Michael Kutter: Tüfteln war ihm wichtiger als Erfolg

Der Basler Michael Kutter hat das E-Bike erfunden. Weil ihm das Finden der perfekten Lösung immer mehr bedeutete als der Verkauf, hatte er am Boom der letzten Jahre kaum Anteil. Ende April ist er gestorben.

Michael Kutter, Basler E-Bike Pionier, Fotografiert im Schlotterbeck, Januar 1993 (Bild: Daniel Spehr)

Der Basler Michael Kutter hat das E-Bike erfunden, ganz nach dem Motto: erst tüfteln, dann vermarkten. Ende April ist er gestorben, ohne gross am Erfolg seiner Idee teilzuhaben.

Gestatten, Erfinder. Der Basler Michael Kutter hat diese Bezeichnung wirklich verdient. Also nicht Produktedesigner, sondern Erfinder. Da sind die wilden Haare, die Birkenstocksandalen und die Regenjacke, in der er bei Wind und Wetter mit seinen Velos herumfuhr. Doch das war nur das äussere Erscheinungsbild eines Tüftlers, der getüftelt hat, weil er tüfteln wollte, und dann erst darüber nachdachte, wie sich seine Ideen verkaufen lassen. Deswegen hatte er auch kommerziell keinen grossen Erfolg, obwohl er 1990 das moderne E-Bike erfand.

Das E-Bike hiess damals Pedelec, und der Clou war folgender: Das Pedelec speist nicht bloss Motorkraft in den Antrieb ein, sondern es reagiert über einen Sensor darauf, wie viel Kraft der Fahrer mit seinen Beinen ins Rad pedaliert. Wenn sich der Fahrer anstrengt, kriegt er viel Unterstützung, wenn er am Cruisen ist, zieht sich auch der Motor zurück. So kann man bergauf wie bergab gleichermassen flüssig fahren, ohne gross schalten zu müssen und vor allem: ohne zu schuften.

Vorreiter bauen selber

Weil niemand so etwas auf dem Schirm hatte, musste Kutter alle Teile selber bauen. Er nahm Mountainbikes von Cannondale und schneiderte die zusätzliche Technik nach Mass in den Rahmen hinein. Den Motor, den zusätzlichen Antriebsriemen, den Sensor, auch den Akku klebte er selbst zusammen.

Das war aufwendig und teuer und blieb auch eine Weile so: Kutter war seiner Zeit voraus, die Nachfrage und damit die Teile durch Drittanbieter folgten erst später. Aber als in den Nullerjahren der Boom kam, war er auch nicht recht zur Stelle. Anders Kurt Schär, mit dem Kutter trotz Konkurrenz freundschaftlich verbunden war. Als Schär seinen Flyer baute, der heute auf jeder Strasse zu sehen ist, hat er längst begriffen, dass er die Motoren von einer grossen Elektrofirma beziehen muss – Kutter wollte den perfekten Motor lieber selber bauen. Ausserdem war der Konkurrent kaufmännisch findig und hatte bald einen Deal mit den SBB, durch den er Mietstationen an den Bahnhöfen aufstellen konnte. So hat Flyer den Trend gepflückt.

Ein Unikat als Hinterlassenschaft: «Dauphine», das letzte Velo von Michael Kutter.

Ein Unikat als Hinterlassenschaft: «Dauphine», das letzte Velo von Michael Kutter. (Bild: Michael Kutter)

Doch auch für Michael Kutter ging es aufwärts. «Dolphin» hiess das E-Bike, das er 2000 entwickelte, und es gelang ihm später auch, die Produktion weitgehend nach Fernost auszulagern. Nach Deutschland und sogar in die USA konnte er Lizenzen verkaufen. Die Polizei von Los Angeles fuhr eine Zeit lang auf Kutters Rad. So gross wie erhofft wurde das mit den USA aber nicht. Ein Amerikaner mit E-Bike? Er braucht sein Auto, Punkt.

Keine Tragik

Mit der zweiten Generation «Dolphin Express» lief es seit 2008 immer besser, bis Kutter entdecken musste, dass die Elektronik, die er in Deutschland fertigen liess, nach einigen Monaten den Geist aufgab. Von diesem Schlag erholte sich die Firma nur schwer, und als die Bank 2013 den Betriebskredit kündigte, musste Kutter Bankrott anmelden. Tragisch war sein bescheidener Erfolg nie, denn Michael Kutter wusste, dass er Erfinder ist, aber kein Kaufmann. Durchgekommen ist er trotzdem, der unangepasste Bastler, ohne auf den geliebten Prosecco, Rohschinken und Lachs zu verzichten. Was muss, das muss.

2014 weigerte sich Michael Kutter lange, wegen einer zunehmenden Entzündung am Ohr den Arzt aufzusuchen, obwohl sein Umfeld ihn dazu drängte. Stattdessen entwarf er einen Pfropfen, den er in Asien bauen liess, um sich selbst zu kurieren. Als er schliesslich doch zum Arzt ging, bekam er eine aussichtslose Krebsdiagnose. Kutter starb Ende April im Alter von 56 Jahren.

Noch kurz vor dem Bankrott seiner Firma hatte er ein neues Velo entworfen, ein denkbar schönes Damenmodell mit Namen «Dauphine». Es gibt nur ein Exemplar davon, und wenn man es eines Tages in Basel herumdüsen sieht, dann sitzt vermutlich Michael Kutters Tochter drauf: Die wird es voraussichtlich erben.

Von den Anfängen: Eines der ersten E-Bikes, die Michael Kutter gebaut hat.

Von den Anfängen: Eines der ersten E-Bikes, die Michael Kutter gebaut hat.

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