Die SBB haben eine neue Werbeoffensive gestartet, vielleicht haben Sie die Plakate auch gesehen. Eine ältere, ein bisschen freundlich, aber auch ein bisschen streng wirkende Frau mit kurzen grauen Haaren streckt dem Passanten das Handy entgegen und sagt: «Sie meinen, das Billett wäre woanders günstiger? Wirklich?» Oder: «Sie wollen das Billett nicht mit der App kaufen? So viel Zeit hätte ich auch gerne.»
Die Zitate enden jeweils mit dem Satz «Schluss mit Ausreden: Das Billett schneller mit Touch-Fahrplan kaufen. Jetzt umsteigen auf SBB Mobile.»
Mir könnte das an sich egal sein, ich bin 30 Jahre alt, habe die SBB-App längst auf meinem Iphone installiert und kaufe Bahnbillette meist online per Kreditkarte. Ich höre noch gut, ich sehe noch gut, ich bediene seit meinem elften Lebensjahr Mobiltelefone und fühle mich einigermassen auf der Höhe des Digitalzeitalters.
Kein Mensch benötigt
Nun haben sich die SBB ein neues Kundensegment für ihren Online-Imperialismus ausgesucht: Ältere Menschen, die sich gern persönlich beraten lassen, wenn sie Fragen haben oder ein Billett brauchen. Was ich nachvollziehen kann, schliesslich ist es manchmal einfach schöner, entspannter und auch ein bisschen sozialer, seine Probleme einem echten Menschen zu schildern als einem kleinen Gerät, das die Frage ins Niemandsland schickt oder in ein Callcenter nach Indien auslagert.
Die SBB müssen sparen, sie haben in den letzten Wochen und Monaten Konkurrenz durch andere App-Anbieter erhalten, die blauen Kästen an den Bahnhöfen kosten viel, die Angestellten noch mehr, und so wird weiter physische Präsenz abgebaut und damit auch gleich ein Stück Gemütlichkeit, die ja eh niemand zum Überleben braucht.
Also werden die Elvetino-Wägeli gestrichen, die Temperaturen im Zug runtergeschraubt und das Personal an den Schaltern wird dazu angehalten, dem Kunden die neue App anzupreisen und ihm dabei zu helfen, sie vor Ort gleich zu installieren, damit er gar nicht mehr an den Schalter kommen muss. Was gibt es Praktischeres als Mitarbeitende, die sich gleich selbst abschaffen?
Senioren wird suggeriert, sie besässen zu viel Zeit und zu wenig Klugheit für richtige Entscheidungen.
Bleiben die älteren Kunden, die man nun per Plakat dazu auffordert, ihre Tickets endlich online zu lösen. Das brächte dem Unternehmen Millionen Franken an Einsparungen und überliesse die Kunden endlich sich selbst.
Mit dieser Kampagne macht ein staatliches Unternehmen, auf das jeder Bürger in diesem Land, der auch ohne Auto mobil sein will, angewiesen ist und das mitunter auch mit Steuergeldern finanziert wird, eine ganze Bevölkerungsgruppe lächerlich. Es stellt Senioren als Menschen dar, die den Wandel verschlafen haben und suggeriert ihnen, dass sie zu viel Zeit und zu wenig Klugheit besitzen, um richtige, effiziente, fortschrittliche Entscheidungen zu treffen: «Laden Sie endlich diese App runter, alles andere ist doch doof!»
Viel unsensibler geht es nicht.
Wen wollen die SBB mit diesen Plakaten eigentlich ansprechen? Die kecke Frechheit junger, urbaner Werber kippt in Zynismus und Blindheit für andere Lebensrealitäten. Wir sind nicht alle Digital Natives, und das müssen wir auch nicht sein.
Eine funktionierende Gesellschaft sollte Wahlmöglichkeiten und Handlungsspielraum für verschiedene Gesellschaftsgruppen bieten, das wäre Ausdruck eines sozialen Grundverständnisses, das ich von Traditionsunternehmen wie der SBB erwarte.
Die Kundschaft hat ja Verständnis
Die SBB dürften ein bisschen mehr Zeit und Besinnung darauf verwenden, wie man die Kundschaft anspricht und an sich bindet. Vor allem diejenigen, die diesem Unternehmen seit Jahrzehnten die Treue halten und die Züge auch zu Tageszeiten füllen, in denen die Werktätigen bei der Arbeit sind und niemand, der einen Job zu erledigen hat, auf die Idee käme, einen Zug zu benutzen.
Schon gar nicht, wenn er arbeiten muss, denn das Internet hat die SBB bekanntlich noch nicht in die Züge gebracht. Aber das ist schon in Ordnung, ich bin ja 30 Jahre alt und gehe darum einfach mit meinem Iphone ins Internet oder mache einen Hotspot für meinen Laptop. Da bin ich gerne flexibel.
Denn ich habe Verständnis für eine alte Organisation, die nicht immer mit der Zeit geht.