Noch wird Julian Koechlin auf der Strasse nicht erkannt. Oder wenn, dann wegen eines Musikvideos, das vor ein paar Jahren regional viral ging. Koechlin geht darin gitarrespielend am Rhein entlang, während Rapper Fabe zu einer lokalpatriotischen Hymne auf Basel ansetzt. Manchmal wird er an der Fasnacht von Menschen angesprochen, die mit ihren Händen schrummelnde Bewegungen machen: «He, du bist doch der mit der Gitarre!»
Das könnte sich aber bald ändern, denn der 25-Jährige feiert in diesen Tagen mit seiner ersten grösseren Rolle im Kino Premiere.
«Lass die Alten sterben» ist das Porträt einer wohlstandsverwahrlosten Jugend in der Schweiz. Kevin, der Hauptcharakter, ist wütend, weiss aber nicht genau worauf. So gerne würde er sich an irgendwas reiben, ein grosses politisches Anliegen verfolgen, doch da ist nichts. Nur sein Handy, das Aufmerksamkeit verlangt, und Selfies, die geliked werden wollen.
Koechlin spielt Manu, Kevins besten Freund, der zwar nicht wirklich wütend, aber doch gelangweilt genug ist, um sich auf Kevins Kapriolen einzulassen. Sie zerstören ihre Smartphones, rasieren sich die Haare und gründen eine Kommune. Bier aus Bügelflaschen statt synthetischer Partydrogen, Gitarrenriffs statt Housebeats. Auf Knopfdruck Punk, die Botschaft fehlt noch immer.
Wir treffen Koechlin in einer Bar in Basel. Es ist einer seiner seltenen Besuche zu Hause, seine Schwester hat Geburtstag. Ansonsten versucht er in Bern, Schauspielschule, Drehtage und Castings aneinander vorbei zu organisieren. Aufgewachsen ist er in Riehen, sein Vater Michael Koechlin gestaltete die Basler Kulturpolitik als Kulturchef unter dem ehemaligen Regierungspräsidenten Guy Morin mit.
Kabelträger bei «Marienhof»
Zwei Ereignisse waren es, die Koechlin auf seinem Weg auf Bühne und Leinwand prägten. Mit 16 Jahren durfte er am Filmset der deutschen Endlos-Seifenoper «Marienhof» zwei Wochen lang als Kabelträger arbeiten. Es war seine erste Begegnung mit der Filmwelt. «Ich dachte mir ständig, dass ich am liebsten dort vorne, vor der Kamera stehen würde.»
Erstmals Bühnenluft schnupperte er im Rahmen eines Maturprojektes, als er zusammen mit Freunden ein Album aufnahm. In selbstgenähten Hemden spielten sie eine Plattentaufe in der Aula des Bäumlihofgymnasiums. Nach dem Konzert signierten sie ihre Platte für zwölfjährige Mädchen. «Wir kamen uns damals recht berühmt vor», erinnert sich Koechlin lachend.
Als Schauspieler kann er zwei Welten kombinieren: hier exponiert auf der Bühne oder auf der Leinwand, dort Privatperson, die nicht im Fokus steht. «Spielen bedeutet maximale Ausdrucksfreiheit. Wenn ich auf der Bühne rumschreie, bin das ja nicht ich, sondern meine Rolle.» Im Idealfall gelinge es ihm, die Zuschauer zu berühren, sodass sie das Kino, das Theater verlassen und dabei etwa mitnehmen.
Nächstes Ziel: ein festes Engagement an einer deutschen Theaterbühne.
Inzwischen steht Koechlin kurz vor Abschluss seiner Ausbildung zum Theaterschauspieler. An den sogenannten Intendantenvorsprechen gilt es ernst. Am liebsten würde Koechlin nach Hamburg oder München gehen. «Das wär mein Traum, gleich nach der Schule fix engagiert zu werden und dadurch viel Bühnenerfahrung sammeln zu können.»
Doch es muss nicht unbedingt Deutschland sein. Auch ein Engagement am Schauspielhaus Basel wäre reizvoll, sagt Koechlin. In Sachen Film hingegen sei Basel noch kaum auf seinem Radar. «Ich habe hier zwar für meinen allerersten Kinofilm («20 Regeln für Sylvie» von Giacun Caduff) gedreht, doch ansonsten ist eher Zürich die Filmhauptstadt der Schweiz.» Das zeige sich etwa daran, dass die meisten Schweizer Castings dort stattfinden.
Hauptrolle in neuer SRF-Serie «Wilder»
Das Filmding hat sich Koechlin neben der Schauspielschule selbst aufgebaut. Er verlangt sich selbst viel ab. Am Ende eines langen Probetages in der Küche zu Hause noch ein Videocasting filmen, danach zu einem Vorsprechen in Berlin jetten, nur um dann pünktlich wieder im Theater zur Probe anzutreten.
«Ich denke mir jedes Mal: ‹Für dieses Videocasting beschränkst du dich jetzt aufs Minimum.› Doch es endet immer gleich. Ich gebe alles, filme und schneide bis tief in die Nacht. In mir brennt einfach ein Feuer, die Hoffnung auf die ganz grosse Rolle.»
Dieser grossen Rolle dürfte Koechlin mit einem anderen Projekt einen guten Schritt näher gekommen sein. In der neuen SRF-Krimiserie «Wilder», die am 7. November anläuft, spielt er eine tragende Rolle. «Ich komme in allen sechs Folgen der ersten Staffel vor.» So konnte er seiner Figur in «Wilder» eine gewisse Tiefe und psychologische Entwicklung verleihen.
In «Lass die Alten sterben» hingegen ist Koechlin in erster Linie ein lustiger Sidekick der Hauptfigur Kevin. Seine Rolle sei nahe an seiner eigenen Person, darum sei es ihm recht leicht gefallen, diesen Charakter glaubhaft darzustellen. Gelernt habe er dennoch viel. «Die Dialoge sind alle improvisiert, der Regisseur gab uns lediglich eine Haltung vor. An dieser Erfahrung konnte ich wachsen und Sicherheit gewinnen», sagt Koechlin.
Auf dem Weg zur grossen Rolle sammelt Koechlin weiter Film- und Bühnenerfahrung. In «Lass die Alten sterben» etwa hat er seine erste Nacktszene. «Da war ich schon ein wenig nervös.»
Auch die eine oder andere Lektion in Sachen Prominenz durfte Koechlin bereits mitnehmen. «Bei einem Dreh wurde ich von zwei jungen Frauen mit Schirm im Hotel abgeholt. Das war mir zuerst unangenehm, ich bot an, den Schirm selbst zu tragen. Irgendwann realisierte ich: Die machen das nicht aus Nettigkeit. Es ist einfach ihr Job, dafür zu sorgen, dass meine Haare und mein Kostüm keinen Schaden nehmen.»
«Lasst die Alten sterben», ab 19. Oktober im Kultkino Basel