Pirat ohne Plan und Beute

Kilian Brogli, der Vizepräsident der Piratenpartei Schweiz und Basel, kämpft gegen staatliche Überwachung. Die Partei kann jedoch nicht Fuss fassen. Woran liegt das?

Kilian Brogli ist Vizepräsident der Piratenpartei Schweiz und Vizepräsident der Sektion Basel und Baselland.

(Bild: Jonas Grieder)

Kilian Brogli, der Vizepräsident der Piratenpartei Schweiz und Basel, kämpft gegen staatliche Überwachung. Die Partei kann jedoch nicht Fuss fassen. Woran liegt das?

Ein Pirat schleicht über den Barfüsserplatz. Seine Waffen: Stift und Klappbogen. Seine Mission: Unterschriften sammeln gegen das neue Überwachungsgesetz (Büpf). Kilian Brogli, Vizepräsident der Piratenpartei Schweiz und Basel, spricht vier junge Frauen an. «Es geht darum, dass die Behörden immer mehr Daten über uns sammeln.» Mehr muss er nicht sagen, schon unterschreiben die etwa 20-Jährigen, die auf der Barfi-Treppe sitzen. Von der Piratenpartei haben sie noch nie gehört. Aber wählen würden sie die Partei auf jeden Fall, sagen sie.

Brogli und seine Piraten müssen etwas falsch machen. Die Digitalisierung schreitet voran, ihr Kernthema Überwachung ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Aber keiner wählt die Piraten. In Deutschland zog die Partei in vier Landesparlamente ein, in Berlin erreichte sie 2011 gar neun Prozent Wähleranteile. In der Schweiz dümpeln die Piraten bei einem Prozent Wählerstimmen herum. In Basel-Stadt erzielte die Partei bei den Nationalratswahlen 2011 das beste Ergebnis: 1,9 Prozent. 2015 kriegten die Piraten in beiden Basel aber keine Nationalratsliste zustande – aus Personalmangel. 

Brogli übt Selbstkritik: «Wir sind eigentlich die, die Fragen stellen und keine vorgefertigten Antworten geben. Aber unsere Fragen kommen bei den Leuten nicht an.» Die Piraten müssten frecher und provokanter sein, meint der 39-Jährige. «Wir mobilisieren einfach zu wenig.»

Aktuelles Beispiel: das «Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs» (Büpf). Die Piraten warnten vor dem Gesetz, als die anderen Parlamentarier noch nicht mal verstanden, worum es überhaupt ging. Das war 2013. Die Warnrufe der Piraten hörte aber niemand. Sie konnten aus dem Thema kein politisches Kapital schlagen. Heute wird das Büpf von einem überparteilichen Komitee bekämpft – angeführt von einem SVPler.

Überwachung ist kein Piratenthema mehr. Es ist nun ein Thema, das SP, Grüne und einige bürgerliche Politiker beackern. Brogli findet das nicht schlimm: «Es geht nicht darum, dass die Piraten alleine ein Referendum gegen das Büpf zustande bringen. Hauptsache ist, dass das Thema aufgegriffen wird.»

Eine Partei, die cool ist

Ein weiteres Beispiel verschenkter Themen: das bedingungslose Grundeinkommen. Der Abstimmungskampf läuft, am 5. Juni stimmen die Bürgerinnen und Bürger über das Sozialexperiment ab, über das nationale und internationale Medien breit berichten. Die Piraten unterstützen das Grundeinkommen. Es passt perfekt zum Piratenslogan «humanistisch, liberal, progressiv». Im Abstimmungskampf spielen sie jedoch keine Rolle.

Woran liegt es, dass die Piratenpartei in der Schweiz kaum jemand wahrnimmt?

Als 2006 in Schweden eine neue Partei entstand, weil der Staat die Download-Plattform «Pirate Bay» verbieten wollte, jauchzten die jungen Wählerinnen und Wähler: Endlich eine Partei, die cool ist, die unsere Themen aufgreift, eine die nicht so tut, als hätte sie auf alles eine einfache Antwort. Aus der Partei entstand ein medialer Hype. Plötzlich gab es Politiker, die in Latzhose im Parlament erschienen, die kein fertiges Parteiprogramm hatten, die die Sprache der Jungen sprachen.

Auch SVP und Grüne als Ein-Themen-Partei angefangen

Brogli, der damals als Fernmelde-Kaufmann arbeitete, wurde von der Euphorie angesteckt. «Netzpolitik kam in den Fokus der Politik. Das fand ich enorm wichtig.»

2009 wurde ein Ableger der Piratenpartei in der Schweiz gegründet. Brogli war damals Sympathisant. 2013 trat er der Partei bei und machte aktiv Politik. 2015 kandidierte er für den Gemeinderat in seinem Wohnort Eiken im Fricktal. Die Leute sagten zu ihm: «Kilian, du wärst uns sympathisch. Aber wer sind diese Piraten?» Brogli scheiterte am Etikett seiner eigenen Partei.

Die schweizweiten Erfolge der Partei sind überschaubar: in Winterthur sitzt ein Pirat im Gemeinderat, in Zug eine Piratin im Kantonsrat. Brogli sagt, momentan sei die Partei ein «Nischenplayer». Aber auch die SVP und die Grünen hätten als kleine Ein-Themen-Parteien angefangen. Die einen mit dem Thema Bauern, die anderen als Anti-AKW-Partei. 




Kilian Brogli im Kampf gegen das Büpf. (Bild: Jonas Grieder)

Bis die Piraten in die Nähe dieser Parteien kommen, ist es ein weiter Weg. Die Partei kann kaum Akzente setzen, sie sorgte seit ihrer Gründung im Gegensatz zu ihren europäischen Kollegen kaum für Aufsehen, geschweige den für Schlagzeilen. Frech, aufmüpfig und gegen das Establishment – so wird eher die SVP wahrgenommen als die Piraten.

Mit einer Ausnahme. «Unser grösster Erfolg war der Kampf gegen das Aargauische Tanzverbot an christlichen Feiertagen», sagt Brogli. Die kantonale Initiative wurde im letzten Februar zwar abgelehnt, aber die Piraten erhielten eine Rolle auf der Politbühne. Ihre Initiative wurde breit diskutiert, erhielt Aufmkerksamkeit und die Partei  konnte zeigen, wofür sie steht: gegen den Konservatismus, gegen Regeln, die aus dem vorletzten Jahrhundert stammten. Eine ähnliche Debatte konnte die Partei seither nicht lancieren. Für Brogli ist es heute ein Erfolg, wenn Viktor Giacobbo sich über die Piraten lustig macht.

Grosse Beute, wenig Ertrag

Brogli lacht und geht auf die nächste Gruppe zu, die auf der Barfi-Treppe sitzt. Auch bei dieser Gruppe braucht er für vier Unterschriften wenig Überzeugungsarbeit. Ein Passant kommt dazu und will wissen, wo er unterzeichnen könne. Brogli händigt ihm einen Bogen aus. «Ich staune selbst, wie gut es läuft», flüstert er.

Brogli macht an diesem Frühlingsabend grosse Beute. In eineinhalb Stunden hat er 60 Unterschriften gegen das Büpf zusammen. Bleiben wird seinen Piraten wenig. Er muss die Beute mit den anderen Überwachungsgegnern teilen. Jenen, die politisches Kapital daraus schlagen können.

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