Urban Grossholz startete seine berufliche Laufbahn auf der Schiffsstrecke Basel–Rotterdam. Nach 12 Jahren wechselte er zu einer Versicherung. 20 Jahre verbrachte er an Land – bis es ihn wieder auf den Rhein lockte.
Wenn Urban Grossholz seine Hände ans Steuer legt und die MS Christoph Merian über den Rhein steuert, kommen auf seinen Unterarmen Tätowierungen zum Vorschein. Man vermutet einen abgehärteten Seebären, der mit wenig Worten und eisernem Willen durch die wilden Gewässer dieser Welt segelt.
Aber nichts da. Wortkarg ist der Schiffsführer keineswegs und die Tätowierungen hat er als 17-jähriger Schiffsjunge gemacht: «Ich dachte, das gehört dazu. Jetzt würde ich sie nicht mehr unbedingt machen.»
Die Kursfahrt beginnt am Dreiländereck – wir steigen an der Schifflände zu. (Bild: Alexander Preobrajenski)
Wir begleiten Grossholz auf einer Kursfahrt von Basel nach Rheinfelden. Viele Kinder wollen sich den Schiffsführer aus der Nähe anschauen. Freundlich begrüsst er die Passagiere, lädt Neugierige herzlich zu sich ins Steuerhaus ein und lässt Kinder die Schiffsglocke läuten, die «Seele des Schiffs», wie er sie nennt.
«Können Sie mal hupen?», fragen einige der jungen Gäste. «Klar», sagt Grossholz, auch wenn er das nicht «hupen» nennen würde, «aber zuerst müsst ihr schauen, dass keine Kleinkinder in der Nähe sind, für die ist das zu laut.» Dann lässt er das Schiffshorn erklingen.
Ziemlich laut: «Die Seele des Schiffs». (Bild: Alexander Preobrajenski)
Grossholz geniesst den Kontakt zu seinen Passagieren. Doch bis er auf die MS Christoph Merian kam, hat der heute 54-Jährige an ganz anderen Stationen Halt gemacht.
Grossholz’ Werdegang startete wie ein Kapitänsleben aus dem Bilderbuch. Nach der Schule begann er eine Lehre auf einem Frachtschiff der Schweizerischen Reederei und Neptun AG auf dem Rhein. Mit 23 Jahren machte er das Patent zum Schiffsführer. «Ich führte ein Zigeunerleben», erzählt Grossholz. «Auf den Transportschiffen, die zwischen Basel und Rotterdam kursierten, hatte ich eine kleine Wohnung und war jeweils zwei Monate am Stück unterwegs.»
Viele Neugierige begeben sich ins Steuerhaus – Urban Grossholz gibt gerne Auskunft. (Bild: Alexander Preobrajenski)
18 Jahre an Land
Nach zwölf Jahren kam das Zigeunerleben zu einem Ende – auf dem Rhein begann es zu kriseln. Die deutsche und holländische Konkurrenz konnte günstigere Transporte durchführen und die Schweizerische Reederei war gezwungen, Schiffe zu verkaufen. «Die Zukunft als Schiffsführer wurde unsicher und zu einer holländischen oder deutschen Firma wollte ich nicht. Der Lohn wäre dort für einen schweizerischen Lebensstandard zu tief gewesen.»
So beschloss Grossholz, an Land zu gehen – ein rationaler Entscheid: «Es war eine schöne Zeit auf dem Frachtschiff, doch zu dem Zeitpunkt hatte ich es gesehen und es war mir zu unsicher.» Nach einem kurzen Zwischenhalt als technischer Lagerist in einem Tanklager für Schiffe, machte seine Karriere eine 180-Grad-Wende: Grossholz stieg quer ins Versicherungswesen ein.
Parallel holte er das KV nach und wollte anschliessend den Verkaufsleiter machen. Da er aber nebenbei immer arbeitete, wuchs ihm die Ausbildung über den Kopf. «Das war sehr viel Neues für mich und mit der Arbeit im Aussendienst wurde mir das zu viel.» Er brach die Ausbildung ab und arbeitete nur noch für die Versicherung. Durchaus mit Erfolg.
Kein verschrobener, wortkarger Seebär: Urban Grossholz. (Bild: Alexander Preobrajenski)
Zurück aufs Wasser
Doch an seiner neuen Stelle fühlte sich Grossholz unter Druck gesetzt. Unmenschliche Sachen seien von ihm verlangt worden, wie dass er den Kunden etwas vorlügen und falsche Behauptungen aufstellen sollte. «Ich bin ein ehrlicher Mensch, und das ging mir zu weit. Nach 18 Jahren in der Versicherung fragte mich der Chef, ob ich überhaupt richtig sei in diesem Job.»
Grossholz musste nicht lange überlegen: Der Rhein rief wieder! Mit dem Schiffsführer-Patent in der Tasche hatte Grossholz gute Chancen, wieder eine Stelle auf einem Schiff zu erhalten, denn es herrschte eine Knappheit an Schiffsführern.
In der Tat, die Jobsuche dauerte nicht lange: «Als ich mich bei der Basler Personenschifffahrt vorstellte, haben sie mir gleich einen Job angeboten, den ich dankend annahm.» Die Stelle auf einem Personenschiff kam Grossholz entgegen, denn dieses Mal wollte er in der heimischen Umgebung bleiben – die Strecke bis nach Rotterdam kam nicht mehr infrage.
Kein schlechter Arbeitsplatz: die MS Christoph Merian auf dem Rhein. (Bild: Alexander Preobrajenski)
Arbeiten, wo andere Freizeit geniessen
Von den rauen Frachtschiffen zu einem Personenschiff mit Kaffee trinkenden und Glace essenden Touristen – wird es da nicht ein bisschen langweilig?
«Im Gegenteil», sagt Grossholz und blickt stolz über seinen Arbeitsplatz, den Rhein. «Das Handwerkliche und Technische ist mir zwar sehr wichtig, aber was mir am Besten gefällt, ist der Umgang mit Menschen. Ich habe das Glück, an einem Ort zu arbeiten, wo die meisten ihre Freizeit geniessen. Wenn ich zufriedene Menschen sehe, dann macht mich das glücklich. Die meisten Passagiere sind sehr ruhig und entspannt.»
Natürlich gehören auch mühsame Gäste zum Alltag. «Einmal ist eine Dame an Bord gekommen, die musste ganz dringend auf den Flughafen und fühlte sich gestresst, weil das Schiff anscheinend zu spät dran war.» Grossholz schüttelt den Kopf: «Man geht ja auch nicht mit dem Schiff an den Flughafen.»
Auf der MS Christoph Merian herrscht Entschleunigung – dementsprechend entspannt ist deren Schiffsführer. «So etwas gibt es halt, solche Leute kann man schon irgendwie wieder zufriedenstellen.»
Und was sehen die Touristen? «Zuerst sehen sie natürlich das Münster und die Innenstadt. Aber das Besondere an dieser Fahrt sind die beiden Schleusen. Das kennen auch viele Schweizer nicht.»
Touristische Informationen gibt es auf dem Schiff grundsätzlich keine. Nur zu der zweiten Schleuse bei Augst wird über die Funksprechanlage etwas berichtet. Für die richtige Sightseeing-Tour gebe es ja die Stadthafenrundfahrt, sagt Grossholz.
«Die Schleuse ist auch für viele Schweizer etwas Besonderes.» (Bild: Alexander Preobrajenski)
Die Soft-Version des Schiffsführer-Lebens
Gibt es trotz erfüllter Arbeitstätigkeit Zeiten, in denen das wilde Zigeunerleben wieder lockt? «Ich habe die Zeit auf dem Frachtschiff sehr genossen. Aber wenn man Beziehungen pflegen will, wird es schwierig», sagt Grossholz. Und die Versicherung? «Die vermisse ich eher weniger. Der psychische Druck war einfach zu gross. Immer ging es um Geld.»
Die Personenschifffahrt scheint wie eine Kombination der beiden sehr unterschiedlichen Abschnitte in Grossholz’ Leben – eine Art Soft-Version des Schiffsalltags. Damit ist Grossholz zufrieden: «Die Tage können zwar sehr lang werden, bis zu 19 Stunden im Extremfall. Doch es ist schön, abends wieder nach Hause kommen zu können, auch wenn es um Mitternacht ist.»
Wendepunkt: Ab Rheinfelden geht es für die Schiffscrew wieder zurück zum Dreiländereck. (Bild: Alexander Preobrajenski)
Klar und ruhig kündigt Grossholz die Ankunft in Rheinfelden durch den Lautsprecher an. Dann macht das Schiff fest und unsere Fahrt mit Grossholz endet.
Man kann ihn sich als Versicherungsangestellten vorstellen. Doch der Seemann überwiegt; wenn er begeistert einem Frachtschiff nachschaut oder wenn seine Tätowierungen auf den Unterarmen zum Vorschein kommen. Doch all das sind Spuren eines früheren Lebens.