Wer nach Dharamsala reist, strebt meist nach spirituellen Zielen. Die nordindische Stadt am Fuss des Himalaya-Gebirges ist bekannt als Exil von Tibets buddhistischem Oberhaupt, Friedensnobel-Preisträger Dalai Lama.
Doch als Steffi Giaracuni vor 14 Jahren das erste Mal hier war, wollte sie nicht in sich gehen, sondern zu Fuss und mit Rucksack die Welt entdecken. Die heute 42-Jährige erinnert sich: «Die Trekking-Tage durch die schneebedeckten Täler mit Blick auf den Mount Everest waren wunderschön, doch lag wenig Esoterik in der Luft.»
Knoblauch und Kohl prägten die stickigen Nachtlager wohl eher: «Das war alles an Proviant. Nur in den von Soldaten betreuten Hütten gab es zwischendurch Reis und Dahl.»
Lehm, Bambus, Flusssteine
Dennoch blieb vom Trip mehr als Luft hängen. Giaracuni stiess in einem nahe gelegenen Dorf auf ein Spital, dessen klar auf Abläufe und Strukturen ausgerichtete Formen und die Ästhetik des Designs selbst sie an die vertraute Bauhaus-Architektur Weimars erinnerten: «Doch waren die Häuser aus Lehm, Bambus und Flusssteinen gebaut», so Giaracuni.
Das Zusammentreffen des architektonischen «Form folgt Funktion»-Prinzips mit ökologischen Materialien aus der Umgebung bestätigte ihr Gefühl, in Nordindien eine zweite Heimat gefunden zu haben. Als sie dann auch noch Didi Contractor – die Architektin der Bauten – kennenlernte, fand sie das, was man bei einer pragmatisch veranlagten Filmemacherin durchaus als spirituelle Erleuchtung bezeichnen kann: die Inspiration für ihre erste Langspiel-Dokumentation.
«Diese Geschichte und das Wirken dieser Frau mussten einfach erzählt werden», schwärmt Giaracuni noch heute und sprudelt los. Heute stehen in der Gegend über 35 ihrer Lehmhäuser. Dabei begann die heute 89-Jährige ihre Karriere in einem Alter, in dem andere hierzulande in Pension gehen.
Ein bewegtes Leben
Schon bevor Contractor ihren Lebenstraum verwirklichte, führte die Tochter einer Amerikanerin und eines Deutschen ein bewegtes Leben: Krieg, Exil und die Liebe zu einem indischen Ingenieur führten die vierfache Mutter in den 50er-Jahren über Umwege auf den Subkontinent nach Bombay, später in das Bergdorf Dharamsala.
Hier beschäftigte sie sich mit Innenraumeinrichtungen und Design, bevor sie ihre Architekturideen verwirklichen konnte: für eine Frau kein einfaches Unterfangen in der indischen Macho-Kultur. Doch Contractor weiss sich, wenn nötig, durchzusetzen.
Die Regisseurin drohte ihrer Hauptdarstellerin: «Ohne dich lassen wir es einfach.»
Was für die Dreharbeiten nicht immer einfach war, da Contractor auch als Szenengestalterin für Filme gearbeitet hatte und Robert J. Flaherty, den Vater des amerikanischen Dokumentarfilmes («Nanook of the North»), schon als junges Mädchen getroffen hatte.
«Darum rief sie schon mal selber: Cut!», erinnert sich Giaracuni an die Dreharbeiten.
Man erahnt die schroffe Seite nicht, wenn man Contractor im Film offenherzig und voll Enthusiasmus erlebt. Studenten aus aller Welt wollen von ihrer Weisheit lernen, ihr Geist beseelt Kunden wie Bauarbeiter.
Dabei wollte Contractor zu Beginn gar nicht Teil der Doku sein. Schliesslich stecke so viel von ihr und ihren Überlegungen in den Lehmmauern, dass die Gebäude für sich selbst sprächen. Da drohte die Regisseurin: «Ohne dich lassen wir es einfach.» Und Contractor willigte ein.
Als die Mauer fiel
Es war nicht die erste Erfahrung Giaracunis mit älteren Menschen, die trotz oder gerade wegen ihrer störrischen Art etwas erreicht und zu erzählen haben. Schon ihre erste Kino-Kurzdoku handelte von zwei Brüdern über 80, die in skurriler Symbiose leben. «Anscheinend mag ich starke Charaktere und gelebte Geschichten mit Wendungen», sagt Giaracuni.
Man kann durchaus Parallelen zu ihrem persönlichen Werdegang ziehen. Giaracuni wuchs im erzkatholischen Heiligenstadt auf, bevor sie mit ihrer Mutter in die sozialistische Vorzeige-Stadt Weimar zog. Giaracuni: «Und als ich 14 Jahre alt war und die Mauer fiel, erschloss sich die ganze Welt, die seither bereist werden will.»
Die Leidenschaft für den Film zündete der bekannte DDR-Regisseur Günter Reisch an der Bauhaus-Universität Weimar. In Bozen lernte sie während der Weiterbildung zur Kamerafrau den Vater ihrer beiden Kinder kennen.
Was Giaracuni an Basel gefällt, sind die Grenzen zu Frankreich und Deutschland.
Nach weiteren Stationen, unter anderem in Delhi, lebt sie heute in Basel. Die Stadt gefällt ihr. Nicht etwa, weil in der Region traditionelle Fachwerkhäuser auch ohne gebrannte Ziegel seit Jahrhunderten Wind und Wetter trotzen und es in Seewen eine IG Lehm gibt, die sich für die zeitgemässe Verwendung des ökologisch nachhaltigen Baustoffes engagiert: «Bei uns kann man nicht wie in Indien hundert Hände damit beschäftigen. Das verteuert den eigentlich billigen, doch ökologisch äusserst wertvollen Baustoff enorm.»
Was Giaracuni hier besonders gefällt, sind die Grenzen zu Frankreich und Deutschland, «die so alltäglich überschritten werden, dass sie kaum mehr ein Hindernis bilden und Mentalität wie Blickwinkel der Menschen eher öffnen».
Längst hat Giaracuni auch in der Filmszene ein Netzwerk geknüpft. Nebst ihren eigenen Projekten arbeitet die Allrounderin auch für andere Regisseure und macht Schnitt oder Kamera. Vor Kurzem hat sie zudem eine Teilzeitstelle beim Stadtkino angetreten.
Von den Festivals ins Stadtkino
Dass ihr Doku-Debüt «Didi Contractor – Leben im Lehmhaus» jetzt in eben diesem Stadtkino gezeigt wird, freut sie darum um so mehr. «Erst selektionierten und zeigten ja viele internationale Festivals den Film, bevor er vom Haus ausgewählt wurde.»
Ist die Indien-Geschichte mit dem Film nun abgeschlossen? Giaracuni verneint: «Ich will das Land noch meinen Kindern zeigen.» Und ergänzt mit ihrer Leidenschaft für Dokfilme und Reisen: «Und wenn die mal ausgeflogen sind: Mal sehen, wohin es mich dann zieht.»
Premiere: «Didi Contractor – Leben im Lehmhaus» mit anschliessendem Gespräch, Donnerstag, 14. Dezember, 18.30 Uhr, Stadtkino Basel. Weitere Termine und Infos zum Film gibt es hier.