Der Mundart-Dichter und Stadt-Nostalgiker Gerhard «Saubi» Saubermann ist in Basel schon fast ein Original. Seit Jahrzehnten organisiert er das einzige verbliebene «Quartierziigli». Seine Retro-Larven verleiht er auch an Kinder mit Migrationshintergrund.
Der Waggis hat hier weder ein breites Grinsen noch eine monströse Nase. Es sind filigrane Lärvchen aus einer «Goschdymkischte» wie zu Grossmutters Zeiten, die in diesem Keller im St. Johann zum Vorschein kommen. Neugierig wagen sich die albanischen Kinder in Begleitung ihrer Mütter an den Fundus alter fasnächtlicher Kostbarkeiten.
Ein Gentleman mit unverkennbarem strichartigen Schnurrbart packt ein paar Prunkstücke aus seiner Kostümsammlung aus. Die Kinderaugen mustern die Larven und sogleich will alles vor dem Spiegel ausprobiert werden.
Der Mann, der die Larven verteilt, hat alle Hände voll zu tun: Sein «Quartierziigli», das auch dieses Jahr an der Fasnacht mitmarschieren wird, liegt Gerhard Saubermann am Herzen. Lokale Traditionsanlässe pflegt er eisern. Selbst unbekannte oder verschollene Bräuche wie das poetische Ausläuten der Herbstmesse (richtig gelesen, nicht das wesentlich bekanntere Einläuten) zelebriert er mit Inbrunst.
Als die Frau Fasnacht noch durch die Quartiere zog
Für den Mundart-Dichter und ehemaligen Zahnarzt Saubermann, der Gérard oder einfach Saubi genannt werden möchte, steht Nostalgie also ganz weit oben. Erinnerungen an die Schulzeit kommen auch in seinen Poesiebänden wie «Basel dur Kinderauge» oder «Zum Aahaimele» immer wieder zum Zug. Das melancholische Zurückblicken auf vergangene Zeiten spielt aber nicht nur in seinen Gedichten eine tragende Rolle. Saubi meldet sich auch dann zu Wort, wenn alte Gebäude bedroht sind. So war er stets ein vehementer Verteidiger der Häuserzeile beim Alten Warteck. «Das ist das Montmartre von Basel», pflegt er stets zu sagen.
Auch mit seinem Züglein möchte er einen antiquierten Brauch erhalten: Die ins Hintertreffen geratene Quartierfasnacht. Es begann 1953 im St. Johann: Als Schüler organisierte Saubi seinen ersten Umzug, damals noch unter dem Namen «Schnuure-Clique». Am Fasnachtsmontag und -mittwoch streifte diese Miniatur-Clique durch das Viertel. Zu den «Grossen» getrauten sich die Dreikäsehochs mit der Blechtrommel noch nicht: «Die Heimkehrer vom Morgestraich betrachteten wir damals noch als Götter», erinnert sich Saubi. Bloss am Dienstag wagten sie sich an die Kinderfasnacht in die Altstadt.
Saubermann nahm damals bei der Stammclique «Alti Richtig» seine ersten Trommelstunden, wo er noch die Tambouren-Legende Fritz Berger kennenlernte. Das Quartierzüglein leitete er parallel dazu weiter: 1963 wurden daraus «d Brunnefääger», wie sie auch heute noch heissen. Seit 1979 ist die Gruppe beim Comité angemeldet.
Die «Brunnefääger» sind weiterhin Bestandteil des Cortège – mit einem Tambour, einem Tambourmajor und einer Kinderschar im Vortrab. Es ist heute ein Unikum: Ein Hauch von Quartierfasnacht, wie sie heute praktisch verschwunden ist. «Heute konzentriert sich fast alles auf die Innenstadt», sagt Saubi. Immerhin hat die Kindergarten- und Schulfasnacht vor Ferienbeginn diese Rolle in den Wohnvierteln übernommen, was Saubi eine gute Sache findet.
Als Federico Fellini Fasnacht machte
In den Siebziger- und Achtzigerjahren wurde bei den «Brunnefääger» auch Italienisch gesprochen: Sie gingen bisweilen als «Fellini-Ziigli» auf die Gasse. Als Hommage an den grossen Filmemacher schrieb Saubi die Verse auf Baseldeutsch wie auch in Dantes Sprache. Die Figur Gelsomina aus Fellinis «La Strada» war etwa als Kostüm mit dabei. Damals bemühte sich Saubermann stets, auch die italienischen und spanischen Kinder aus dem Quartier für die Fasnacht zu begeistern. Später suchte er den Kontakt zu türkischen und albanischen Familien.
Mit seiner Kostüm- und Larvensammlung möchte Gerhard Saubermann denjenigen, welche weder einen Zugang zum Cliquenleben noch ein grosses Budget haben, die Fasnacht näherbringen. Diesen integrativen Aspekt seiner «Quartierziigli» hängt er aber nicht an die grosse Glocke. «Das klingt sonst zu sehr nach Gutmensch», meint er zögerlich.
Wohl aber betont er die Nostalgie, die sich als roter Faden durch die Sujets der «Brunnefääger» zieht. Letztes Jahr kam sein «Basler Montmartre» an die Reihe. Dieses Jahr lautet das Sujet: «Ersatz isch mänggmool am Blatz». Auch das soll darauf anspielen, dass – wie etwa beim Heidi-Film – Altes verloren geht oder auf unbefriedigende Weise geklont wird. «Warum darf die Jugend gewisse Dinge nicht mehr erleben?», fragt sich Saubi wehmütig und beklagt damit den Verlust von so mancher heimeliger Tradition.
Bei seiner Vorstellung von Fasnacht geht er noch weiter – und hat dabei ein klare Vorstellung seiner eigenen Rolle: «Wenn ich nicht mehr da bin, ist die alte Fasnacht gestorben.» In seinen Augen bewahrt das «Quartierziigli» nämlich noch ein anderes Gesicht des Basler Brauches: «Es gibt zwei Fasnachten – eine aggressive und eine poetische», sagt Gerhard Saubermann. Welche der beiden er mehr mag, dürfte leicht zu erraten sein. Davon zeugen die eher herzigen als frechen Retro-Waggis aus seiner Kostümkiste.
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Wer «d Brunnefääger» live sehen möchte: Das «Quartierziigli» wird sich am Fasnachtsmontag und -mittwoch jeweils um 13.30 Uhr auf der Wettsteinbrücke beim Comité zum Abmarsch besammeln.