1984 €: Ohne Bargeld, dafür gut überwacht

Immer mehr Länder schränken das Bezahlen mit Bargeld ein. Cash bezahlen würden am liebsten Kriminelle, die damit ihre Spuren verwischen. Tatsächlich aber eröffnet der bargeldlose Zahlungsverkehr immer mehr Möglichkeiten für Überwachung und Geldpolitik.

Die Kreditkarte kann nichts dafür, aber ihre Herausgeber und Regierungen verdanken ihr Daten, die der Besitzer ungern einfach so hergeben würde.

(Bild: Hans-Jörg Walter)

Immer mehr Länder schränken das Bezahlen mit Bargeld ein. Cash bezahlen würden am liebsten Kriminelle, die damit ihre Spuren verwischen. Tatsächlich aber eröffnet der bargeldlose Zahlungsverkehr immer mehr Möglichkeiten für Überwachung und Geldpolitik.

Einen Gebrauchtwagen für 10’000 Euro kaufen? Oder mal eben einen Ring für 7500 Euro beim Juwelier erstehen? Geht es nach der deutschen Bundesregierung, sind solche Geschäfte in Zukunft nicht mehr möglich. Das Bundesfinanzministerium plant Medienberichten zufolge eine Bargeldobergrenze von 5000 Euro. Damit sollen Geldwäsche und die Finanzierung terroristischer Aktivitäten erschwert werden.

Ähnliche Bargeldobergrenzen existieren bereits in verschiedenen Ländern. In Italien liegt sie bei 3000, in Griechenland bei 1500 Euro. In der Schweiz gilt eine Obergrenze von 100’000 Franken. Händler, die höhere Beträge entgegennehmen, müssen Kauf und Käufer dokumentieren.

Als Vorreiter des bargeldlosen Bezahlens gilt Schweden. Mitglieder von Kirchgemeinden entrichten ihren Zehnt via Textnachricht. In Kirchen wie der Filadelfia in Stockholm steht ein «Kollektomat», in dem man bequem mit Karte spenden kann. Der Satz «Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Feuer springt» hat nur noch begrenzte Gültigkeit.

Obdachlose in der Stockholmer Innenstadt nehmen Almosen mit einem Kartenlesegerät entgegen. Und selbst das Abba-Museum, der Erinnerungsort jener Popband, die den Song «Money, Money, Money» schrieb, akzeptiert schon lange nur noch Kartenzahlung.

Die Zeiten, in denen Dandys lässig ein paar Scheine in der Tasche stecken hatten, könnten bald vorbei sein.

Scheine und Münzen machen nur noch rund zwei Prozent der schwedischen Wirtschaft aus, verglichen mit 7,7 Prozent in den USA und 10 Prozent in der Euro-Zone. Im fortschrittlichen Schweden, wo der Streaming-Dienst Spotify und die Entwickler des Smartphone-Spiels «Candy Crush» ihren Sitz haben, zahlen die Menschen immer öfter mit Kreditkarte oder via Banking-Apps. Die grössten Banken des Landes, SEB, Swedbank, Nordea Bank, geben gar kein Bargeld mehr heraus und akzeptieren auch keine Sparbücher. Bargeldautomaten werden abgebaut. 

Die Zeiten, in denen Dandys lässig ein paar Scheine in der Tasche stecken hatten oder Händler hohe Geldbeträge in der Brieftasche mit sich herumtrugen, könnten bald vorbei sein. Das grosse Versprechen bargeldlosen Bezahlens lautet, dass die Transaktionskosten reduziert werden und der Zahlungsverkehr sicherer wird.

Mit der Abschaffung des Bargelds sollen vor allem die Finanzströme der organisierten Kriminalität ausgetrocknet werden. Kenneth Rogoff, ein Befürworter der Abschaffung, wies daraufhin, dass bei der Verhaftung des Drogenbosses Joaquín Guzmán («El Chapo») 200 Millionen Dollar in 100-Dollar-Noten gefunden wurden. Geld ist schmutzig, behauptet das Kreditkartenunternehmen Mastercard.

Jede Transaktion, und sei sie noch so geringfügig, wird in den Datenbanken der Kreditkartenunternehmen gespeichert.

Die Zahlung mit Kreditkarte mag komfortabel sein. Doch jede Transkation, und sei sie noch so geringfügig, wird in den Datenbanken der Kreditkartenunternehmen gespeichert – und liefert somit ein Instrument zur Überwachung. Die Kreditkarte verrät so einiges über unseren Lebensstil. Zwar werden nur die Metadaten wie Datum, Ort und Uhrzeit erfasst, doch aus den Daten lassen sich relativ leicht Rückschlüsse auf einzelne Personen ziehen.

Ein Forscherteam des Massachusetts Institute of Technology (MIT) und der Universität von Aarhus, das drei Monate lang die Kreditkartenkäufe von insgesamt 1,1 Millionen Menschen analysierte, hat herausgefunden, dass schon Angaben zu vier Bezahlvorgängen ausreichen, um 90 Prozent der Personen in einer anonymisierten Liste zu identifizieren. Weiss man zum Beispiel, dass jemand am Montag seinen Kaffee gekauft hat, am Dienstag im Restaurant essen war und am Mittwoch im Kino, kann man diese Finanzdaten zweifelsfrei einer Person zuordnen.

Sag mir, was Du kaufst, und ich sage Dir, wer Du bist. Der Bürger wird damit durchschaubar und berechenbar. Datenschützer und Ökonomen kritisieren, dass es dabei weniger um die Kriminalitätsbekämpfung als vielmehr um Überwachung gehe.

Sollten die Zentralbanken Negativzinsen einführen, wäre man in einer bargeldlosen Gesellschaft systemisch zum Konsum gezwungen.

FAZ-Mitherausgeber Holger Steltzner, ein profunder Kenner des Geld- und Bankwesens, schrieb in einem Kommentar: «Politiker träumen vom gläsernen Wähler und Steuerbürger, Internetfirmen wollen alles über alle Kunden wissen, Banken brauchen neue Gebührenquellen, und manche Zentralbank will die Leute mit Strafzinsen zum Konsum treiben. Deshalb wird viel von Schwarzgeld oder Steuerflucht geredet und so getan, als kauften IS-Terroristen ihre Kalaschnikow bar in der Eckkneipe oder als wasche die Mafia ihr Geld in der Pizzeria statt in der eigenen Bank. Die Wahrheit ist schrecklicher: Die Feinde des Bargelds streben nach totaler Kontrolle.»

Ähnlich sieht das der Ökonom Daniel J. Mitchell vom Cato Institute in Washington, der schon verschiedentlich zum Thema publiziert hat. Im Gespräch sagt er: «Der offensichtliche Zweck dieser Massnahme ist es, der Regierung die Macht zu geben, private Transaktionen zu überwachen. Das ist besorgniserregend, weil Regierungen eine äusserst schlechte Menschenrechtsbilanz haben. Wäre es nicht klüger, die Ressourcen auf traditionelle Polizeiarbeit zu konzentrieren, um die Pläne von Kriminellen zu durchkreuzen?»

Die Politik hat einen Anreiz, Bargeld abzuschaffen. Sollten die Zentralbanken tatsächlich Negativzinsen einführen, mit der Folge, dass man für Einlagen zahlen muss, könnte man in einer bargeldlosen Gesellschaft nicht mehr einfach sein Guthaben auf dem Sparbuch abheben und das Geld unters Kopfkissen legen. Man wäre systemisch zum Konsum gezwungen.

In einer bargeldlosen Gesellschaft mit verknüpften Datensätzen wäre es möglich, dem Zuckerkranken den Kauf von Cola zu verweigern.

Unser Verhältnis zum Geld wird sich dadurch radikal ändern. Die bargeldlose Gesellschaft will mit dem archaischen Ideal brechen, dass Geld etwas Dingliches ist – und es durch die Vorstellung eines Bewertungssystems ersetzen. Schon heute berechnen Banken die Bonität aufgrund von Social-Media-Aktivitäten wie Tweets und Facebook-Likes. Wer die «falsche» Band liked oder im falschen Viertel wohnt, bekommt unter Umständen keinen Kredit. In einer bargeldlosen Gesellschaft mit verknüpften Datensätzen wäre es theoretisch möglich, dem Zuckerkranken den Kauf von Cola zu verweigern.

Der Computerwissenschaftler Jason Hong von der Carnegie Mellon University beschäftigt sich seit Jahren mit der Materie. Er glaubt nicht, dass die Abschaffung von Bargeld Geldwäsche unterbindet. «Die organisierte Kriminalität wird immer Wege finden, das System zu umgehen», sagt er im Gespräch «Die Obergrenze bedeutet nur, dass Kriminelle kreativer in der Buchführung werden müssen und wie sie Geld waschen.»

Hinzu kommt, dass der Rückgriff auf Kreditkarten den Zahlungsverkehr nicht unbedingt sicherer macht. Immer wieder gibt es Meldungen über Hackerangriffe oder Datenklau bei Kreditkarteninstituten. Die Kryptowährung Bitcoin, die ohne intermediäre Akteure wie etwa (Zentral-)Banken auskommen, ermöglicht zwar anonymisierte Käufe, doch erleichtert sie auch den Erwerb illegaler Güter, so Hong.

Die Annahme, man müsse nur das Bargeld aus dem Geldkreislauf ziehen, um ominöse Finanzströme trockenzulegen, ist eine Illusion. Die Gewinner sind am Ende der Staat und die Kreditkarteninstitute, die noch mehr Daten – und damit auch Kontrolle – über ihre Kunden gewinnen. Der Verbraucher verliert mit der Abschaffung des Bargelds ein Stück seiner Freiheit.

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