in «Neuland» dreht sich alles um das Thema Stillen.

Leseprobe aus «Neuland». (Bild: Kati Rickenbach)

Ungeschönte Realität

Hier wird die postnatale Phase nicht zum Hochglanzerlebnis stilisiert, wie das andere Broschüren gerne tun, sondern der Comic zeigt, was nach der Geburt wirklich ist: Brustschmerzen, üble Träume, schwache Nerven und eine Figur, die den Begriff «Taille» erst wieder für sich entdecken muss. 

Aber auch die schönen Seiten der frischen Mutter- oder Vaterschaft werden dargestellt. Rickenbach legt hier besonderen Wert auf die gleichwertige Darstellung des Partners, der die Mutter natürlich unterstützt. Der Comic-Papa verheddert sich im Wickeltuch und wird von erfreuten Bekannten überrannt. Auf jeden Fall steht er aber der Mutter tatkräftig zur Seite. 

«Neuland» ist ein Auftragswerk der Schweizerischen Stiftung zur Förderung des Stillens. Zu der Zusammenarbeit kam es über die Rubrik «Was macht eigentlich …» im Migros-Magazin, in der sich Rickenbach als frischgebackene Mutter beim Stillen zeichnete.
Die dazugehörige Sprechblase animierte die Stiftung zur Kontaktaufnahme: «Nun, wie man sehen kann, ist das Baby mittlerweile da. Und ich weiss jetzt, wofür Brüste eigentlich gedacht sind …!»
Wie das Neuland Elternschaft  erfolgreich erkundet werden kann, beschreibt ergänzend zum Comic eine Info-Broschüre, die als praktisches Nachschlagewerk alle Fragen zum Thema Stillen beantwortet.

Mit «Neuland» verfolgt Rickenbach ihren Weg, den sie mit «Filmriss» (2007) und «Jetzt kommt später» (2011) erfolgreich begonnen hat: Unmittelbare Lebenserfahrungen werden von ihr zu Bildern und Szenen verarbeitet, die zusammen eine Art autobiografischen Live-Stream ergeben.

Und so verändern sich mit dem Leben der Zeichnerin auch die Inspirationsquellen: Von rätselhaften Knutschflecken am morgen danach («Filmriss») hin zur Brustmassage und Stilltechnik in «Neuland». Allgemeine Themen werden von Rickenbach aus einem persönlichen Blickwinkel erzählt, «für mich ist es wichtig, dass die Bilder authentisch sind», sagt die Zeichnerin.

Exilbaslerin mit Atelier in Zürich

Wie diese Bilder zustande kommen, zeigt ein Blick über ihre Schulter am Arbeitsplatz. Die Exilbaslerin teilt sich in Zürich ein Atelier mit anderen Künstlerinnen und Künstlern, ihre Arbeitsecke ist vollgestopft mit Skizzen, Ausstellungsplakaten und Zeichenutensilien. Bei ihrer Arbeit kann Rickenbach im wahrsten Sinn des Wortes aus dem Vollen schöpfen.

Leseprobe aus «Neuland». (Bild: Kati Rickenbach)

Die Linkshänderin zeichnet stilsicher und detailliert. «Die Rohfassungen habe ich jeweils schnell auf dem Papier», sagt sie. Was genau geschieht, wenn ihre Gedanken Form annehmen, lässt sich anhand ihrer Skizzen nachvollziehen. Rickenbach entwickelt die Story auf dem Papier anhand einer Zeitachse, an die sie die einzelnen Szenen anknüpft.

In weiteren Arbeitsschritten müssen diese Szenen dann aus der Horizontale gelöst und in einzelne Bildfenster eingepasst werden. Dabei gehen manche Details verloren, denn die fertigen Bilder sollen übersichtlich bleiben und dürfen nicht zu überladen daherkommen. «Diesen Schritt hasse ich beinahe», sagt Rickenbach, «reinzeichnen heisst immer auch Abschied nehmen von vielen kleinen Ideen, die mir eigentlich wichtig sind.»

Diese innere Auseinandersetzung mit dem fortwährenden Beschneiden der Fantasie zeigt, wie persönlich ihr Handwerk ist. Angst davor, mit den Geschichten zu viel von sich preiszugeben, hat Rickenbach aber nicht. «Wenn die Arbeit fertig ist, kann ich die Figuren gut loslassen», sagt sie. «Meine Geschichten könnten dann genau so gut irgendwelche Szenen sein, die nichts mit mir zu tun haben.»

Abgeschlossene Projekte lässt sie aber gerne auch einfach ruhen. Nur selten kommt es vor, dass sie «Jetzt kommt später» noch einmal aufschlägt.

Zürich als kontroverses Kunst-Pflaster

Rickenbach lebt mittlerweile seit fünf Jahren in Zürich, hier hat sie ihr Atelier und hier ist sie bestens vernetzt mit der Comic-Szene. Trotzdem reagiert sie mit einigem Wehmut auf den heimischen Basler Dialekt. «Meine dreijährige Tochter sagt bereits Sachen wie Drü, Foif und Goifer, stell dir vor!»

Als sie vor einigen Jahren die mittlerweile verstorbene Zeichnerkoryphäe Mike van Audenhove mit seiner Serie «Züri by Mike» beim «Züritipp vertrat, sprachen ihre Figuren halt Baslerisch. Viele Leser reagierten entsetzt und witterten «Basler Sarkasmus», «dabei waren die Storys wirklich sehr harmlos», erinnert sich Rickenbach, die dafür von anderen Exilbaslern positive Rückmeldungen erhielt. Eine ähnliche Serie in einem Basler Medium könne sie sich durchaus vorstellen.

Ob sie dafür überhaupt Zeit hätte, ist fraglich, denn Rickenbach hat bereits ein nächstes Projekt in der Pipeline. Ihrem Schaffensdrang scheinen keine Grenzen gesetzt, eine Arbeitsblockade hatte sie noch nie, sagt sie und klopft auf Holz.

_
«Neuland» umfasst den 112-seitigen Comic und eine 50-seitige Broschüre zum Thema Stillen. Das Werk kann für 31 Franken hier bestellt werden.

– Eine Leseprobe des Comics gibt es hier.

– Eine Leseprobe der Broschüre gibt es hier.

Nächster Artikel