Hinter Giacun Caduffs Erfolg steckt knallharte Disziplin: Soeben kämpfte sich der Nachwuchsfilmer beim 46. Engadiner Skimarathon tapfer durch den Neuschnee, um Geld für sein erstes, grosses Spielfilmprojekt zu sammeln. Ob der ambitionierte Regisseur damit bald den Schweizer Durchbruch schafft?
Giacun Caduff mag in seinem nonchalant zerknautschten Zwirnjackett, mit seinem federnden Gang, seinem millimetergenau gestutzten Schnauzer und dem so breiten wie makellosen Lächeln auf den ersten Blick ein wenig wirken, als wäre er der Charlie Chaplin der Zahnpasta-Werbung.
Doch Giacun Caduff ist weder Fantasiefigur noch Fantast oder Exzentriker und schon gar kein Blender. Im Gegenteil: Der Mann mit Hirn, Charme und Melone ist schlicht ein Getriebener, für Schweizer Verhältnisse allerdings mit fast gespenstisch anmutender Präzision. Einer, der mit jeder Zelle seines Körpers rettungslos jenem Stoff verfallen ist, aus dem er seine Träume spinnt: dem Zelluloid. Die Leidenschaft fürs bewegte Bild spielt in seinem Leben eine derart dominierende Rolle, dass man eigentlich gar nicht auf die Idee kommt, zu fragen, ob es da zuvor mal eine andere Option gegeben habe.
So zum Beispiel, wenn er in einer einzigen, weit ausholenden Geste seine Jugend zweiteilt: in die Zeit, da er noch darauf wartete, endlich sein erstes Filmprojekt verwirklichen zu können, und jene, mit deren Beginn sich dieser Traum dank seiner Maturarbeit zunehmend in die Realität verwandelte. Für seinen Schulabschluss entwarf der Gempner mit Bündner Wurzeln eine Art Schweizer «James Bond»-Variation und mobilisierte für die Dreharbeiten bereits das halbe Dorf – auch wenn er heute zugibt, er sei irgendwo froh, «dass damals noch kein Youtube meine filmischen Anfängerfehler für die Ewigkeit zementierte».
Sicheres Gespür fürs die Grenzen des Möglichen
Trotz jugendlichem Alter, fehlendem Kleingeld und der mangelnden Erfahrung bewies Caduff damals allerdings bereits ein ausgeprägt sicheres Gespür für den schmalen Grat des Möglichen – und schaffte bei seinem Debüt etwas, das sogar gestandenen Profis nicht oft gelingt: nämlich für alle von ihm aufwendig in Eigenregie gescouteten Filmlocations eine Drehgenehmigung zu erhalten.
Seither mögen Giacuns Skills als Macher, Netzwerker und Überredungskünstler nochmals exponentiell gewachsen sein, an seiner sehr unmittelbaren, aber dennoch detailliert durchdachten Herangehensweise an den Dreh hat sich dagegen kaum etwas geändert. So gab er etwa den Solothurner Behörden unlängst zu Protokoll, er gedenke für sein neustes Filmprojekt die Gempenstrasse für Dreharbeiten sperren zu lassen. «Soso», meinte der Gemeindevertreter am anderen Hörer lapidar – dies sei zwar ziemlich kompliziert, aber scheinbar dennoch nicht ganz unmöglich, denn vor 15 Jahren habe dies schon mal einer geschafft. «Ich weiss», antwortete Giacun: «Das war ich.»
Bereits damals, mit 20, sei ihm klar gewesen, dass für ihn nur eine einzige Berufung in Frage komme: die Filmbranche. Kurz nach Ende der Schulzeit wagte der heute 34-jährige Caduff drum den Sprung über den grossen Teich, ins Land der filmisch unbegrenzten Möglichkeiten: Zuerst ins pulsierende Schauspielmekka New York, dann mitten ins kalte Wasser des Haifischbeckens Hollywood. Hier, unter der Sonne Kaliforniens, drückte er am Santa Monica College zunächst zähneknirschend nochmals die Schulbank, um daraufhin in Long Beach den Bachelor in Filmwissenschaft zu absolvieren.
Verkäufer im Lift nach oben
Fünf Jahre später flatterte sie dann tatsächlich bei Caduff rein, die langersehnte Zulassung an die prestigeträchtige UCLA, wo er endlich mit seinem angestrebten, von langer Hand aufgegleisten Ausbildungsgang beginnen durfte: dem Master in «Creative Producing», als Student und Zögling weltberühmter Hollywood-Grössen wie Produzent Peter Guber («Rain Man», «Gorillas im Nebel»), die sich hier als Gastdozenten die Klinke in die Hand gaben. In den Semesterferien jobbte er als Praktikant für John Malkovich und als Assistent für den gefeierten Filmemacher Christopher Nolan und dessen Blockbuster «The Prestige».
Doch wie schaffte es der ambitionierte Nachwuchsfilmer überhaupt, derart begehrte Jobs zu ergattern? «Zu Beginn musste ich ziemlich untendurch», gibt Caduff zu: «Ich kannte niemanden, hatte einen starken Schweizer Akzent und war sprachlich bei Weitem nicht schlagfertig und schnell genug, um mithalten zu können. Meine Profs nahmen mich anfangs daher auch hart ran.» Doch Giacun biss die Zähne zusammen, arbeitete an seinem Wortschatz, seiner Aussprache und dem Pokerface. Heutzutage spricht der Globetrotter nicht nur akzentfrei Amerikanisch, sondern auch Italienisch, Französisch und Japanisch.
«Wenn ich in den Staaten eins gelernt habe, dann ist es zu pitchen», bilanziert er heute seine US-Lehrjahre und meint damit seine antrainierte Fähigkeit, die eigenen Konzepte blitzschnell als «Elevator Pitch», also binnen der maximalen Dauer einer Liftfahrt im Wolkenkratzer, überzeugend an einen neuen potenziellen Investor zu bringen. Welch unschätzbaren Wert dieses erstaunlich unaufgesetzt wirkende, lockere Verkäufertalent für den umtriebigen Filmfreak hat, zeigt heutzutage sein imposantes Basler Portfolio: Neben dem von ihm ins Leben gerufenen Erfolgsprojekt Gässli Film Festival, wo jährlich Jungfilmer auf Stargäste treffen und eine illustre Jury den besten regionalen Kurzfilm kürt, organisiert er mittlerweile etwa auch das letzte regionale Autokino oder die Reihe «box[ur]shorts».
Casting-Coups und Cameos
Die Ausschreibung fürs Gässli-Festival 2013 läuft zurzeit gerade an, bei den anderen Engagements muss er heuer allerdings zum ersten Mal etwas kürzertreten. Denn nach dem Überraschungserfolg seines Regie-Erstlings «Étienne!» (2010) steht Caduff gerade jetzt kurz vor der Erfüllung seines grossen Traums. Von Anfang April bis Ende Mai dreht er in Basel nämlich «20 Regeln für Sylvie», eine klassische Low-Budget-Komödie über einen konservativen Vater vom Land, der seiner flügge gewordenen Tochter zu Studienbeginn heimlich nachreist, um sicherzustellen, dass sie ein lasterfreies Leben führt – plötzlich jedoch Gefallen am ausschweifenden Studentenleben findet.
Hauptdarsteller des Coming-of-Age-Streifens soll ein veritabler Star sein, den Namen darf er aber noch nicht verraten. In den Nebenrollen unter anderen: Bettina Dieterle, Skelt! und Caduffs Tante Rinalda («Café Bâle»). Die Freude über seinen Casting-Coup ist dem Regisseur anzusehen, und nicht ohne Stolz rattert er dazu eine schier endlose Liste geplanter prominenter Cameo-Auftritte herunter, bevor er – ganz Profi – wieder in die Produzentenrolle wechselt: «Es wird legendär, aber Zeit bleibt keine. Wir haben zwar bereits einen Verleih, doch noch sind wir nicht völlig gedeckt. Das finanzielle Risiko wird mir sicher noch schlaflose Nächte bereiten.»
Zumindest einen weiteren Coup hat Caduff allerdings schon wieder gelandet: Soeben traf die letzte Genehmigung für den Dreh ein. Damit hat Caduff wiederum für jeden von ihm selber ausgesuchten Ort eine Bewilligung erhalten – mitsamt Helikopterrundflug für Panorama-Aufnahmen und inklusive der ansonsten der Stadtverwaltung so heiligen Innenstadt ums Rheinufer.
Freizeit gabs zu Neujahr
Ein ganzes Jahr Vorarbeit hat Caduff dafür investiert, bevor die Behörden ihm grünes Licht gaben – in L. A. würde dasselbe Prozedere maximal zwei bis drei Tage dauern. Trotzdem: «Der Goodwill hier ist unglaublich. Ich schätze diese familiäre Atmosphäre sehr.» Und, wird «Sylvie» Giacun zum Durchbruch verhelfen? «Die nötige Vision habe ich schon – jetzt muss ich nur noch herausfinden, ob auch mein Regietalent dafür wirklich ausreicht», antwortet er, nur halb im Scherz.
Hat da ein Leben jenseits vom Film überhaupt Platz? Caduff muss in seinem übervollen Terminplaner weit zurückscrollen, bevor er so etwas wie «Freizeit» entdeckt. Schliesslich zeigt er beinahe triumphierend einen Eintrag vom ersten Januarwochenende. «Sonntag, 18–21 Uhr: Fotos sortieren und einkleben», steht da. «Das entspannt mich», meint er. «Aber meist entspanne ich bei der Arbeit.»
Und Ferien? Giacun überlegt. «Ich glaube, im Jahr 2000 war ich mit meiner Ex-Freundin eine Woche auf Teneriffa.» Sein weiss blitzendes Zahnpastalächeln wirkt nun beinahe schelmisch. «Ich bin schon ein etwas durchgeknallter ‹Siech›, gell?», grinst er. «Aber jetzt gehts ja bald in die Berge. Fast wie Skiferien.»
Ein Marathon vor Drehbeginn
Fast: Denn am Sonntag in aller Herrgottsfrühe startete Caduff an der Seite seines Vaters beim 46. Engadiner Skimarathon. Rund 60 Sponsoren unterstützten ihn mit einer Fundraising-Pauschale pro absolviertem Kilometer, jeder Rappen davon wird in seinen Spielfilm fliessen.
Die Strecke zum Ziel: läppische 42,2 Kilometer durch frischen Bündner Pulverschnee. Dass er durchhalten würde, bezweifelte Caduff vorab trotzdem nicht: «Ich habe eine gute Ausdauer.»
Und tatsächlich: Kurz nach Mittag ereilt seine Supporter bereits die frohe Botschaft via SMS-Service. «3:27.38,8 – heck yeah!!!», verkündet ein erschöpfter, aber glücklicher Caduff nur wenige Minuten später sein exaktes Resultat gleich höchstpersönlich auf Facebook: «Ziel erreicht!» Es dürfte nicht das letzte Mal sein, dass der rasant bergauf fahrende «Marathon Man» dank seines ungeheuer langen Atems dieses Fazit ziehen wird.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 08.03.13